Samstag, Februar 1

Er war ein Anarchist der Verspieltheit. Peche ist Legende, Kult und auch Pop. Deshalb heisst die grosse Schau des Wiener Museums für angewandte Kunst auch «Peche Pop».

Das Ende war nicht schön, aber symbolisch. Dagobert Peche hatte die Wohnungen reicher Kunden zum Gesamtkunstwerk gemacht, er selbst aber lebte in einer tragisch verwahrlosten Behausung. Das Wasser lief vom undichten Dach durch die Mauern. Von den Wänden und der Decke hingen die Tapeten der berühmten Wiener Werkstätte. Im Holzboden des Schlafzimmers klaffte ein metergrosses Loch. Als er 1923 an Krebs starb, war der Künstler erst fünfunddreissig Jahre alt. Sein letztes Werk, die Ausstattung für ein Ballett von Richard Strauss namens «Schlagobers», blieb unvollendet. Die letzten Seiten seines Zeichenblocks sind mit Skizzen eines Guglhupfs gefüllt.

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Als Anarchist der Verspieltheit hat Dagobert Peche im Wien der 1910er Jahre Furore gemacht. Ausgerechnet dort, wo der formstrenge Architekt Adolf Loos verkündet hatte, dass jedes Ornament Verbrechen sei. Dem aus der Salzburger Provinz ins mondäne Wien Zugewanderten war das egal. Als Avantgardist musste er Verachtung ebenso einstecken, wie er die bewundernde Formel vom «Ornamentgenie» wohl verkraften konnte.

Josef Hoffmann ist dafür zu danken, dass er einen so antagonistischen Geist 1915 als Entwerfer in die Wiener Werkstätte holte. Peche mischte das Unternehmen, das dem wohlhabenden Bürgertum wieder ein Gefühl für Material und Ästhetik geben wollte, mit seinen wilden Entwürfen nachhaltig auf. Dennoch ist er heute fast ein Vergessener. Das möchte das Wiener Museum für angewandte Kunst (MAK) ändern und widmet ihm eine grosse Ausstellung, die Dagobert Peches künstlerischem Werk genauso gilt wie seinem Nachleben. Peche ist Pop, und deshalb heisst die Schau auch «Peche Pop».

Vorreiter modernen Designs

Wie weit ist der Weg von den psychedelischen Tapetenmustern des ehemaligen österreichischen Jungstars bis zu den drogenbunten sechziger Jahren? Wie weit der Weg von Peches monströsen Möbeln bis zu den Design-Delirien der Postmoderne? Diese Frage stellt sich die Ausstellung tatsächlich auch. Sie mischt Künstler, die erst viel später im Geiste Peches gearbeitet haben, ins Geschehen, und so muss man oft zweimal schauen. Was verdächtig nach Peche aussieht, stammt in Wahrheit von Ettore Sottsass, Philippe Starck, Hans Hollein oder Alessandro Mendini.

Dagobert Peche war ein Künstler, der sich in Räume hineinhalluziniert hat, und so ist es mehr als schlüssig, dass die Ausstellung im Wiener MAK wie eine Art Traumdeutung funktioniert. Auf dem Land aufgewachsen, hat Dagobert Peche den Bezug zur Heimat nie verloren, ohne allerdings jemals heimattümelnd oder rustikal gewesen zu sein. Im MAK wandelt man durch das Arkadien des Künstlers in Schäferszenen, die er mit Spielzeugfiguren für die Wiener Werkstätte geschaffen hat.

«Schilf II» heisst eine kolossal moderne Tapete, deren Muster dem Namen gemäss grünlich dahinwogt. Es gibt eine Bonbonniere in Lammform, und Peche will auch gar nicht verheimlichen, dass er Apologet des Ländlichen ist. «Es erfüllt all mein Leben ganz, vielleicht oft mehr, als es soll», schreibt er an die Freundin Mathilde Junger in seiner kostbar exakten Schrift.

Dagobert Peche: Wiener-Werkstätte-Tapete «Schilf II,» 1922, Ausführung: Flammersheim & Steinmann, Köln Modeldruck (links); Wiener-Werkstätte-Stoffmuster «Doris», 1923, Seide, bedruckt.

Das Paradoxe und Revolutionäre an Dagobert Peche: Seine Kunst hat Gefühle, ohne sentimental zu sein. Die filigransten Einfälle wirken, als wären sie direkt Peches Herzen entsprossen. Immer haben sie auch etwas Organisches. Für die Wiener Werkstätte hat der Designer sogenannte Zierstücke entworfen, die aussehen wie metallische Waldgeister oder verrückte Roboter. Das silberne Kaffeeservice mit seinen pokalähnlichen Trinkschalen ist ein dekoratives Highlight mit vermutlich geringem Nutzwert.

Vieles bei Peche war nicht auf einen Zweck ausgelegt. Der, der hier arbeitete, war kein Kunstgewerbler, sondern ein Künstler. Die Übertreibung war sein Metier. In Peches Traumwelten der Dekoration wird nicht gespart, und die ästhetische Schwüle seiner Arbeit hat neben Arkadien noch einen anderen Ursprungsraum: das Boudoir. Dass der Designer ein Fan des britischen Illustrators Aubrey Beardsley war, merkt man nicht nur seinen fast epigonalen Zeichnungen an, sondern auch der Formensprache seiner Möbel. In ihren Hell-dunkel-Kontrasten wirken sie wie aus Beardsleys Bildern entsprungen, haben etwas Grafisches in ihren Linien.

Für den Architekten und Kunstsammler Wolko Gartenberg hat Dagobert Peche Wohnungen in Paris und Wien ausgestattet. Die Salonschränke, Vitrinen, Tische und Sessel sind Monumente eines neuen bürgerlichen Selbstbewusstseins und mitunter fast abschreckend modern. 1921 liefert Peche für Gartenbergs Wiener Wohnung eine Wohnzimmereinrichtung, in der die gestalterischen Prinzipien umgesetzt sind. Zarteste Stoffe sind mit hüftschwerem Holz kombiniert. Das Gestühl wirkt, als würde es selbst um den Tisch herumsitzen und brauchte gar keinen Hausherrn mehr.

Fast noch gewagter sind der Schreibtisch und der Armlehnsessel, die Peche 1922 für den Bauunternehmer Eduard Ast entworfen hat. Die voluminösen, kubistischen Stücke haben etwas Ägyptisches, aber die ans Holz applizierten vermeintlichen Hieroglyphen erweisen sich als ländliche florale Motive.

Formen der Verwandlung

Dagobert Peche war ein Künstler mit Privatmythologien. Vor allem in den Briefen an Mathilde Junger offenbart sich ein schwärmerisch unruhiger Geist. Die Riesen der Angst leben neben zarten Luftgeistern, und beides scheint sich auch in den Entwürfen zu spiegeln. Die Variationsbreite reicht von grösster Zartheit und schwebend leichten Farben bis zu Möbeln, die an Sarkophage erinnern. Dazwischen gibt es immer wieder jenen Witz, den später die Postmoderne kultivieren sollte. Für die Kunstschau des Jahres 1920 im Vorläufermuseum des MAK hat Peche einen Schaukasten entworfen, der wie eine riesige hölzerne Fledermaus aussieht. So etwas hat später Ettore Sottsass gemacht.

In den Formen der Verwandlung war Dagobert Peche zu Hause, und deshalb schien ihm die Geschichte rund um Daphne, die zum Lorbeerbaum wird, um sich vor dem Verfolger Apoll zu schützen, mehr als nur ein Mythos. Sie ist die Urerzählung jener Metamorphosen, die der Künstler in seinem Werk perpetuierte und in immer neue Sphären trieb. Wenn in Peches Tapeten- und Stoffmustern das Florale wie eine Hommage an die mythische Nymphe wirkt, dann waren die Möbel und kunsthandwerklichen Gegenstände Beispiele ewiger Verwandlung.

Alles war das, was es seinem Zweck nach sein sollte, aber doch auch noch etwas anderes. Dagobert Peche brachte Schatullen in Mode, die aussahen wie kostbar versilbertes Obst. An zarte Sessel schraubte er überdimensioniert schwere Beine. Die Anmutung der Materialien wurde gegen den Strich gebürstet, bis Holz wie Stoff aussah, Papier wie Metall und Blech wie Keramik.

Dagobert Peches Wanderungen durch die Traumgefilde müssen die Handwerker, die mit ihm arbeiteten, in die Verzweiflung getrieben haben. Und dennoch blieb er dabei, seine Phantasien umzusetzen. Schauplätze gibt es genug. Für zwei kurze Jahre leitet Peche die Zürcher Dépendance der Wiener Werkstätte und macht das Ladenlokal in der Bahnhofstrasse zu einer visuellen Orgie. Blumenmotive überall, Rüschen und geraffte Stoffe.

Dagobert Peche: Papierblumenstrauss, um 1920, Papier, Draht, Goldborte und -flitter (links); Ehrengabe der Wiener Werkstätte zu Josef Hoffmanns 50. Geburtstag, 1920, Silber, getrieben.

So ähnlich macht Peche das auch in der Filiale am Wiener Graben. Seine Ausstellungsarchitektur etwa bei der Wiener Kunstschau des Jahres 1920 ist voller überraschender, das Publikum überfordernder Einfälle. Hier tobt sich einer aus zwischen melancholischem Weltzweifel und Schaffenseuphorie. Dagobert Peche hat einer Zeit das Ornament zurückgeben wollen, die sich ganz schnörkelfrei in Richtung Abgrund bewegte.

Krieg und Rezession haben dafür gesorgt, dass der Künstler in finanzielle Nöte geriet. 1920, drei Jahre vor seinem Tod, wird dem österreichischen Magier der Avantgarde bewusst, dass sein Tun vielleicht auch Selbstverzauberung war. In einer Traumnotiz schreibt er vom «Wirr der Blätter» und vom «Tand», der ihn umgibt. Sich selbst sieht er als Mumie im Sarkophag.

Dieser imaginäre Sarkophag ist eines Dagobert Peche allerdings mehr als nur würdig und hat eine abgründige Symbolik. Denn beklebt ist er «mit viel Papier, ganz bunt lackiert, umwickelt mit toten Blumen aus Brokat und rauschendem Metall, zinnoberrot und gelb mit tiefem Flor». Hier trägt der Künstler sich und seine Ideen zu Grabe, aber der Wiederauferstehung des Vergessenen sollte nichts im Wege stehen.

«Peche Pop. Dagobert Peche und seine Spuren in der Gegenwart». MAK – Museum für angewandte Kunst, Wien, bis 11. Mai. Katalog 55 Euro.

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