Mittwoch, Oktober 2

Der westliche Teil der Stadt Uster will zu Greifensee wechseln. Das Stadtparlament lehnt die Initiative wie erwartet ab, ausser der SVP.

Man wähnt sich in einer griechischen Tragödie oder einem Drama von Shakespeare. Martin Bornhauser, der einstige Stadtpräsident von Uster, ist an seinen früheren Tatort zurückgekehrt. Im Parlamentssaal von Uster erläutert er, warum der Stadtteil Nänikon, in dem er seit über fünfzig Jahren lebt, zur Nachbargemeinde Greifensee wechseln will.

Seine Nachfolgerin und Parteikollegin Barbara Thalmann (SP) entgegnet engagiert, warum die Volksinitiative, die diesen Prozess einleiten soll, Uster Schaden zufügt. Zum widersprüchlichen Bild passt, obwohl nicht anwesend, der in Uster wohnhafte einstige Stadtpräsident Hans Thalmann (im Amt von 1986 bis 1998) und Vater der gegenwärtigen Stadtpräsidentin. Er gehört dem Unterstützungskomitee der Initiative an.

Was ist los in Uster? Zur Beruhigung: Es fliesst kein Blut, alle gehen freundlich miteinander um. Auch viele Nänikerinnen und Näniker im Publikum trinken später ein Glas Wein am Apéro, den das Ustermer Parlament nach seiner letzten Sitzung vor den Sommerferien offeriert. Aber da ist auch eine schwer verständliche Entfremdung, zu der dieses Jahr eine Entscheidung fällt, die das Problem kaum lösen wird.

90 Prozent für Gemeindewechsel?

Die Aussenwachten Nänikon und Werrikon mit heute rund 3000 Einwohnerinnen und Einwohnern gehören seit fast hundert Jahren zu Uster. Nänikon ist mit Greifensee zusammengewachsen und bildet mit der Nachbargemeinde eine Sekundarschulgemeinde. Dieser Zustand ist laut kantonalem Gemeindegesetz rechtswidrig. Die Aussicht, dass eine «Grenzbereinigung» durch den Bezirksrat verfügt wird, bildete für die Sezessionsbestrebung in Nänikon den Auslöser, aber mehr nicht.

Es bestand bereits eine Distanz zwischen der Aussenwacht und dem Zentrum. Nun wurde mit einer Einzelinitiative in der Sekundarschulgemeinde Nänikon-Greifensee die Frage nach einem Wechsel von Nänikon zur politischen Gemeinde Greifensee aufgeworfen. Sie erhielt im Frühling 2022 sowohl in Nänikon als auch in Greifensee überraschend mehr als 90 Prozent der Stimmen.

Ein Jahr später lancierte das nach der Näniker Postleitzahl benannte Komitee 8606 in der Stadt Uster die Volksinitiative «Zusammenführen, was zusammengehört». Die Forderung nach dem Gemeindewechsel von Nänikon wurde Ende 2023 eingereicht und am Montag im Stadtparlament behandelt. Der Gemeinderat von Greifensee nahm das Anliegen in seine Legislaturziele auf.

Zuvor hatte der Stadtrat zusammengetragen, weshalb die Abspaltung von Nänikon für Uster grosse Nachteile bringen würde. Er schätzt die Einnahmeausfälle auf rund 13 Millionen Franken im Jahr. Diese liessen sich nur zum Teil mit Einsparungen kompensieren, weshalb der Abbau von Leistungen oder die Erhöhung der Steuern nötig werde.

Für die Regierung würde der Schritt die Position von Uster als Regionalzentrum schwächen. Die Vorbereitung binde in der Verwaltung während Jahren Kräfte, worunter andere Projekte litten. Die Initiative schlägt ein zweistufiges Vorgehen vor: erst die Grundlagen erarbeiten, dann in spätestens vier Jahren über den Wechsel entscheiden. Laut Stadtrat verursacht aber schon der erste Schritt Kosten von gegen einer Million Franken.

Martin Bornhauser hatte mit Polemik gegen die Initiative gerechnet. Doch es sei schlimmer gekommen, sagte er vor dem Parlament. Der Stadtrat habe ein Schreckensszenario an die Wand gemalt. Nänikon fühle sich schlecht behandelt. Die Initianten stellen die Ausgangslage so dar, dass zunächst eine «Auslegeordnung» zu erstellen sei. Im Initiativtext wird jedoch eindeutig verlangt, es sei mit Greifensee ein Vertrag auszuarbeiten.

Unterstützung erhielt die Initiative von der SVP. Man müsse erst die Fakten und Zahlen prüfen, forderte ihr Sprecher. Das ist insofern überraschend, als die SVP damit im Widerspruch zur lokalen Wirtschaft steht. Laut dem Stadtrat bezeichneten die Standortförderung, der Gewerbeverband und das Wirtschaftsforum Uster in schriftlichen Stellungnahmen den Weggang von Nänikon für Uster als «katastrophal».

Tatsächlich ist das Bild der ländlichen Aussenwacht schief. Beim Bahnhof Nänikon gibt es ein Industriegebiet mit laut Stadtrat 190 Betrieben und rund 2000 Beschäftigten. Im Zentrum von Uster, einst geprägt von zahlreichen Textilfabriken, ist nicht mehr viel Industrie vorhanden. Mit Nänikon würde die Stadt also auch eines ihrer wichtigsten Arbeitsplatzgebiete verlieren.

Fusion statt Abspaltung

Ausserhalb der SVP war sich das Parlament einig, das die Initiative mit 22 gegen 8 Stimmen ablehnte. Die Abspaltung von Nänikon würde für Uster einen Verlust auf der ganzen Linie bedeuten, sagte der Sprecher der vorberatenden Kommission. Das Vorhandensein von Gemeindegrenzen müsse kein Grund dafür sein, sich dem einen oder dem anderen Ort weniger zugehörig zu fühlen, so ein FDP-Vertreter. Schliesslich bewege man sich in Richtung funktionaler Räume und grösserer Verwaltungseinheiten.

Tatsächlich hatten mehrere Parteien als Reaktion auf die Initiative einen Vorstoss eingereicht, es sei eine Fusion von Uster mit Greifensee zu prüfen. Damit würde dessen Grenze zu Nänikon auch hinfällig. Der Stadtrat von Uster befürwortete diese Stossrichtung grundsätzlich.

Doch in dieser Sache geschieht vorerst nichts. Erst kommt voraussichtlich im November die Näniker Initiative vors Volk. In Uster herrscht eine gewisse Ratlosigkeit. Es sei schlicht kein Grund für einen Gemeindewechsel zu erkennen, wurde gerätselt. Tatsächlich betonen die Initianten immer, ihr Anliegen richte sich nicht gegen Uster.

«Es herrscht kein Groll. Wir sind nicht unglücklich», sagte am Montag auch Martin Bornhauser. Die Näniker fühlten sich einfach zu Greifensee hingezogen, die bestehende Grenze entspreche nicht mehr der gelebten Realität. Es gehe um eine Herzensangelegenheit. Zuvor hatte schon die Stadtpräsidentin Barbara Thalmann betont, die Zugehörigkeit von Nänikon zu Uster sei eine Herzensangelegenheit.

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