Dienstag, November 26

Brasilianische Fahrer wie der nun verpflichtete Gabriel Bortoleto haben im Hinwiler Rennstall fast schon Tradition. Aber nicht alle schafften den Durchbruch. Um einen entbrannte gar ein Zwist zwischen Peter Sauber und dem Red-Bull-Patron Dietrich Mateschitz.

Wer die Leidenschaft einer Stadt oder einer ganzen Nation für die Formel 1 verstehen will, konnte diese am vergangenen Wochenende am Eingang zum Autodromo José Carlos Pace erleben. Das Qualifying zum Grand Prix von São Paulo war wegen des andauernden Regens auf den Renntag verschoben worden, auf 7 Uhr 30, also auf eine frühe Startzeit, wie es sie noch nie in der GP-Geschichte gegeben hat. Und schon um fünf Uhr morgens hatten sich die Fans warm gejubelt. Die brasilianischen Formel-1-Anhänger gehören zu den leidenschaftlichsten, obwohl sie seit Ende 2017 keinen einheimischen Stammfahrer mehr in der Königsklasse haben.

Das wird sich in der nächsten Saison ändern, ja für die Fans in São Paulo erfüllt sich gar eine Prophezeiung. Denn immer dann, wenn sich am letzten Wochenende ein junger Mann im papayafarbenen Hemd in der Boxengasse von Interlagos gezeigt hatte, waren sie in Begeisterungsstürme ausgebrochen – wegen einem, der zurzeit noch zum Junior-Kader von McLaren gehört: Gabriel Bortoleto. Am Mittwoch dann wurde bekannt, dass jener Bortoleto die Farben wechselt: Der 20 Jahre alte Paulista wird ab 2025 für Sauber-Audi an den Start gehen.

Die Triumphe von Fittipaldi, Piquet und Senna – Barrichello hingegen wurde nicht ins Herz geschlossen

Drei Brasilianer vereinen acht WM-Titel auf sich. Emerson Fittipaldi in den siebziger Jahren, Nelson Piquet in den Achtzigern und später Ayrton Senna prägten den Top-Motorsport und entfachten in ihrer Heimat Euphorie. Dank ihnen ist Brasilien in der Formel 1 eine bedeutende Nation; sie liegt in der Länderwertung nach Fahrer-WM-Titeln auf dem dritten Rang, hinter Grossbritannien (20) und Deutschland (12). Zum Vergleich: Das Motorsport-Land Italien ist in dieser Wertung nur an neunter Stelle klassiert.

Nur: Seit 1991 gab es für Brasilien keinen weiteren Titel mehr, Senna verstarb 1994 bei einem Rennunfall in Imola. Einmal noch, 2008, war ein Brasilianer ganz nah dran, seine Landsleute zu erlösen, aber Felipe Massa verlor den schon sicher geglaubten WM-Titel in der letzten Kurve in São Paulo an Lewis Hamilton. Rubens Barrichello hingegen, mit 323 Einsätzen in der Formel 1 eine Art Ausdauer-Champion, wurde von den Brasilianern nie wirklich ins Herz geschlossen.

Massa war 2002 im Auftrag von Ferrari in Hinwil vom Sauber-Rennstall ausgebildet worden. Und er war nicht der erste brasilianische Pilot, der im Schweizer Team angedockt hatte: Vor der Jahrtausendwende war Pedro Diniz, Sohn eines Supermarkt-Königs, ein klassischer Bezahlfahrer.

Kurze Zeit später sollte mit Enrique Bernoldi ein brasilianisches Talent die Geschicke des Sauber-Teams auf ganz andere Art bestimmen: Bernoldi wurde vom Red-Bull-Patron Dietrich Mateschitz protegiert, der damals Miteigentümer des Rennstalls war. Peter Sauber hingegen war gegen die Verpflichtung, worauf sich die beiden Männer so zerstritten, dass der Österreicher auf eigene Faust sein Glück suchte – sonst wäre damals wohl aus Sauber Red Bull Racing geworden. Bernoldi schaffte den Durchbruch nie.

Gabriel Bortoleto kommt, wie nahezu alle Top-Fahrer seiner Generation, bereits mit einer langen Vita daher. Im Alter von sechs Jahren sass er in einem Renn-Kart. Als Teenager dann wurde er nach Europa geschickt, um sich eine richtige Rennfahrer-Ausbildung anzueignen. Daraus resultierten EM- und WM-Titel im Kartsport.

2023 schaffte er den Sprung in die Formel 3 und gewann in dieser auf Anhieb den Titel. In der laufenden Saison ist er Rookie in der Formel 2 und führt diese vier Rennen vor Schluss an. Beide Nachwuchsklassen derart zu dominieren, das war zuvor nur Charles Leclerc, George Russell und Oscar Piastri gelungen, allesamt unterdessen Spitzenfahrer in der Formel 1.

Das Cockpit in Hinwil war eines der letzten, das für die nächste Formel-1-Saison zu vergeben war. Warum Bortoleto den Vorzug gegenüber dem 35 Jahre alten Finnen Valtteri Bottas bekommen hat, der als Ersatzmann zu Mercedes zurückkehren könnte, versucht der Audi-Vorstandsvorsitzende Gernot Döllner mit strategischen Überlegungen zu begründen: «Wir erleben einen Generationenwechsel in der Formel 1. Jungen Fahrern gelingt häufig auf Anhieb ein überzeugender Auftritt. Diese Vertragsunterzeichnung unterstreicht die langfristige Strategie von Audi ebenso wie unser Bekenntnis zur Formel 1.» Das zweite Sauber-Audi-Cockpit wird 2025 der deutsche Routinier Nico Hülkenberg besetzen.

Die durchaus sinnvolle Mischung aus Talent und Erfahrung hat jedoch auch mit Zögerlichkeit bei der Fahrerwahl des inzwischen entthronten Audi-Statthalters Andreas Seidl zu tun. Lange wurde um Carlos Sainz junior gepokert, bis dieser entnervt zu Williams wechselte. Auch mit Esteban Ocon wurde vergeblich verhandelt. Für Mattia Binotto als Seidls Nachfolger war die Besetzung des zweiten Cockpits daher eine der dringlichsten Pendenzen innerhalb der Transformation. Just an seinem ersten Arbeitswochenende für Sauber in Monza erlebte Binotto, wie Bortoleto im Formel-2-Rennen von Platz 22 aus zum Sieg fuhr.

Im Hintergrund buhlt Globo TV aus Brasilien mit Macht um ein Comeback in die Formel 1

Döllner irrt nicht – Verjüngung liegt gerade im Trend. In der nächsten Saison geht der 19-jährige Brite Oliver Bearman für Haas an den Start, nachdem er als Ferrari-Ersatzpilot überzeugt hat. Der 21-jährige Australier Jack Doohan, Sohn des früheren Motorrad-Weltmeisters Mick Doohan, wird im Alpine-Auto sitzen. Und Mercedes geht mit dem 18 Jahre alt gewordenen Italiener Andrea Kimi Antonelli ein noch höheres Risiko ein.

Zuletzt überzeugten die Ersatzfahrer Franco Colapinto aus Argentinien und Liam Lawson aus Neuseeland, 21 und 22 Jahre alt, mit Punktgewinnen. In diesem Kontext erklärt sich, warum Bortoletos Verpflichtung mehr ist als eine Notlösung. Das Risiko erscheint vergleichbar gering: Schlägt der Brasilianer wie erhofft ein, kann er langfristig an das Team gebunden werden. Erfüllen sich die Hoffnungen nicht, gibt es auf dem Fahrermarkt genug Alternativen.

Was nicht unerheblich ist: Im Hintergrund buhlt Globo TV aus Brasilien, das grösste lateinamerikanische Fernsehnetzwerk, mit Macht um die Rückkehr in die Formel 1. Ein einheimischer Fahrer ist dabei das beste Argument. Und es haben sich brasilianische Sponsoren formiert, diese Bemühungen zu unterstützen. Das mag bei Bortoletos Aufnahme ins Sauber-Team geholfen haben, falls McLaren auf eine Ablösesumme für ihn bestanden haben sollte. Die offizielle Lesart ist allerdings die: Dass der McLaren-Teamchef Andrea Stella bis Ende 2026 keinen Fahrersitz frei hat und Bortoletos Karriere nicht im Weg stehen wollte. Stella ist ein alter Bekannter von Mattia Binotto aus Ferrari-Zeiten.

Der eigentliche Strippenzieher hinter Bortoletos Aufstieg heisst jedoch Fernando Alonso. Seit zwei Jahren berät der zweifache Weltmeister den Brasilianer und lehrt ihn vor allem taktische Schachzüge. Alonso, mehr als doppelt so alt wie Bortoleto, sagt: «Gabriel nimmt die Dinge sehr ernst – was in seinem Alter keine Selbstverständlichkeit ist.»

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