Mittwoch, November 27

Der legendäre Wall-Street-Banker kritisiert die komplexen Regeln, mit denen Banken heute behindert werden, und den «Hyperfokus» auf die Frage, wie viel Kapital Banken brauchen. Der neuen UBS stärkt er den Rücken, die Schweiz brauche einen grossen nationalen Champion.

Herr Dimon, den Banken geht es zwar glänzend. Aber die letzte Krise ist nicht lange her. Im März 2023 gingen etliche amerikanische Regionalbanken bankrott, und in der Schweiz musste die Credit Suisse von der UBS gerettet werden. Wie gut wurden diese Krisen bewältigt?

Einige sagten, diese Krisen seien gut für JP Morgan gewesen. Das stimmt nicht. Das Scheitern von Credit Suisse und Silicon Valley Bank war schlecht für alle Banken. Es hat deren Sicherheit und Substanz, aber auch die Bankregeln, die man eingeführt hat, infrage gestellt. In den USA wurde die Krise okay gehandhabt. Bei der Silicon Valley Bank wie bei First Republic ist das Management für das Geschehene verantwortlich. Sie wussten, wo sie investiert waren. Auch die Bankenaufseher wussten Bescheid.

Und wie schätzen Sie den Umgang mit der CS-Krise und die Notfusion mit der UBS ein?

Man hatte keine Wahl, weil die Credit Suisse eine so grosse Bank war. Um eine Zwangsfusion durchzuführen, wie wir bei JP Morgan es während der Finanzkrise mit Bear Stearns gemacht haben, braucht es eine grosse Bank. Eine kleinere kommt nicht infrage, auch die Regierung kann hier nicht einspringen.

Der Chef der US-Bankenaufsicht, Martin Gruenberg, sagt, die Credit Suisse hätte in die Insolvenz gehen sollen. Die Pläne dafür seien vorhanden gewesen.

Auf solche Aussagen gebe ich nicht viel. Ich glaube, in der Schweiz wurde das Richtige getan, um den Schaden möglichst klein zu halten. Eigentlich ist es ein ideales Szenario: In der amerikanischen Regionalbankenkrise übernahmen wir die havarierte First Republic Bank – dann war die Krise vorbei, und niemand sprach mehr darüber. Natürlich war die Credit Suisse ein viel grösserer und komplizierterer Fall. Ich kenne auch nicht alle Optionen, die auf dem Tisch lagen. Im Grunde war die CS-Übernahme bloss eine andere Form der Abwicklung.

Was ist im März 2023, als es mit der CS zu Ende ging, persönlich in Ihnen vorgegangen. Waren Sie besorgt?

Um JP Morgan habe ich mir keine Sorgen gemacht. Ich habe mich jedoch um das Finanzsystem gesorgt. Ich glaubte zwar nicht, dass es zugrunde gehen würde, aber wir gingen all unsere Anlagen detailliert im Rahmen unserer routinemässigen Management-Prozesse durch. Ich bin sicher, dass das alle Banken gemacht haben. Jedes Scheitern einer Bank ist ein bedauerlicher Vorfall. Ich würde es vorziehen, wenn es nicht passieren würde.

Welche Lehren müssen die Grossbanken aus dem Scheitern der CS ziehen? Was haben Sie für JP Morgan gelernt?

Es gibt viele Lehren, die wir daraus ziehen können. Aber dieser Hyperfokus auf das Kapital und auch auf die Governance ist fehlgeleitet. Natürlich muss der Verwaltungsrat das Management überwachen, die Gewinne richtig allozieren und die Risiken im Griff haben; auch mit der Liquidität muss man sehr sorgfältig umgehen. Es gibt so viele Regeln für die Banken, doch sie halfen nicht, das Problem zu lösen. Man muss eine Obduktion machen und analysieren, wie man das lösen kann.

In der Schweiz empfiehlt der Bundesrat unter anderem, dass die UBS mehr Kapital für ihre Auslandtöchter halten soll. Wenn Banken mehr Kapital halten, schlafen die Politiker besser.

Man kann das Risiko ganz eliminieren, wenn man das will. Doch Vorsicht ist geboten, dass man nicht falsch argumentiert. Zu hohe Kapitalanforderungen an die Banken haben negative Folgen: In den USA sehen die Behörden wachsende Risiken bei Hypothekenvermittlern, private Kreditvergaben wachsen und könnten zu einem systemischen Problem werden. Unternehmen werden aus den öffentlichen Märkten verdrängt und werden immer öfter in privaten Händen gehalten. Grund dafür sind all diese Regeln, Vorschriften und Richtlinien der Regulatoren. Sie schränken den Zugang zu diesen Anlagen für andere Leute ein.

Wie sonst können Banken sicherer gemacht werden?

Es kommt darauf an, was man will. Ich glaube, man könnte ein System bauen, in dem es keine Bank-Runs mehr gibt. Doch bei der Credit Suisse wie bei der Silicon Valley Bank war Kapital nicht das Problem. Die Silicon Valley Bank hatte die Fristenkongruenz ihrer Anleihen nicht im Griff, das ist ein Problem in der Buchhaltung. Die Credit Suisse wiederum hatte nochmals eigene Probleme.

Die Kapitaldiskussion ist Ihrer Ansicht nach also müssig.

Natürlich braucht es genug Kapital und Liquidität, damit eine Bank sicher ist. Und sollte es zu einer Abwicklung kommen, sollte der Steuerzahler nie Geld verlieren. Für Leute, die nicht verstehen, worum es geht, ist es simpel, einfach «mehr Kapital» zu fordern. Aber die meisten Banken haben genug davon. JP Morgan hat heute mehr als 500 Milliarden Dollar Eigenkapital. Wir haben 1,5 Billionen Dollar in Cash und handelbaren Wertpapieren – eines Tages werden Sie fragen, warum wir so viel halten und nicht in der Realwirtschaft investiert haben. Was ist der Preis, den die Gesellschaft dafür zahlt?

Doch wenn etwas schiefläuft, steht der Steuerzahler gerade. In den USA musste die Einlagensicherung FDIC die Kunden auszahlen und die Übernahme der gescheiterten Banken organisieren.

In den USA werden diese Kosten uns Banken weiterbelastet. Wir haben 15 bis 20 Prozent an die 30 Milliarden in die gemeinsam getragene Versicherung bezahlt, welche die FDIC vorsieht. Wenn diese Versicherung schlecht verwaltet wird, müssen wir Banken den Preis dafür zahlen. Wenn eine Bank scheitert, übernehmen wir sie lieber gleich selbst. Auf diese Weise zahlt das Bankensystem für die eigenen Fehler.

Doch die Abwicklung einer grösseren Bank ist doch kaum umsetzbar. Der Abwicklungsplan für JP Morgan umfasst 80 000 Seiten.

Wir sollten alle auf die Sicherheit des Finanzsystems fokussiert sein. Diese Art von Plänen wird nie wie vorgesehen funktionieren, und sie werden auch nicht zur Anwendung kommen, wenn es ein Problem gibt.

Was wird dann zur Anwendung kommen?

Im Notfall funktionieren werden das Bail-in-Kapital, die AT1-Bonds und die Liquiditätsmassnahmen. Das kann funktionieren: 1994 übernahm die FDIC die Bank Continental Illinois. Doch als wir während der Finanzkrise Bear Stearns übernahmen, hatten die Behörden nicht die juristische Kompetenz, es zu tun. Sie hatten auch nicht die Kompetenz, Lehman Brothers zu übernehmen, deshalb kam es zu einem ungeordneten Bankrott. Dabei hätte eine Rettung unter den neuen Dodd-Frank-Regeln funktionieren können.

Die Frage bleibt: Wie macht man die Banken sicherer, so dass die Gesellschaft im Notfall die Kosten einer Bankenkrise nicht tragen muss?

Es ist an der Zeit, das gesamte System zu überdenken. Was soll innerhalb des Bankensystems gemacht werden, was ausserhalb? Auch grosse Banken müssen scheitern können, ohne das gesamte Finanzsystem zu gefährden. Es ist machbar. Aber nicht so, wie wir es momentan angehen. Wir fügen nur weitere Schichten von Regeln und Vorschriften und Kapital hinzu. Die Öffentlichkeit sollte wissen, dass sie nicht den Preis dafür zahlen muss, wenn eine Bank versagt.

Die Credit-Suisse-Krise und der Umgang mit den Russland-Sanktionen haben den Schweizer Finanzplatz beschädigt. Hongkong könnte die Schweiz bald übertrumpfen. Teilen Sie diese Einschätzung?

Die Schweiz sollte einen grossen nationalen Champion haben. Ich würde das wollen, wenn ich in der Regierung sässe. Die Expertise, die es hier im Finanzbereich gibt, bleibt bestehen. Europa hat ein Interesse an starken Kapitalmärkten, insofern wäre auch eine Kapitalmarktunion erstrebenswert. Banken, die paneuropäisch agieren, sind diversifizierter und profitieren von Skaleneffekten, das macht sie global kompetitiver.

Wo sehen Sie denn derzeit die grössten Risiken für globale Banken wie JP Morgan?

Die Leute reden viel über das Wirtschaftswachstum, die Inflation. Ich sehe das als ein kleineres Risiko. Im Zentrum steht die Geopolitik. In Europa gibt es einen grossen Landkrieg mit Tausenden Opfern. Es gibt eine nukleare Bedrohung, terroristische Aktivitäten in Israel. Das beeinflusst das Verhältnis Europas und der USA zu China. Das kann sich entschärfen oder den weiteren Gang der Dinge bestimmen. Es geht nicht um die Wirtschaft, es geht um Freiheit und Demokratie in den nächsten hundert Jahren.

Dennoch gelingt es JP Morgan, trotz wirtschaftlichem Gegenwind besser als andere Banken zu wirtschaften. Kann das so weitergehen?

Ein Teil unserer Überperformance ist darauf zurückzuführen, dass unsere Kreditkosten sehr niedrig sind. Die Zinsstruktur ist nicht nur für uns, sondern für alle Banken sehr vorteilhaft. Die Wirtschaft ist wie das Wetter, man kann es nicht beeinflussen; und wir wollen unsere Kunden und Märkte bedienen, egal ob gerade die Sonne scheint.

Wie sehen Sie die wirtschaftliche Entwicklung im kommenden Jahr?

Was in ein oder zwei Jahren der Fall sein wird, ist nicht vorhersehbar. Im Jahr 1972 etwa war die wirtschaftliche Situation gut, 1974 brach alles zusammen. 1987 war zunächst alles grossartig, aber auch dann brach die Börse um 25 Prozent ein. 1998 kam es zu einer Immobilienrezession, dann folgte die Internetblase und 2007 die grosse Finanzkrise. Wir bereiten uns für gute wie schlechte Zeiten vor. Das ist so, seit ich diese Firma aufgebaut habe.

Neben dem regulierten Bankensystem gibt es auch ein weniger reguliertes Finanzsystem. Wo sehen Sie dort die Risiken?

Es ist schwierig, keine Risiken zu sehen. Aber sie sind nicht so ausgeprägt wie während der Finanzkrise mit ihren fragwürdigen Anlagevehikeln und gehebelten Fonds. Heute gibt es Dinge wie private Kreditvergaben. Diese Produkte bieten Vorteile, aber es gibt auch Negatives: wenig Transparenz und wenig Liquidität. Und nicht immer wissen die Käufer, worauf sie sich einlassen. Viele Anbieter haben zu wenig Erfahrung und sehen nicht, welchen Stress der Zinsanstieg bewirkt: Gehen die 10-Jahres-Renditen um 3 Prozent in die Höhe, sind Vermögenswerte 30 Prozent weniger wert – sei es eine Immobilie oder ein Venture-Fonds. Ich bin nicht sicher, ob private Kreditnehmer auf einen solchen Wertrückgang vorbereitet sind. Es ist nicht systemisch, aber neue Produkte bereiten oft Probleme.

Im Wahlkampf um die US-Präsidentschaft werden Sie als möglicher Ersatzkandidat der Demokraten genannt. Würden Sie einem solchen Ruf folgen?

Die Demokraten haben ihren Kandidaten, die Republikaner auch. Ich hoffe einfach, dass der nächste Präsident, wer auch immer es ist, alle Amerikaner berücksichtigt und fähige Leute ins Kabinett nimmt, Experten aus allen Feldern. Wenn ich es wäre, würde ich auch Republikaner ins Kabinett nehmen und mich regelmässig mit der Opposition treffen.

Was sagen Sie zum Attentat auf den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump?

Wir sind zutiefst traurig über die politische Gewalt und das Attentat auf den ehemaligen Präsidenten Donald Trump. Die Gedanken des gesamten Führungsteams sind bei dem ehemaligen Präsidenten, seiner Familie und den Familien derer, die auf tragische Weise verletzt und getötet wurden. Wir müssen uns alle gemeinsam entschieden gegen Hass, Einschüchterung und Gewalt wenden, die unsere Demokratie untergraben oder uns Schaden zufügen wollen. Nur durch einen konstruktiven Dialog können wir die schwierigsten Herausforderungen unseres Landes bewältigen.

Welcher US-Präsident wäre für die Wirtschaft die bessere Wahl?

Beide Kandidaten wollen viel Geld ausgeben. Das hat kurzfristig positive Implikationen. Längerfristig muss es sich noch weisen.

Die Wirtschaft in den USA brummt zwar weiterhin, doch sind die Leitzinsen nicht zu hoch?

Das Fed hatte der Welt Zinsen von 2 Prozent in Aussicht gestellt. Es lag falsch und sollte sich fragen, warum es falschlag. Dann hob das Fed die Zinsen schnell, aber spät auf 5 Prozent an. Die Inflation bewegt sich nun in die richtige Richtung. Aber es wäre gut, wenn das Fed abwarten würde. Es gibt gute Gründe, warum die Inflation künftig wieder steigen könnte: die zunehmenden Staatsausgaben, die Remilitarisierung der Welt, die enormen Investitionen in die grüne Wirtschaft, die neuen Handelsstrukturen.

Die Staaten geben weiter munter Geld aus, eine Schuldenkrise droht. Müssen die westlichen Staaten ihre Ausgaben dringend kürzen?

Irgendwann schon. Die USA haben Nettoschulden von 30 Billionen Dollar, das entspricht dem gesamten Bruttoinlandprodukt. In zehn Jahren werden es 120 Prozent sein. Mit 6 Billionen Dollar haben wir das grösste Staatsdefizit, das wir in Friedenszeiten je hatten. Ist das zu viel? Ich weiss es nicht. Aber wir sollten es nicht herausfinden und auch nicht durch den Markt dazu gezwungen werden – das wäre der schlechteste Weg. Gleichgültig, wer US-Präsident wird, er muss anerkennen, dass wir ein Problem haben. Und wir müssen es angehen, bevor es zu spät ist.

Sie sind jetzt 68 Jahre alt, gehören zu den Banken-CEO, die am längsten im Amt sind. Steht Ihre Nachfolgeplanung?

Es gibt einen Plan, aber die Entscheidung obliegt dem Verwaltungsrat, nicht mir. Er kennt die Kandidaten sehr gut, sie sind sehr fähig. Aber genauso wichtig ist, dass sich der Verwaltungsrat fragt: Haben sie Mut, Herz, Neugierde, ein Arbeitsethos, und kann man ihnen vertrauen? Es ist wichtig, dass der Verwaltungsrat auch ohne mich mit den Kandidaten redet. Er hat vollen, direkten Zugang zu ihnen. Wir berücksichtigen auch Externe, aber es wird sehr wahrscheinlich jemand Internes sein.

Und wie lange wollen Sie noch im Amt bleiben?

Ich entscheide das nicht allein. Ich war einige Jahre CEO. Diese Entscheidung ist Sache des Verwaltungsrats.

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