Als Auftakt zum Heiligen Jahr öffnet Papst Franziskus am 24. Dezember im Petersdom die Heilige Pforte. Diese wurde vom Bistum Basel finanziert – eine wenig bekannte Spende, die dank einem Vermittler mit problematischer Vergangenheit zustande kam.
«Sanpietrino» ist in Rom ein geläufiges Wort mit verschiedenen Bedeutungen. Die am meisten verbreitete: Pflasterstein. Die dunklen römischen Sanpietrini zieren die Strassen im Stadtzentrum und sind, weil oft nachlässig angebracht, für Rollstuhlfahrer, ältere Menschen oder Liebhaberinnen spitzer Absätze ein echtes, wenn auch hübsch anzusehendes Hindernis. Dieser Tage ist viel von anderen Sanpietrini die Rede: Es sind damit die Handwerker und Restauratoren der vatikanischen Dombauhütte gemeint, die mit der Instandhaltung und Dekoration des Petersdoms beauftragt sind.
Eine eingemauerte Metallkiste
Kürzlich hatten sie einen vielbeachteten Auftritt. Sie durchbrachen im Petersdom die Mauer, die die Heilige Pforte im Innern der Basilika versiegelt, und holten eine Metallbox heraus, die nach Abschluss des letzten Heiligen Jahres dort eingemauert worden war. Die Kiste enthält zentrale Symbole des Jubiläumsjahres: den Schlüssel zur Öffnung der Pforte, die Türgriffe, ein Pergament mit der Schliessungsurkunde des letzten Jubiläums, vier goldene Steine sowie Medaillen aus verschiedenen Pontifikaten. «Recognitio» heisst der Ritus, der den Countdown zur Eröffnung des Heiligen Jahres einläutet.
An Heiligabend wird es so weit sein: Papst Franziskus wird die Heilige Pforte von aussen öffnen. Ab dann steht die Ewige Stadt im Zeichen des «Giubileo», wie man das alle 25 Jahre stattfindende Heilige Jahr nennt (wobei es dazwischen mitunter ausserordentliche Jubiläen gibt wie dasjenige von 2015).
Wer dann durch die Pforte schreitet oder andere, speziell bezeichnete Wallfahrtsorte oder heilige Stätten besucht, betet, die Beichte ablegt und die Kommunion empfängt, kann einen «vollkommenen Ablass, den Erlass und die Vergebung der Sünden erlangen, der den Seelen im Fegefeuer zukommt», heisst es im Schreiben der Apostolischen Pönitentiarie, einer der obersten katholischen Behörden mit juristischen Befugnissen.
Dreissig Millionen zusätzliche Besucher werden im Heiligen Jahr in Rom erwartet, viele von ihnen werden die Pforte im Petersdom durchschreiten. Für sie wird das ein hochsymbolischer Akt sein – ein Gang zum Erbarmen, zum Verzeihen, zum Zuspruch.
Türen, Tore und Pforten haben seit je in allen, auch nichtchristlichen Kulturen eine besondere Bedeutung. Diejenige im Petersdom geht auf das 15. Jahrhundert zurück. Und die Sitte, das Heilige Jahr mit der Öffnung der Pforte zu beginnen, existiert seit 1500, seit dem bedeutenden Borgia-Papst Alexander VI.
Versteckte Inschrift
Das Ritual lebt seither weiter, aber die Türe musste, da altersschwach, mitunter ersetzt werden, so auch im 20. Jahrhundert. Es war Papst Pius XII., der sogenannte «Schweigepapst» des Zweiten Weltkrieges, der die heutige Pforte anfertigen liess. Als eigentlicher Auftraggeber fungierte ein deutscher Prälat namens Ludwig Kaas, Theologe, Kurienmitarbeiter und Verantwortlicher der Dombauhütte. An Heiligabend 1949, rechtzeitig zum Auftakt des Heiligen Jahres 1950, war das Tor bereit.
Diese neue «Porta Santa» zeigt Szenen aus der Heilsgeschichte und enthält neben den Reliefs zwei Inschriften, die – weitgehend unbekannt – von den besonderen Umständen jener Nachkriegsjahre erzählen. Auf der vorderen Seite wird der Name des Prälaten Kaas erwähnt, und auf der Rückseite, sichtbar erst, wenn in Heiligen Jahren jeweils die Mauer abgetragen wird, verweist die Inschrift auf die Spender des Tores: «Franziskus von Streng, Bischof von Basel und Lugano, schenkte mit der Herde seiner Gläubigen im Jahr des grossen Jubiläums 1950 die Flügel der Heiligen Pforte», heisst es darauf in lateinischer Sprache. Er sei dankbar gegenüber «Pius XII., dem höchsten Papst und unerschütterlichen Friedensstifter». Das Geschenk sollte als Geste der Dankbarkeit dafür verstanden werden, dass die Schweiz vom Weltkrieg verschont blieb.
Dass der Auftraggeber auf der prominenteren vorderen und die Spender nur auf der meist versteckten hinteren Seite genannt wurden, gab zu Spekulationen Anlass und wurde vom Schweizer Theologen Hans Küng beargwöhnt: «Auch dies ist alte römische Tradition: für die eigenen Lorbeeren andere bezahlen lassen», schrieb der rebellische Katholik in seinen Erinnerungen. Doch es scheint einen praktischen Grund dafür gegeben zu haben. Die Schenkung im Wert von 20 000 Franken kam erst zustande, als die Bronzereliefs schon fertiggestellt waren.
Zwischen den beiden auf der Vorder- beziehungsweise der Rückseite der Türe erwähnten Männern – Kaas und von Streng – gab es eine Verbindung. Persönliche Beziehungen des deutschen Prälaten zum Basler Bischof sollen der Grund dafür gewesen sein, dass diese Schweizer Spende überhaupt zustande gekommen sei, heisst es in einer früheren Schrift des Bistums Basel.
Vorgeschichte in der Weimarer Republik
Darüber, wie diese Kontakte zustande kamen, ist wenig bekannt. Bischof Franz von Streng wird im Historischen Lexikon der Schweiz als ein gegenüber Laien, Jugendlichen und Familien aufgeschlossener Kirchenmann dargestellt. Gleichzeitig soll er «auf ein gutes Einvernehmen mit den Behörden» geachtet und die – restriktive – Flüchtlingspolitik des Bundes während des Zweiten Weltkriegs «vorbehaltlos» unterstützt haben.
Über Ludwig Kaas seinerseits besteht dagegen eine umfangreiche Literatur. Kaas war vor der Anstellung im Vatikan in seiner deutschen Heimat Präsident der Zentrumspartei während der Weimarer Republik. Er sorgte dafür, dass seine Partei Hitlers Ermächtigungsgesetz am 23. März 1933 zustimmte. Und er war wohl auch mit dafür verantwortlich, dass die deutschen Katholiken nur Tage später ihre davor immer wieder ausgesprochenen Verurteilungen des Nationalsozialismus «überraschend» zurücknahmen und so «auch gläubigen Katholiken die Mitarbeit im Dritten Reich» ermöglichten, wie der Historiker Hubert Wolf schreibt. Kaas verstarb 1952 in Rom, eine Grabplatte auf dem Campo Santo Teutonico erinnert an sein Wirken im Vatikan.
Ein deutscher Prälat mit problematischer Vergangenheit, ein Basler Bischof, der den zu den Nazi-Greueln schweigenden Papst Pius XII. vier Jahre nach Kriegsende als unerschütterlichen Friedensfürsten lobt: Die Heilige Pforte im Petersdom birgt überraschende Geschichten an der Schnittstelle zwischen dem Zweiten Weltkrieg und dem beginnenden Kalten Krieg.
Die neuen geopolitischen Realitäten beeinflussten auch das Heilige Jahr 1950. Der beim Durchschreiten der Pforte in Aussicht gestellte Ablass galt nämlich keineswegs für alle. Am 1. Juli 1949 hatte die oberste vatikanische Glaubensbehörde jene Gläubigen mit der Exkommunikation bedroht, die sich zum Kommunismus bekannten und ihn verbreiteten.
Kein Ablass für Kommunisten
Folgerichtig durften sie auch im Heiligen Jahr keine Vergebung erwarten. Den Pönitentiaren wurde es förmlich untersagt, den von der Exkommunikation betroffenen Kommunisten einen Ablass zu gewähren – es sei denn, sie hätten zuvor «aufrichtig und wirksam Einsicht» gezeigt, wie der Historiker Ugo Taraborrelli aus einem offiziellen Dokument zitiert. Taraborrelli arbeitet im Archiv der apostolischen Pönitentiarie in Rom und hat die entsprechenden Akten studiert.
So jovial der Gegensatz zwischen Katholiken und Kommunisten in den Don-Camillo-und-Peppone-Filmen jener Jahre verhandelt wurde, so beinhart war also der Antikommunismus der von Pius XII. geführten Kirche. In Italien, wo damals bestimmt in jeder zweiten Familie ein Kommunist war, liess sich diese Politik der Kurie allerdings kaum umsetzen. Formal aufgehoben wurden die Dekrete bis heute nicht. Doch die gelebte Praxis und die Geschichte haben die Normen längst abgeschliffen.
1950 sollte das Heilige Jahr ein Zeichen setzen nach dem Grauen der Kriegsjahre. Vieles war damals noch roh, unverarbeitet, unverdaut – es zeigt sich in den geschilderten Episoden und Reglementen. 1975 stand das «Giubileo» dann im Zeichen der Erneuerung nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, im Jahr 2000 machte es Johannes Paul II. zum Ausgangspunkt für das neue Millennium. Und 2025? «Spes non confundit», lautet der Titel der entsprechenden Bulle von Papst Franziskus. Frei übersetzt: Die Hoffnung enttäuscht nicht. Angesichts der andauernden Kriege eine nachvollziehbare – und zeitgeistige – Losung für alle die Heerscharen von Pilgern, die bald über Roms Sanpietrini stolpern werden.

