Dienstag, November 19

Top an der EM, Flop in der Nations League: Die Schweizer Fussballer beenden ein seltsames Länderspiel-Jahr mit einer 2:3-Niederlage beim Europameister Spanien.

Es ist ein stimmungsvolles Finale eines ereignisreichen Schweizer Länderspiel-Jahres: Mit 2:3 verliert das Fussball-Nationalteam am Montagabend in Teneriffa gegen den Europameister Spanien in einer Begegnung, in der es teilweise überfordert ist. Den Schweizern gelingt nach der Pause zweimal der Ausgleich, das Elfmeter-Gegentor in der Nachspielzeit egalisieren sie beinahe auch.

Es ist ein munteres Spiel ohne signifikanten Erkenntniswert, weil bei beiden Mannschaften zahlreiche Stammkräfte fehlen. Der Nationaltrainer Murat Yakin nutzt den Auftritt auf der Ferieninsel endlich zu einer Kaderschau – und nach der Niederlage schüttelt er lange Hände mit dem spanischen Nationaltrainer Luis de la Fuente.

Es ist in diesem Moment schwer vorstellbar, dass sich die beiden Trainer vor vier Monaten im EM-Final hätten gegenüberstehen können. Doch dieser Gedanke passt zu einem ziemlich verrückten Schweizer Länderspiel-Jahr, das sich anfühlte wie eine Achterbahnfahrt.

Angefangen hat es im März mit einer Nullnummer im Testspiel in Dänemark. Die NZZ titelte: «Ein 0:0 für ein besseres Gefühl.» Hinter der Nationalmannschaft lagen schwierige Monate, der Trainer Yakin war angezählt, aber er hatte die Krise vom Herbst 2023 – für viele überraschend – überstanden. Yakin sagte in Kopenhagen, es gehe in diesem EM-Jahr vor allem darum, defensive Stabilität zu gewinnen.

Das schaffen die Schweizer. Und noch viel mehr. Sie spielen sich im Sommer an der EM in Deutschland in einen Rausch. Weil Yakins taktische Kniffe aufgehen. Und weil das Team, getragen von den herausragenden Manuel Akanji und Granit Xhaka, über sich hinauswächst. Am Ende des Jahres aber lässt sich festhalten: Die Schweizer tanzten nur ein paar Wochen.

Diese kurze Zeit an der EM genügte, um Yakins Standing massiv zu erhöhen, vielleicht zu überhöhen. Der Nationaltrainer irritiert immer noch zuweilen mit seiner Kommunikation und mit seinen Überlegungen. Doch er hat an der EM bewiesen, dass er ein starker Turniertrainer sein kann. Und deshalb gibt es diesmal im Herbst keine Debatte über Yakin.

Wer spielt neben Akanji? Und wer im Sturm?

Dabei sieht die triste Bilanz so aus: 2 Siege aus den letzten 15 Pflichtspielen. Es waren Siege im richtigen Moment, im EM-Eröffnungsspiel gegen Ungarn und im EM-Achtelfinal gegen Italien. Aber Yakin hat nach der Euro keine Strategie vorgelegt, wie der personelle Umbruch nach den Rücktritten von Goalie Yann Sommer, Verteidiger Fabian Schär und Kreativkopf Xherdan Shaqiri vollzogen werden soll.

Zwei Punkte aus sechs Partien in der Nations League sind angesichts der keineswegs überragenden Gegner Dänemark und Serbien eine klägliche Bilanz. Yakin verwies in den letzten Wochen zu oft auf umstrittene Entscheide der Schiedsrichter, auf fehlendes Spielglück, auf mangelnde Effizienz.

2025 wird Yakin darlegen müssen, dass er sich nicht nur auf seine Intuition und auf sein Gambling-Gen verlassen will. Er wird dabei mehr denn je darauf angewiesen sein, dass sich seine besten Fussballer in stärkster Verfassung präsentieren.

Der Abstieg aus der Nations League ist verkraftbar, abgerechnet wird in der kommenden WM-Qualifikation. Yakin weiss das. Und das Gerüst um den Torhüter Gregor Kobel, um Akanji und Xhaka, um die routinierten Ricardo Rodriguez und Remo Freuler sowie um die Aussenspieler Dan Ndoye und Ruben Vargas steht.

In der Defensive sucht Yakin nach dem Rücktritt Schärs immer noch den richtigen Partner für Akanji in der Innenverteidigung. Und in der Offensive ist es Yakins Aufgabe, die passende Besetzung zu finden. Zeki Amdouni ist zurzeit der wirkungsvollste Schweizer Angreifer, Breel Embolo und Noah Okafor stagnieren.

Die unterschiedlichen Gespräche mit Pierluigi Tami

Trotz den jüngst oft fehlerhaften Auftritten besitzt die Schweizer Nationalmannschaft zweifellos genug Substanz, um die WM-Qualifikation zu schaffen. Im Mittelfeld stehen Spieler wie Denis Zakaria, Vincent Sierro und Fabian Rieder für eine gewisse Kaderbreite. Der am Montag in Spanien überzeugende Yvon Mvogo ist eine starke Nummer zwei als Goalie.

Doch Yakin ist auch abhängig von der Entwicklung jüngerer Spieler wie der Verteidiger Aurèle Amenda und Albian Hajdari, des herausragenden Mittelfeldtalents Alvyn Sanches oder der wuchtigen Offensivkraft Joël Monteiro, der in Teneriffa ein kraftvolles Tor erzielte – aber wenige Minuten später auch ein Gegentor verschuldete.

Damit steht Monteiro sinnbildlich für dieses Nationalteam im Herbst: Zu oft zerstörte es sich eine günstige Ausgangslage gleich selbst. Dennoch ist die Lage Ende 2024 erfreulicher als Ende 2023. Das lässt sich auch an Gesprächen mit Pierluigi Tami festmachen. Vor einem Jahr sass der Direktor der Nationalmannschaften im trüben Schweizer November in Muri bei Bern am Hauptsitz des Fussballverbandes (SFV) und empfing die Medien zu Krisengesprächen. Draussen war es kalt und neblig, drinnen versuchte Tami zu erklären: warum der SFV an Yakin festhält, obwohl insbesondere Tami mehrmals den Eindruck hinterlassen hatte, den Trainer lieber heute als morgen loswerden zu wollen.

Am vergangenen Sonntagnachmittag sitzt Tami in einem Strassencafé in Puerto de la Cruz nahe dem Schweizer Teamhotel in Teneriffa. 27 Grad, Sonnenschein, Sommerfeeling. Tami ist gut gelaunt. Er erklärt noch einmal, wie Yakin vor einem Jahr den SFV mit einer brillanten Analyse davon überzeugt habe, der richtige Nationaltrainer zu sein. Und Tami erzählt ausführlich und mit Begeisterung, warum das Nationalteam trotz Ergebnisbaisse auf einem guten Weg sei: «Wir haben an der EM bewiesen, mit den besten Teams mithalten zu können.» Und: «Wir sind heute deutlich weiter als vor einem Jahr.»

So bizarr es angesichts der miserablen Bilanz klingen mag: Diese Analyse stimmt. Das Irrationale passt zu Murat Yakin. Der Nationaltrainer hat nun ein paar Monate Zeit, in aller Ernsthaftigkeit die korrekten Schlüsse aus diesem seltsamen Jahr zu ziehen. Er muss schon 2025 in Turnierform sein. Und darauf hoffen, dass sein kommunikativer und inspirierender Assistent Giorgio Contini weiter an seiner Seite stehen wird – und nicht erneut als Klubtrainer arbeiten möchte.

Auslosung der WM-Qualifikation: Die Schweiz liegt in Topf 1

Vorerst bleibt das Nationalteam bezüglich Verpackung und Inhalt eine Wundertüte. Alles ist möglich. Wie 2024. Beim nächsten Zusammenzug im März wird die Schweiz bereits das erste WM-Qualifikationsspiel bestreiten, sofern sie in eine Fünfergruppe gelost wird. Im Fall einer Vierergruppe geht es wohl erst im Juni los.

Die 16 europäischen Startplätze für die WM 2026 in den USA, in Mexiko und in Kanada mit neu 48 teilnehmenden Nationen gehen an die 12 Gruppensieger – die weiteren 4 Plätze werden die 12 Gruppenzweiten mit den besten 4 Teams der Nations League, die nicht Erste oder Zweite in der WM-Qualifikation geworden sind, ausspielen.

Die Schweiz wird bei der Auslosung der Gruppen am 13. Dezember in Topf 1 liegen. Und alles andere als eine Teilnahme an der WM wäre nach den Erfolgen in den letzten Jahren eine Enttäuschung. Am Montagabend in Teneriffa klang Murat Yakin nach 14 Gegentoren in sechs Nations-League-Spielen wie Anfang Jahr in Dänemark: «Wir müssen defensiv wieder stabiler werden.»

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