Donnerstag, März 20

Vordergründig will Netanyahu Druck auf die Hamas ausüben – und lässt nun sogar Bodentruppen aufmarschieren. Doch möglicherweise spielt auch eine wichtige Abstimmung im israelischen Parlament eine Rolle – sowie der neue Hausherr in Washington.

Israelische Bodentruppen kämpfen seit Mittwoch wieder im Gazastreifen. Das teilten Israels Streitkräfte am frühen Abend mit. Damit hat Israel den Konflikt weiter eskalieren lassen, nachdem es am Dienstag mit massiven Luftangriffen die Waffenruhe mit der Hamas gebrochen hatte. Gemäss der Armee handelt es sich um «gezielte Bodenaktivitäten» im Zentrum und im Süden des Küstenstreifens. Das Ziel sei, die Pufferzone an den Rändern sowie in der Mitte des Gazastreifens zu erweitern.

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Laut Ministerpräsident Benjamin Netanyahu sind die Angriffe eine Reaktion auf die gescheiterten Gespräche mit der Hamas, die mehrere Vorschläge zur Verlängerung der Waffenruhe abgelehnt habe. Weitere Verhandlungen sollen von jetzt an nur noch «unter Feuer» stattfinden, sagte Netanyahu am Dienstagabend.

Bereits seit Wochen steckten die Verhandlungen fest – auch weil die israelischen Unterhändler entgegen der ursprünglichen Vereinbarung keine Gespräche über die zweite Phase der Waffenruhe aufnehmen wollten. Diese sah ein Ende des Kriegs vor. Ohne diese Zusicherung wollte die Hamas wiederum keine weiteren Geiseln freilassen. Die Terrororganisation lehnte eine Verlängerung der ersten Phase ab, wie sie von Israel und den USA gefordert wurde.

Netanyahu erhöht nun schrittweise den militärischen Druck, um die Hamas zu Konzessionen zu zwingen. Doch in Israel vermuten einige, dass der Ministerpräsident den Krieg auch aus anderen Gründen wiederaufnimmt – unter anderem wegen einer Abstimmung im Parlament, die ihn sein politisches Überleben kosten könnte.

Die USA und Israel stehen Seite an Seite

Vor allem liess Israel aber wohl ein aussenpolitischer Faktor wieder zu den Waffen greifen: die Unterstützung der USA. Anders als unter der Präsidentschaft von Joe Biden kann sich Netanyahu mittlerweile sicher sein, dass er von Donald Trump keinerlei Einschränkungen erwarten muss. Als Israel vor mehr als zwei Wochen die Hilfslieferungen nach Gaza blockierte, stellte sich Washington hinter seinen Verbündeten. Die Angriffe auf den Gazastreifen waren sogar im Vorfeld mit den USA abgesprochen.

Israels Ministerpräsident hatte die Waffenruhe überhaupt erst widerwillig unter Druck von Trump akzeptiert. Damals vermuteten viele, dass der amerikanische Präsident vor allem Ruhe und ein schnelles Ende der Kämpfe um jeden Preis will. Doch jetzt scheint klar: Der amerikanische Präsident ist im Nahen Osten kein reiner Friedensbringer. Am vergangenen Wochenende flogen die USA massive Luftangriffe gegen die Huthi-Miliz in Jemen. Trump hat geschworen, Iran für weitere Attacken der Huthi direkt verantwortlich zu machen.

Laut dem israelischen Sicherheitsexperten Eitan Shamir sind die nahezu gleichzeitigen Angriffe der USA auf die Huthi und die israelischen Attacken gegen die Hamas kein Zufall. «So wird der Hamas gezeigt, dass sie ohne Unterstützung der iranischen Stellvertreter dasteht», sagt der Leiter des Begin-Sadat-Zentrums für strategische Studien. «Der Druck auf sie wird erhöht.»

Nachdem Israel den Hizbullah in Libanon zu einem Waffenstillstand gezwungen hat, sind die Huthi die letzten Stellvertreter Irans, die noch an der Seite der Hamas gegen Israel schiessen. «Die amerikanische Offensive in Jemen ist auch ein starkes Signal an die Hamas, dass kein ‹business as usual› fortgesetzt wird», sagt Shamir.

Eine heikle Abstimmung in der Knesset

In Israel mutmassen einige allerdings, dass Netanyahu auch aus machtpolitischen Gründen den Krieg wieder aufgenommen hat. «Es geht Netanyahu vor allem um sein politisches Überleben», sagt Gideon Rahat, Politikwissenschafter an der Hebräischen Universität Jerusalem.

Wenige Stunden nach Beginn der Angriffe gab der rechtsextreme Politiker Itamar Ben-Gvir seine Rückkehr in die Regierungskoalition bekannt. Der frühere Minister für nationale Sicherheit war aus Protest gegen die Waffenruhe Mitte Januar mit seiner Partei ausgetreten – jetzt bekleidet er wieder sein früheres Amt. Das gibt Netanyahu eine komfortablere Mehrheit im israelischen Parlament, der Knesset. Die braucht der Ministerpräsident vor allem in den kommenden Tagen.

Israels Regierung muss bis zum 31. März einen Haushalt für das kommende Jahr verabschieden. Sollte sie daran scheitern, kommt es automatisch zu Neuwahlen. Wahlen, die Netanyahu voraussichtlich verlieren würde. Eine Mehrheit im Parlament ist ungewiss: Einige von Netanyahus ultraorthodoxen Koalitionspartnern hatten angedroht, gegen den Budgetentwurf zu stimmen, falls davor nicht ein Gesetz verabschiedet wird, das viele der strenggläubigen Juden weiterhin vom Militärdienst ausnehmen würde.

Vor Ben-Gvirs Wiedereintritt verfügte die Regierung über eine hauchdünne Mehrheit von 62 der insgesamt 120 Sitze in der Knesset. Ben-Gvirs Partei «Jüdische Kraft» besitzt 6 zusätzliche Mandate im Parlament. «Durch Ben-Gvirs Unterstützung steht Netanyahu weniger unter Druck von einigen möglichen Abweichlern bei der Budgetabstimmung», sagt der Politikwissenschafter Rahat.

Für die Stabilität der israelischen Regierung ist Ben-Gvirs Wiedereintritt ein gutes Zeichen – für die verbliebenen Geiseln im Gazastreifen hingegen nicht, glaubt Rahat: «Mit Ben-Gvir in der Regierung ist klar, dass Israel auf kurze Sicht kein neues Geiselabkommen abschliessen wird.»

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