Mittwoch, Oktober 2

Führende Militärs und Politiker des venezolanischen Regimes sind involviert in den Drogenhandel und andere kriminelle Aktivitäten. Präsident Maduro nutzt dies, um sich deren Loyalität zu sichern.

Nach den Wahlen in Venezuela vom 28. Juli ist Präsident Maduro sowohl im Inland wie auf der internationalen Bühne komplett delegitimiert. Während seine Regierung in der Wahlnacht pauschal einen Sieg mit 51 Prozent der Stimmen verkündete, ohne bis heute irgendwelche Teilergebnisse aus den Wahlbüros zu veröffentlichen, zeigen die von der Opposition gesammelten Kontrollzettel der Wahlmaschinen ein anderes Bild. Sie deuten auf einen Erdrutschsieg des inzwischen nach Spanien geflüchteten Oppositionskandidaten Edmundo González hin.

Trotz Maduros geringer Popularität ist ein Regimewechsel aber unwahrscheinlich, solange der Diktator die volle Unterstützung der Sicherheitskräfte hat. Die Verstrickung führender Militärs und Politiker in den Drogenhandel und andere kriminelle Aktivitäten macht es jedoch unwahrscheinlich, dass sich diese freiwillig von der Macht zurückziehen werden.

Führende Repräsentanten des Regimes in den USA angeklagt

Im März 2020 haben die amerikanischen Justizbehörden gegen fünfzehn hohe Vertreter des Regimes wegen Drogenhandels und anderer krimineller Aktivitäten Anklage erhoben. Unter den Angeklagten befindet sich Nicolás Maduro selbst, für dessen Festnahme das amerikanische Justizministerium eine Belohnung von 15 Millionen Dollar ausgesetzt hat. Ausserdem finden sich auf der Liste die Nummer zwei des Regimes, der Armeeoffizier und gegenwärtige Innen- und Justizminister Diosdado Cabello, sowie der Verteidigungsminister und Armeechef Vladimir Padrino.

Maduro und Cabello werden die Teilnahme an einer Verschwörung zum Drogenhandel und Terrorismus vorgeworfen sowie ein Komplott zum Import von Kokain in die USA. Padrino, der für die Genehmigung von Überflügen verantwortlich ist, wird beschuldigt, gegen Bestechungsgelder Flugzeuge mit Drogen an Bord durchgewinkt zu haben. Das amerikanische Justizministerium bezeichnet die fünfzehn Angeklagten als die Köpfe des sogenannten Sonnenkartells. Dieses ist nach den Gradabzeichen der venezolanischen Generäle benannt. Je nach Stufe werden diese mit einer bis vier Sonnen ausgezeichnet.

Eine weitere Person aus dem innersten Machtkreis, Maduros Ehefrau, die einstige Parlamentsvorsitzende Cilia Flores, kam bereits früher ins Visier amerikanischer Ermittler. Zwei ihrer Neffen, einer von ihnen von ihr aufgezogen, nachdem seine Mutter gestorben war, wurden 2015 in Haiti verhaftet, als sie versuchten, 800 Kilogramm Kokain nach New York zu schmuggeln. Nach ihrer Auslieferung in die USA wurden sie zu achtzehn Jahren Gefängnis verurteilt. Im Oktober 2022 wurden sie im Rahmen eines Gefangenenaustausches mit Venezuela freigelassen. Während des Prozesses deuteten Dokumente darauf hin, dass ein Teil des erhofften Erlöses in eine Wahlkampagne von Flores fliessen sollte.

Maduro beteuert seine Unschuld und betont, die amerikanischen Anklagen seien wenig glaubhaft, weil diese nur als Waffe im politischen Konflikt zwischen Washington und Caracas eingesetzt würden. Doch die Verwicklung der venezolanischen Regierung in den Drogenhandel ist auch von regierungsunabhängigen Stellen aufgearbeitet worden, etwa von einem Konsortium von 41 Medien aus der ganzen Welt, welches die sogenannten «Narco Files» untersucht hat. Dabei handelt es sich um eine grosse Menge geleakter Dokumente, welche von der kolumbianischen Staatsanwaltschaft stammen.

Auch die amerikanisch-kolumbianische NGO Insight Crime hat seit Jahren Daten zum Drogenhandel durch Venezuelas Führung gesammelt. Die Untersuchungen basieren auf Informationen des amerikanischen Justizministeriums, der DEA, geleakten Daten wie den «Narco Files» und Dokumenten des 2008 getöteten Farc-Kommandanten Raúl Reyes sowie Aussagen ehemaliger venezolanischer Krimineller und anderer Insider.

Drogenhandel zusammen mit der kolumbianischen Guerilla

Schon vor der Amtsübernahme von Präsident Hugo Chávez 1999 wurden einzelne Fälle von Kollaboration hoher Offiziere der Nationalgarde mit der Drogenmafia bekannt. Diese Zusammenarbeit weitete sich nach der Jahrtausendwende aber stark aus, als Kolumbien unter Präsident Uribe eine Offensive gegen die Farc- und ELN-Guerilleros einleitete und diese dabei ins Grenzgebiet mit Venezuela zurückdrängte. Die Guerilleros sind ein wichtiger Player im Drogenhandel. In den ersten Jahren beschränkte sich die Zusammenarbeit vor allem darauf, dass Mitglieder der Nationalgarde gegen Bestechungsgeld den Guerilleros die Transportwege durch Venezuela für die Drogen frei machten.

Mit der Zeit begannen aber Zellen in den Sicherheitskräften selbst, Drogen zu kaufen, durch Venezuela zu transportieren und wieder zu verkaufen. Diese Entwicklung wurde dadurch begünstigt, dass Präsident Chávez 2005 die Zusammenarbeit mit der DEA einstellte und die Drogenbekämpfung gesetzlich auf die gesamte Armee ausweitete. Damit erhielt nun das ganze Militär die Gelegenheit, gegen Bestechungsgeld mit dem Drogenhandel zu kooperieren.

Beim Sonnenkartell handelt es sich laut den Recherchen von Insight Crime aber nicht um ein zentral geleitetes Kartell im herkömmlichen Sinn, sondern um eine Reihe manchmal sogar miteinander konkurrierender Netzwerke von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren. Diese stehen unter dem Schutz von Regierungsmitgliedern, welche manchmal den Drogenhandel auch selber koordinieren.

Chávez und seinem Nachfolger Maduro ist es so gelungen, das Militär an sich zu binden. Der Drogenhandel bietet dem Militär zusätzliche Pfründen und stärkt die Loyalität innerhalb der Truppe. Ganz in diesem Sinne wurden Offiziere, die ins Visier der Amerikaner gerieten, von Maduro gerade erst recht befördert. Beobachter gehen davon aus, dass der Drogenhandel inzwischen auch zu einer wichtigen Einkommensquelle der Regierung geworden ist.

Prozesse in den USA gegen hohe venezolanische Offiziere

Im vergangenen April wurde die erste der fünfzehn Führungsfiguren des Sonnenkartells, die von den USA 2020 angeklagt worden waren, in New York zu 21 Jahren und 6 Monaten Gefängnis verurteilt. Der Drei-Sterne-General Clíver Alcalá hatte sich mit Maduro zerstritten und stellte sich den amerikanischen Behörden 2020 in Kolumbien. Die amerikanische Justiz warf ihm vor, die Farc-Guerilla bei ihrem Drogenhandel geschützt und mit Waffen beliefert zu haben. Alcalá kooperierte mit den amerikanischen Behörden und erhielt deshalb eine reduzierte Strafe.

Bereits steht in den USA ein weiterer Prozess gegen ein Mitglied des Sonnenkartells bevor. General Hugo Carvajal, ehemaliger Chef des venezolanischen Militärgeheimdienstes und Politiker, wurde in Spanien verhaftet und im Juli 2023 in die USA ausgeliefert.

Das Urteil gegen Alcalá und der Prozess gegen Carvajal senden eine klare Botschaft an die politischen und militärischen Führungspersonen in Venezuela, die in den Drogenhandel verwickelt sind: Ein Machtverlust könnte für sie jahrzehntelange Gefängnisstrafen zur Folge haben. Vor einem möglichen Sturz des Regimes müssten sie wohl Verhandlungen mit den USA führen, um eine Einstellung der Verfahren gegen sie zu erreichen, falls sie sich von der Macht zurückziehen.

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