Donnerstag, Oktober 3

Antworten auf die wichtigsten Fragen zum gegenwärtigen Ausnahmezustand im Zürcher Gesundheitswesen.

Stillstehende Baumaschinen und ein hoher Schuldenberg: Es steht nicht gut um das Spital Wetzikon. Seit die Zürcher Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli Anfang April publik gemacht hat, dass der Kanton trotz akuter Finanznot nicht aushelfen wird, ist die Zukunft des Betriebs ungewiss.

Warum steht der 12. Juni im Zentrum der Existenzkrise des Spitals?

Das Spital Wetzikon hat sich vor zehn Jahren stark verschuldet, um seinen Neubau zu finanzieren. Dazu hat es eine Anleiheobligation über 170 Millionen Franken am Markt platziert. Diese wird am 12. Juni 2024 fällig, das Geld müsste also zurückgezahlt werden. Dazu ist das Spital aber nicht in der Lage. Für eine Refinanzierung am Kapitalmarkt genügte seine Bonität nicht, und die dringende Bitte um eine Staatsgarantie wurde von der Kantonsregierung abgewiesen.

Anleger haben dem Spital 170 Millionen Franken gegeben – wie viel erhalten sie jetzt zurück?

Nichts. Die Anleger, welche vor zehn Jahren die Anleihe gezeichnet haben, sehen vorerst kein Geld. Das Spital verfügt zwar noch über flüssige Mittel, es hat aber Ende April Nachlassstundung angemeldet. Dadurch ist es während Monaten, möglicherweise sogar Jahren, vor alten Forderungen geschützt und gewinnt Zeit, um eine Sanierungslösung zu finden.

Dies gilt ohne Ausnahme und unabhängig von der Höhe des geschuldeten Betrags. Die Idee dahinter: Falls die Sanierung nicht gelingt und es zu einem Konkurs kommt, darf kein Gläubiger bevorzugt behandelt worden sein.

Kann ein Spital in der Krise einen solchen Betrag überhaupt noch auftreiben?

Es ist unwahrscheinlich, dass dies am Kapitalmarkt gelingt oder die Eigentümergemeinden so viel Geld einschiessen. Es gibt aber verschiedene andere Möglichkeiten. Eine der realistischeren ist, dass das Spital einen Investor findet, der im Gegenzug für sein finanzielles Engagement einen Teil des Neubaus übernimmt. Eine andere, dass die Gläubiger auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten.

Ist es üblich, dass Spitäler Millionen am Kapitalmarkt aufnehmen?

Noch vor wenigen Jahren war es bei Spitalbauten üblich, dass neben den Trägergemeinden der Kanton einen substanziellen Teil der Kosten übernahm. Seit 2012 das neue Spitalfinanzierungsgesetz in Kraft getreten ist, muss jeder Betrieb selbst für seine Investitionen aufkommen.

Das Spital Wetzikon gehörte zu den Pionieren, die sich am Markt mit Geld versorgten. Seine Anleihe stiess 2014 auf reges Interesse bei Investoren wie privaten Vermögensverwaltungen, Banken und Versicherungsgesellschaften – obwohl das Spital für sein Bauvorhaben keinerlei staatliche Garantien hatte. Andere zogen nach: Gegenwärtig haben acht weitere Zürcher Spitäler Anleihen über insgesamt mehr als 1,3 Milliarden Franken platziert, darunter die private Hirslanden-Gruppe.

Könnten andere Spitäler die gleichen Probleme bekommen wie Wetzikon?

Am Markt war ein gewisses Misstrauen spürbar, nachdem Anfang April die finanziellen Probleme des Spitals Wetzikon und des Zürcher Kinderspitals publik geworden waren. Auch die Anleihen anderer Betriebe verzeichneten einen Dämpfer – meist nur einen geringen, temporären.

Auffallende Ausnahme ist das See-Spital in Horgen. Der Kurs seiner 100-Millionen-Franken-Anleihe brach zwar nicht so dramatisch ein wie jener des Spitals Wetzikon, doch er fiel von nahezu 100 Prozent auf 70 Prozent und hat sich bisher nicht davon erholt. Manche Anleger rechnen also mit einem Ausfall, wenn die Anleihe in Juli 2026 fällig wird.

Die Spitalführung geht davon aus, dass sie die Refinanzierung bewältigen wird. Die Ausgangslage scheint tatsächlich besser als in Wetzikon. Zum einen ist der Betrag kleiner, zum anderen wird das See-Spital 2026 seinen ehemaligen Standort in Kilchberg an die Sanatorium Kilchberg AG verkaufen.

Einen Teil der 100 Millionen Franken wird das Spital aus dem Ertrag finanzieren können. Beim Spital geht man davon aus, dass man deshalb künftig weniger Fremdkapital benötigt. Es könnte jedoch sein, dass es das Geld zu schlechteren Konditionen aufnehmen muss. Denn der Kanton hat mit seinem Entscheid im Fall Wetzikon gezeigt, dass nicht jedes Regionalspital eine faktische Staatsgarantie hat.

Wie geht es in Wetzikon weiter mit dem Neubauprojekt?

Der geplante Neubau ist erst zu rund 70 Prozent fertig, doch seit einem Monat stehen in Wetzikon die Arbeiten still. Damals wurde bekannt, dass der Totalunternehmer Steiner AG kurzerhand den Vertrag mit dem Spital gekündigt hat. Steiner teilte mit, das Spital habe die Rechnungen nicht mehr bezahlt.

Das Spital konterte die Kritik und sagte, es habe nur einen Betrag von rund 3 Millionen Franken zurückgehalten, weil die Steiner AG intransparent sei. So sei nicht klar, ob das Unternehmen seine Subunternehmer bezahlt habe. Tatsächlich beklagten sich Handwerksbetriebe, auf offenen Rechnungen sitzengeblieben zu sein.

Inzwischen ist auch die Steiner AG in der Nachlassstundung. Dass das Unternehmen in Wetzikon noch weiter baut, ist im Moment unrealistisch, auch wenn beide Seiten betonen, dass dies nicht ausgeschlossen sei.

Das Spital müsste sich wohl nach einem neuen Generalunternehmer umschauen. Die Kosten für den Umbau könnten damit aber steigen, zudem kann das Spital während der Nachlassstundung nicht nach Belieben neue Verpflichtungen eingehen. Diese müssen von den gerichtlich eingesetzten Sachwaltern gutgeheissen werden. Letztere willigen nur bei Investitionen ein, die im Interesse der Gläubiger sind.

Was bedeutet die Situation in Wetzikon für die lokalen Handwerksbetriebe?

Die Situation für die Subunternehmen ist schwierig. Zum einen können diverse Handwerksbetriebe ihre Aufträge nicht mehr abschliessen. Vor allem aber bleiben sie vorläufig auf ihren offenen Rechnungen sitzen. Und diese dürften beträchtlich sein.

Allein im laufenden Jahr sah sich die Steiner AG auf allen Baustellen mit Betreibungen in der Höhe von über 10 Millionen Franken konfrontiert. Die Firma verweist zwar zu Recht darauf, dass nicht alle Betreibungen gerechtfertigt sein müssen. Aber die Tatsache, dass die Betreibungen gegen die Firma ab 2023 in die Höhe geschnellt sind, ist ein Hinweis darauf, dass die Steiner AG wohl vermehrt Rechnungen nicht mehr beglichen hat. Die Firma will die Nachlassstundung nun nutzen, um Lösungen sowohl mit ihren Gläubigern als auch mit ihren Schuldnern zu suchen.

Warum haben so viele Spitäler im Moment zu kämpfen?

Wetzikon ist nicht das einzige Spital, das zurzeit in einer Krise steckt. Das Zürcher Kinderspital stand ebenfalls vor dem Aus und wurde Anfang April mit einer Finanzspritze des Kantons gerettet. Und das Spital Uster bekam im März Geld von den Aktionärsgemeinden. In anderen Kantonen sieht es ähnlich aus.

Die Gründe sind vielschichtig: Mit dem Fachkräftemangel sind die Personalkosten in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Und auch die allgemeine Teuerung hat die Kosten der Spitäler in die Höhe getrieben. Gleichzeitig stagnieren die Einnahmen, weil die Tarife dieser Entwicklung noch nicht angepasst wurden. Zudem verschieben sich die Spitalbehandlungen zunehmend vom stationären in den ambulanten Bereich. Letzterer ist für die Spitäler aufgrund der Tarifsituation aber nicht kostendeckend. Gleichzeitig haben viele Spitäler grosse Bauprojekte, die nun die Rechnungen belasten.

Exit mobile version