Freitag, November 29

Mit der Isländerin Sara Björk Gunnarsdottir wechselt erstmals eine prominente Europäerin in die saudische Women’s Premier League. Das Land arbeitet mit Raffinement und Weitblick an der Vorherrschaft im Weltsport.

Ausgerechnet Sara Björk Gunnarsdottir. Islands Rekordnationalspielerin steht ab sofort in der saudiarabischen Women’s Premier League unter Vertrag. Die 33-Jährige hat sich dem Klub al-Qadsiah angeschlossen, wo man ihre Verpflichtung als Coup feiert.

Saudiarabiens Experiment, das durchzogene Image des Landes über den Sport zu verändern, ist in seinen Dimensionen aussergewöhnlich. Das Königreich hat in den letzten Jahren mehr als 50 Milliarden Dollar in Anlässe, Klubs und Athleten investiert oder entsprechende Zusagen gemacht, seit 2020 sind die Ausgaben geradezu explodiert. Männliche Superstars wie Cristiano Ronaldo und Neymar sind schon lange da. Dass jetzt auch prominente Fussballerinnen mit viel Geld ins Land gelotst werden, ist gewissermassen die nächste Eskalationsstufe: Sie zählten zu den letzten verbliebenen kritischen Stimmen.

Vor etwas mehr als einem Jahr, als der Wüstenstaat mit seiner Kampagne «Visit Saudi» die Frauen-WM 2023 sponsern wollte, kam es zu Protesten. Auch Spielerinnen äusserten sich kritisch. Der unerwünschte Geldgeber zog sich wieder zurück.

Jetzt wirkt es, als hätten die Verantwortlichen den Rückschlag persönlich genommen. Staunend berichtete ein europäischer Fussball-Agent dem Portal «The Athletic» von einem aktuellen Gespräch mit dem Direktor eines saudischen Klubs. «Wir wollen die Besten», habe ihm der Direktor unverblümt mitgeteilt. Der Agent dachte, sein Gegenüber scherze, und fragte zurück: «Seid ihr sicher, dass ihr euch das Gehalt und alles, was sie wollen, leisten könnt?» Die Antwort lautete: «Natürlich können wir es uns leisten.»

Das entsprach der Wahrheit. Die Klubs des Königreichs hebeln nun auch bei den Frauen die Gesetze des Transfermarktes aus und überbieten die Konkurrenz. Die steuerfreien Grundgehälter sind jetzt in Saudiarabien fast doppelt so hoch wie die Mindestlöhne in der lange global führenden Frauenliga, der National Women’s Soccer League in den USA. Flüge und Unterkünfte werden den Spielerinnen ebenfalls erstattet. Wohlgemerkt handelt es sich dabei nicht um Privatprojekte vermögender Scheichs: Die Vereine der Premier League befinden sich im Besitz der Regierung. Auch die Offensive im Frauenfussball ist somit Staatsmaxime.

Gunnarsdottir kämpfte um ihre Rechte als Mutter

Dem Lockruf des Geldes zu folgen, liegt in der menschlichen Natur. Doch der Transfer der Isländerin Gunnarsdottir fällt aus dem Rahmen. Die 145-fache Nationalspielerin galt als mutige Persönlichkeit, sie engagierte sich für Frauenrechte.

Im Januar 2023 schrieb sie für das Online-Portal «The Players’ Tribune» die Geschichte ihres Kampfs auf: Ihr damaliger Klub Lyon hatte ihr den Lohn gekürzt, als sie schwanger wurde. Der Entscheid traf sie nicht nur ökonomisch, sondern auch emotional. Gunnarsdottir fühlte sich fallengelassen. Der Eindruck verstärkte sich, als sie im Januar 2022, drei Monate nach der Geburt ihres Sohnes, wieder ins Training einstieg. Die Isländerin kam sich vor wie ein Störfaktor.

Gunnarsdottir ging juristisch gegen Lyon vor und erhielt recht. Ein Tribunal des Weltfussballverbandes Fifa verdonnerte den Klub zu einer Nachzahlung von 80 000 Euro. Das Urteil war wegweisend, denn es machte den Klubs klar: Die 2021 von der Fifa etablierten Mutterschutzregeln sind zwingend anzuwenden.

Der Text der Isländerin begann mit den Worten: «Ich weiss, dass diese Geschichte einige mächtige Leute in der Fussballwelt verärgern könnte. Aber ich muss die Wahrheit sagen.» Ihr Sieg sei eine Garantie für die finanzielle Sicherheit aller Spielerinnen, die während ihrer Karriere ein Kind bekämen.

Saudiarabische Frauen haben ganz andere Sorgen. Erst 2022 wurden in einem neuen Gesetz diskriminierende Bestimmungen festgeschrieben, wie Human Rights Watch dokumentierte. Um zu heiraten, benötigen Frauen die Erlaubnis eines männlichen Vormunds. In der Ehe müssen sie ihren Männern in «vernünftiger Weise» gehorchen. Während sich der Mann einseitig scheiden lassen kann, ist der Schritt umgekehrt deutlich komplizierter.

Es gab in den letzten Jahren auch Fortschritte: Seit 2018 dürfen Frauen Auto fahren, seit 2019 geniessen sie Reisefreiheit. Doch Journalistinnen und Aktivistinnen, die sich für ebendiese und weitere Rechte einsetzten, wurden eingesperrt. Die Organisation Grant Liberty listet in ihrer neusten Studie Beispiele auf, etwa jenes der fünffachen Mutter Nurah al-Kahtani, die in Tweets Reformen forderte und zu 45 Jahren Haft verurteilt wurde. Oder jenes von Israa al-Ghamgham, die an Demonstrationen teilnahm, sie sitzt für acht Jahre im Gefängnis.

Es scheint, als werde Saudiarabien unter dem Kronprinzen Mohammed bin Salman in Sachen Meinungsfreiheit nicht progressiver, sondern verschärfe die Repressionen sogar noch. Über die von internationalen Sendern übertragenen Fussballligen wird der Welt ein anderes Bild präsentiert, das sich bei den Zuschauern unweigerlich verfestigt: jenes eines unbeschwerten, eher unpolitischen Landes, in dem die Menschen das Leben geniessen.

Auch ein Schweizer hat offenbar akzeptiert, bei der Verbreitung des Zerrbilds zu helfen. Diese Woche wurde bekannt, dass Cameron Puertas von Union Saint-Gilloise in die saudische Liga wechselt. Der 26-jährige Spanier ist im Waadtland aufgewachsen und befindet sich im Schweizer Einbürgerungsverfahren. Er gilt als Hoffnungsträger für das Nationalteam. Nachdem er zum besten Spieler der belgischen Liga gewählt worden war, interessierten sich Klubs der europäischen Topligen für ihn. Doch Puertas wählte al-Qadsiah, den Verein von Gunnarsdottir.

Sein Berater Fahd Adamson sagte dem «Blick»: «Es gibt Angebote, die kann man nicht ablehnen.» In Zahlen heisst das: rund 6 Millionen Franken pro Jahr plus Prämien.

Im Gesamtkontext der saudiarabischen «Sportswashing»-Kampagne sind das Peanuts. Einige der grösseren Ausgabenposten im Fussball lauten: 537 Millionen Dollar für Cristiano Ronaldo, 415 Milliarden Dollar für Newcastle United, angebotene 200 Millionen Dollar für ein Sponsoring der African Super League.

Doch sogar diese Summen verblassen angesichts der Bemühungen, den grössten Zukunftsmarkt des Sports zu dominieren. Die Savvy Games Group, welche dem saudiarabischen Staatsfonds gehört, möchte 37,8 Milliarden Dollar in die E-Sports-Industrie investieren. Das hat der Konzern im September 2022 angekündigt und teilweise bereits umgesetzt. Er erwirbt Anteile an Herstellern, geht Partnerschaften mit bekannten Spielern ein und will im eigenen Land Zehntausende Arbeitsplätze schaffen.

Traditionelle Sportkonsumenten in Europa interessieren sich bis jetzt kaum für E-Sports. Doch die Bedeutung wächst rasant, vor allem bei jungen Fans und vor allem ausserhalb Europas. Dass Saudiarabien gerade in den E-Sports nach Vorherrschaft strebt, ist ein Indiz für strategisches Raffinement und Weitblick.

Das Königreich will den Sport auf Jahrzehnte hinaus dominieren. Und das Internationale Olympische Komitee zeigt sich offen, den Aufstieg tatkräftig zu unterstützen. Im Juni 2024 gab es bekannt, olympische E-Sports-Spiele einführen zu wollen, man befinde sich bereits in Gesprächen mit einem potenziellen Gastgeber. Nicht einmal einen Monat später folgte eine weitere Pressemitteilung: Der Gastgeber heisse in den nächsten zwölf Jahren Saudiarabien. Selbst für IOK-Verhältnisse war das Vorgehen ungewöhnlich. Es gab nicht einmal den Anschein eines offenen Wettbewerbs.

Fifa und IOK als Steigbügelhalter des Königreichs

Noch existieren kritische Beobachter, die Mühe mit den neuen Realitäten im Weltsport bekunden. Im Mai wandte sich der Basler Antikorruptionsexperte Mark Pieth gemeinsam mit zwei Anwälten an die Fifa. Saudiarabien, das die Fussball-WM 2034 austragen soll, unterschreite internationale Menschenrechtsstandards, erklärten sie dem Weltfussballverband warnend. In einem 22-seitigen Dokument untermauerten sie das mit etlichen Beispielen, von willkürlichen Festnahmen über Folter bis zur Ausbeutung von Gastarbeitern. Die Fifa müsse bereit sein, so die Juristen, Saudiarabiens Bewerbung abzulehnen. Sie forderten, dass unabhängige Experten die Situation im Land bewerten.

Pieth, der einst bei der Fifa Vorsitzender der Governance-Kommission war, hat auf seine Initiative bis heute keine Antwort erhalten. Der Weltfussballverband verweist auf Anfrage darauf, dass Saudiarabien selbst Unterlagen eingereicht habe, auch zur Menschenrechtssituation. Man prüfe diese nun eingehend und werde im vierten Quartal Ergebnisse präsentieren.

Zusammengefasst heisst das: Die Fifa hält den Einbezug externer Experten für unnötig. Doch die Lektüre des Bewerbungsdossiers macht den Bedarf offensichtlich. In einem Dokument erwähnt Saudiarabiens nationaler Fussballverband eine vermeintlich unabhängige «Risikobewertung im Kontext der Menschenrechte». Vorgenommen hat sie eine Kanzlei aus der eigenen Hauptstadt Riad.

Die Fifa zeigt sich bereit, Behauptungen über vermeintliche Fortschritte aus Saudiarabien für bare Münze zu nehmen. Auf diese Weise verselbständigen sich die Erzählungen unabhängig vom Wahrheitsgehalt. Der Weltfussballverband nimmt beim gerissenen «Sportswashing» ebenso die Rolle des Steigbügelhalters ein wie das IOK.

Gleiches gilt für die Fussballerin Gunnarsdottir, die nicht auf Anfragen der «NZZ am Sonntag» reagiert. In einem Interview mit der isländischen Zeitung «Morgunbladid» sagte sie, sie selbst habe in Saudiarabien nicht die Erfahrung gemacht, dass es eine Voreingenommenheit gegenüber Frauen gebe. Es sei ihr gesagt worden, dass sich in den letzten Jahren viel verändert habe, die Frauen viel unabhängiger seien als früher. Und weiter: «Es gibt viele Menschen, die eine Meinung über das Land haben und sich diese Meinung möglicherweise durch die Nachrichten und Medien gebildet haben. Ich möchte die Dinge, die Kultur und die Menschen erleben.»

Eigene Erfahrungen verallgemeinern, das Vorhandensein von Diskriminierung bestreiten, Zweifel an westlichen Narrativen streuen: Etwas Besseres als Interviews wie jenes mit Gunnarsdottir könnten sich die Spin-Doktoren von Saudiarabiens Regierung kaum wünschen.

Ein Artikel aus der «»

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