Dienstag, August 26

Selbst Staatschefs tragen heute weisse Sneakers. Die modische Welt des Mannes ist vollkommen ausser Kontrolle geraten.

Auch die Mode ist nur ein Spiegel der Gesellschaft und ihrer wechselnden Aggregatzustände in Wirtschaft, Politik und Kultur. Die Kommerzialisierungswalze der globalen Modeindustrie macht alles platt, was nur ansatzweise nach individuellem Ausdruck strebt. Selbst Vintage – oder profan gesagt: Secondhand – vermag keine überzeugende Antwort auf die schrille Ödnis des Mainstreams zu geben.

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Die Modezitate der Vergangenheit wirken wie eine schlechte Playbackversion – Kleiderkaraoke auf dem Trottoir der Grossstädte. Wer den eigenen Stil entwickeln möchte, muss sich daher schon etwas anderes einfallen lassen als lädierten Männerschmuck vom Flohmarkt oder einen Gürtel aus glänzendem Kunstleder. Die Schädigung des modischen Selbstempfindens scheint mittlerweile jedoch irreversibel.

Was ist tragbar und was nicht im Zeitalter der peinlichen Grenzenlosigkeit? Der deutsche Soziologe Georg Simmel bemerkte in seiner «Philosophie der Mode» bereits 1905: «Das Wesen der Mode besteht darin, dass immer nur ein Teil der Gruppe sie übt, die Gesamtheit aber sich erst auf dem Wege zu ihr befindet.» Mittlerweile treten selbst Staatschefs bei ihren Gipfeltreffen in wolkenweissen Sneakers und schief sitzenden Anzügen auf. Darin unterscheiden sie sich kaum von berufsjugendlichen Marketingleitern und Werbemanagern.

Spreizfüsse in Plastiksandalen

Modisch betrachtet bietet dieser Sommer ein Defilee outrierter Geschmacksverirrungen. Spreizfüsse in Plastiksandalen, depilierte Speckrollen unter löchrigen T-Shirts mit Mandala-Aufdruck, dazu allerlei ornamentale Tätowierungen an Hals, Schläfe und Handrücken – der disparate Look querbeet durch alle sozialen Schichten hinterlässt einen eher verstörenden Gesamteindruck.

Auch der Trend zu kurzen Hosen, kombiniert mit einem sommerlichen Blazer und mokkabraunen Sandaletten, dürfte kaum durchsetzungsfähig sein. Noch ist Mitteleuropa nicht Mumbai.

Mangels Befähigung zu einem autonomen modischen Geschmacksurteil schlägt die Tendenz zur ästhetischen Selbstbeschädigung voll durch. Kleidung als Technik der Verhüllung – dieser wesentliche Aspekt der Mode droht gänzlich in Vergessenheit zu geraten. Das ist wie bei der Nahrungsaufnahme, die neuerdings ja auch nicht mehr sättigen, sondern mit jedem Bissen die Welt zu einem besseren Ort machen soll.

Lob der Klassik

In der Männermode gilt wie in der Musik: Klassik ist immer eine gute Idee. Seit der modischen Hochblüte der bürgerlichen Gesellschaft in den 1920er Jahren hat sich an der bewährten Triade von Hemd, Hose und Sakko – ob als Kombination oder Anzug – wenig geändert. Es ist die perfekte Balance aus Form und Funktionalität, Korrektheit und Bewegungsfreiheit.

Über Farbe, Stoff und Passform lässt sich die individuelle Erscheinung beliebig aussteuern; die Bandbreite reicht vom Paradiesvogel im pinkfarbenen Leinenanzug bis zum Vermögensverwalter im dunkelgrauen Zweireiher. Accessoires wie Krawatten, Manschettenknöpfe und Einstecktücher bieten ebenfalls hinreichend Entfaltungsspielraum für den männlichen Narzissmus. Man kann sie auch weglassen, ohne dass eine Leerfläche entstünde.

Dieser hier nur kurz skizzierte Korridor, zugleich variabel und definiert, ist breit genug, um Individualität modisch abzubilden. Der Kick des Singulären besteht gerade darin, innerhalb sinnvoll bestehender Konventionen das eigene Ausdrucksvermögen auszuloten.

JFK konnte es, Macron kann es

Wer beherrscht noch die Kunst des modischen Understatements als elegante Perfektion des Unauffälligen? Unter den Politikern war es gewiss John F. Kennedy, auch Emmanuel Macron käme in Betracht, würde er nicht so selbstverliebt wirken. Daniel Craig, vor seinem Ausflug als Dressman für das spanische Luxuslabel Loewe, kommt einem ebenfalls in den Sinn. Die elegantesten Männer, die ihre Anzüge nicht wie eine Uniform, sondern wie ihre eigene Haut tragen – selbstverständlich und gedankenlos –, findet man ohnehin bloss südlich der Alpen.

In den Innenstädten machen sich die Ateliers der klassischen Herrenausstatter rar. Vielleicht ist nicht nur ihr Angebot, sondern auch die Lebensweise, die sich darin ausdrückt, obsolet geworden? Es stimmt, überlegte Unauffälligkeit ist einfach nicht kompetitiv genug, um die sozial erwünschte Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Das Aussterben der Dandys ist absehbar, man kann auch böse sagen: notwendig. Vermisst heute irgendjemand den Archäopteryx?

Doch mit dem Untergang der bürgerlichen Kleidungsform geht auch ein wesentliches kulturelles Wissen verloren. Das Bewusstsein nämlich, dass Eitelkeit als notorische Charakterschwäche verborgen werden muss. All die bunt bedruckten Kurzarmhemden und Hippie-Tücher im romantischen Bohème-Stil, die jetzt ihr Revival haben, mögen diesen Verlust zwar übertönen, nicht aber verleugnen.

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