Freitag, Dezember 27

Der Chef des französischen Versicherungskonzerns mahnt angesichts der politischen Krise in Frankreich zu Kompromissen. Die Axa Schweiz ist für ihn eine Perle innerhalb des Konzerns.

Herr Buberl, Sie stehen als Deutscher an der Spitze eines französischen Grosskonzerns. Wie beurteilen Sie den Zustand des Tandems Deutschland-Frankreich, vermag es die Europäische Union noch zu ziehen?

Das Tandem ist in der Mitte auseinandergebrochen. Jedes Rad fährt momentan seinen eigenen Weg.

Macht Ihnen das Sorgen?

Das macht mir grosse Sorgen. Aber man soll die Hoffnung nie aufgeben. Ich stelle fest, dass aufseiten der Wirtschaft die Partnerschaft zwischen Deutschland und Frankreich deutlich intensiver ist als auf der politischen Ebene.

Beide Länder stehen vor politischen Wechseln. In Frankreich wurde am Mittwochabend Premierminister Michel Barnier abgewählt. Deutschland stehen im Februar Wahlen bevor. Was heisst das für das Verhältnis der beiden Länder?

Ich hoffe, mit den neuen Regierungen wird sich dieses auch verbessern. Denn ohne diese Partnerschaft wird es schwierig, die notwendigen Korrekturen vorzunehmen und die Wettbewerbsfähigkeit in der EU zu steigern.

Was bedeutet das Auseinanderbrechen der französischen Regierung für das Land?

Die derzeitige politische Unsicherheit sollte Frankreichs Stärken, seine Wirtschaft und sein Gesellschaftsmodell, nicht überschatten. Nun gilt es, sämtliche Parteien dazu zu ermutigen, zum Wohle der Allgemeinheit eine Kompromisskultur zu fördern. Trotz der tiefen Spaltung der Nationalversammlung in verschiedene Gruppierungen.

Wirtschaftlich gesehen ist die EU momentan ein Sorgenkind. Zu Recht, oder verkauft sich Europa unter seinem Wert?

Momentan ist sie in einer schwierigen Lage. Früher ist Europa dank einem exportorientierten Wirtschaftsmodell gewachsen, das insbesondere durch Deutschland getragen wurde. Geholfen hat ausserdem das Gleichgewicht zwischen den grösseren Ländern Grossbritannien, Frankreich und Deutschland. Der Brexit hat innerhalb der EU jedoch zu Differenzen geführt. Um diese Situation zu überwinden, müssen wir uns auf die gemeinsamen politischen Projekte konzentrieren, die funktionieren. Gute Beispiele dafür sind etwa die wirtschaftliche Erholung nach der Pandemie oder die gemeinsamen Anstrengungen im Verteidigungssektor.

Wo muss die nächste Regierung in Deutschland anpacken?

Deutschland zu transformieren, wird länger dauern. Ich glaube aber nicht, dass die Probleme unlösbar sind. Man muss sie nur priorisieren und angehen. Zum Beispiel die Energiekosten: Wenn das Schiefergas aus den USA fünfmal so viel kostet wie Gas aus Russland, dann ist man wahrscheinlich nicht mehr wettbewerbsfähig.

Sie haben die Axa in den vergangenen Jahren umgebaut, setzen weniger auf Lebensversicherungen und haben das Schadengeschäft vergrössert. Wieso?

Als ich als CEO bei der Axa begonnen habe, trugen Lebensversicherungen rund 80 Prozent zu unserem Umsatz bei. Das Wachstum in dem Bereich war allerdings nicht sehr hoch. Um das Potenzial bei Unternehmensversicherungen besser auszuschöpfen, haben wir unser Portfolio umgeschichtet. Dieser Bereich bietet uns mehr Möglichkeiten, mit den Kunden zu interagieren. Aber auch unser Lebensversicherungsgeschäft bleibt stark und hat Potenzial für weiteres Wachstum.

Die Integration der Unternehmensversicherung XL Group war nach der Übernahme 2018 ja nicht ganz einfach. Wie hat sich das entwickelt?

Mit der XL Group haben wir ein Unternehmen, das in 60 Ländern tätig ist, für 12,4 Milliarden Euro übernommen. Das ist per Definition nicht einfach und hat mir ziemlich viele graue Haare eingebracht. Trotzdem war dieser Zukauf absolut wichtig, um den grossen Wechsel im Portfolio der Axa hinzubekommen. Das war risikoreich, und der Kapitalmarkt hat zunächst negativ darauf reagiert. Bei meinem Start als Konzernchef stand der Axa-Aktienkurs aber bei rund 18 Euro, heute sind es über 33 Euro. Die Axa XL ist mittlerweile der zweite Profitabilitätsmotor der Gruppe. So schlimm kann es also nicht gewesen sein.

Trotzdem hinkt der Axa-Aktienkurs in diesem Jahr hinter den Konkurrenten Zurich und Allianz hinterher . . .

Seit dem vergangenen Juli stimmt das leider. Das beruht aber nicht auf einer Minderleistung von uns, sondern auf den politischen Unsicherheiten in Frankreich. Wir sind ein grosser Investor, die Leute glauben, dass wir viele Immobilien in Frankreich und französische Staatsanleihen halten. Das ist aber nur eine gefühlte Abhängigkeit.

Viele Versicherer beglücken ihre Aktionäre mit hohen Dividenden. Was ist in den kommenden Jahren von der Axa zu erwarten?

Wir haben unser Modell so umgebaut, dass wir ein relativ stabiles Geschäft haben. Wir schütten 75 Prozent unseres Gewinns an die Aktionäre aus: 60 Prozent als Dividendenzahlungen und 15 Prozent als Aktienrückkäufe. Die restlichen 25 Prozent werden wieder investiert in die Axa.

Analysten halten das Geschäft von Zurich mit dem amerikanischen Partner Farmers und das der Allianz mit dem Vermögensverwalter Pimco für breiter abgestützt als dasjenige von Axa. Was sagen Sie dazu?

Was heisst «breiter abgestützt»? Die Axa ist ein globaler Konzern und ist sehr breit aufgestellt. Wir sind fokussiert auf Versicherungen und müssen uns nicht mit Bankenregulierungen herumschlagen. Wir haben einfach ein anderes Modell als die genannten Wettbewerber.

In der Vergangenheit haben Sie Axa Schweiz als «Perle» bezeichnet. Ist sie das immer noch?

Natürlich. Axa Schweiz ist hierzulande Marktführer. Da besteht die Gefahr, dass man nichts macht, weil man ja gross genug ist. Die Axa Schweiz hat aber immer genau das Gegenteil gemacht: Sie hat sich enorm bewegt, was das Wachstum und die digitale Transformation angeht. Beim Thema künstliche Intelligenz etwa ist die Axa Schweiz heute führend im Konzern.

Unlängst gab es Berichte, dass die Baloise ein Übernahmekandidat sei. Axa wurde da auch als möglicher Käufer genannt. Wäre das für Sie eine Option?

Wir haben klar gesagt, dass uns die Baloise als Ganzes nicht interessiert.

Und einzelne Bereiche?

Wir sind heute gut aufgestellt, wir haben in den meisten Ländern die kritische Grösse. In einzelnen Bereichen, in denen wir unser Portfolio vergrössern wollten, haben wir kleinere Transaktionen gemacht – in Spanien, Irland, in Italien und in der Türkei. Diesen Weg wollen wir weiterverfolgen.

Global nehmen die Risiken zu, sei es durch die Geopolitik oder durch den Klimawandel. Ist es für Versicherer eigentlich gut, wenn es so viel mehr Risiken gibt, oder ist das schlecht?

Ich finde das Umfeld sehr spannend, weil wir vor ganz neue Herausforderungen gestellt werden. Für viele Risiken gibt es noch keine Lösung – beispielsweise für gewisse Cyberrisiken. Es ist spannend, darüber nachzudenken: Wie können wir mit Prävention die Schadenkosten besser in den Griff bekommen? Wie sollen wir mit Risiken umgehen, die vermeintlich nicht versicherbar sind? Dies sind wichtige Fragen für die Gesellschaft. Bei ihrer Beantwortung müssen Versicherer einen wichtigen Beitrag leisten.

Lassen sich Klimarisiken überhaupt noch versichern?

Ich verstehe die ganze Diskussion nicht. Jedes Risiko ist versicherbar, wenn es mit Prävention verbunden ist, auch das Klimarisiko. Es kommt deshalb darauf an, wie es gemacht wird und zu welchem Preis.

In den USA gibt es bereits Orte, an denen Hausbesitzer aufgrund der Klimarisiken keine Versicherung mehr bekommen.

In manchen Orten in den USA, die von einer Naturkatastrophe betroffen waren, wurde der Wiederaufbau nicht – wie von US-Präsident Joe Biden propagiert – nach dem Motto «build back better» gemacht, sondern nach dem Motto «build back the same». So erhöht man den Schutzmechanismus nicht, das führt zu mehr und mehr Schäden wie Opfern. Und deshalb ist das dann nicht versicherbar.

Gibt es in Europa auch Regionen, in denen das so ist?

In Europa gibt es viele Bereiche, in denen es auf einmal Überschwemmungen gibt – jüngst etwa in Spanien, aber auch in Deutschland und der Schweiz. Und das passiert in Zonen, in denen man dies früher nicht in einem solchen Ausmass gesehen hat. Das ist für die Bevölkerung natürlich enorm schwierig. Versicherer müssen sich deshalb überlegen, wie sie das besser frühzeitig erkennen können. Heute kann man beispielsweise mit Satellitendaten die Feuchtigkeit im Boden und die Absorptionsfähigkeit von Wasser auswerten. Solche Möglichkeiten sollten wir noch viel stärker nutzen.

Politisch ist das Thema Klimawandel ja in vielen Ländern wieder auf der Prioritätenliste nach hinten gerückt. Mit dem neu gewählten US-Präsidenten Donald Trump dürfte sich dieser Trend fortsetzen. Ist das gefährlich aus Ihrer Sicht?

Der Klimawandel darf auf der Prioritätenliste nicht zurückfallen. Die Politik muss jedoch auf die Meinung der Bevölkerung hören. Diese lautet: Man muss etwas gegen den Klimawandel tun, aber es sollten Massnahmen sein, die auch finanzierbar sind und die man sich leisten kann.

Thomas Buberl

Buberl (51) steht seit September 2016 an der Spitze des französischen Versicherungskonzerns Axa. Begonnen hat der Ökonom seine Karriere in der Schweiz: 2005 ging er zur damaligen Winterthur Versicherung, die ein Jahr später von der Axa übernommen worden ist. Anschliessend wurde er 2008 Schweiz-Chef der Zurich Group. 2012 wechselte er zur Axa, wo er zuerst das Geschäft in Deutschland leitete. Buberl besitzt die deutsche, französische sowie die schweizerische Staatsbürgerschaft.

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