Samstag, Oktober 5

Das Zürcher Familienunternehmen schliesst nach über 200 Jahren endgültig seine Tore am Münsterhof.

Kaum betritt man den Laden am Münsterhof, steigt einem feiner Ledergeruch in die Nase. In den Regalen stehen noch einzelne Taschen und Portemonnaies von Luxus- und Designermarken. Die meisten sind bereits verkauft. An den übrig gebliebenen prangen knallige orangefarbene Kleber: 70 Prozent reduziert.

Einige wenige Kunden begutachten die reduzierten Lederwaren. An der Kasse steht eine Kundin. 63 Franken kostet ihr Einkauf. «So günstig!», sagt die Kundin erstaunt. Die Verkäuferin entgegnet: «Ja, gell. Fast so günstig wie in der Migros.» Ihr Lachen wirkt wehmütig.

Alles muss raus. Denn am Samstag, 6. Juli, schliesst die letzte Filiale des 1822 gegründeten Familienunternehmens Leder Locher ihre Türen.

Noch vor eineinhalb Monaten gab das Traditionshaus bekannt, im Sommer fünf Geschäftsstellen zu schliessen. Doch Hoffnung bestand, zumindest den Standort am Münsterhof retten zu können. Die Filiale laufe gut, sagte der CEO Valentino Velasquez damals zur NZZ.

Doch nun folgt die Gewissheit: Die letzte noch verbliebene Filiale schliesst am Samstag. Das Unternehmen hat dies auf seiner Website bekanntgegeben. Es verweist auf wirtschaftliche Gründe. Und bedankt sich für die langjährige Kundentreue.

202 Jahre Tradition gehen damit zu Ende. Für den Besitzer Valentino Velasquez ist dies besonders schwierig. «Ich persönlich finde es sehr schade. Es war ein langer Kampf. Ich glaubte bis zum Schluss daran, dass Leder Locher bestehen bleibt», sagt er. «Es hat leider nicht geklappt. Ich wünsche so etwas niemandem.»

Immer mehr Traditionshäuser verschwinden

Velasquez führt das Familienunternehmen seit gerade einmal vier Jahren. Er ist CEO in siebter Generation, 35 Jahre alt und Nachfolger seines Onkels Lucas Locher, der von 2000 bis 2020 Geschäftsleiter war.

Die Filiale am Münsterhof 18/19 ist der Hauptsitz von Leder Locher. Dort, im Zunfthaus der Sattler, war 1891 aus der ehemaligen Sattlerei Locher das Geschäft Leder Locher entstanden. In den letzten Jahren trotzte Leder Locher Krisen und Veränderungen. Um die Jahrtausendwende zog die Firma gar in ein neues Geschäftshaus und Logistikzentrum in Wallisellen und kaufte parallel dazu weitere Lederwarengeschäfte auf. Doch die jüngsten Herausforderungen erwiesen sich als unüberwindbar.

Velasquez macht den verpassten Sprung in die Moderne für den Niedergang des Unternehmens verantwortlich. Zu spät sei man in den Online-Handel eingestiegen. Zu lange habe man auf Stamm- und Laufkundschaft vertraut. Denn davon gab es reichlich, so dass Leder Locher zu Bestzeiten aus etwa zehn Filialen bestand. Das Familienunternehmen galt schweizweit als einer der führenden Anbieter von hochwertigen Lederwaren.

Nun macht das Unternehmen für immer Schluss. Nicht als einziges, wie Velasquez sagt: «Links wie rechts, überall müssen Einzelwarenläden ihre Türen schliessen. Wir sind leider keine Ausnahme.»

Tatsächlich reiht sich die Schliessung in einen grösseren Trend ein, bei dem traditionelle Kaufhäuser und Einzelhandelsgeschäfte in der Zürcher Innenstadt zunehmend unter Druck geraten. So musste erst kürzlich das Zürcher Spielzeughaus Franz Carl Weber Insolvenz anmelden. Auch der bekannte Geschenkladen Ars Longa beim Bahnhofplatz schloss kürzlich nach dreissigjährigem Bestehen, wie Medienportale berichteten.

Gründe dafür sind unter anderem hohe Mieten oder die Konkurrenz durch Online-Shopping. Und: «Viele externe Faktoren, Krieg, Teuerung, Energiepreise.» All das habe die Konsumgewohnheiten der Kunden verändert, fügt Velasquez an.

Wie es weitergeht, kann Velasquez noch nicht abschätzen. «Ich bin noch immer voll drin, bis es wirklich über die Bühne ist. Ich trage die Schlussverantwortung», sagt er. Bis dahin fehle ihm die Zeit, darüber nachzudenken, was aus ihm werde. Das Wichtigste seien seine Mitarbeitenden. Man bemühe sich darum, dass alle eine Anschlusslösung fänden. Viele hätten bereits eine, die anderen würden mit Zeugnissen und Kontakten unterstützt.

Schon Ende Mai hat sich das Ende abgezeichnet, wie Velasquez sagt. Damals verschickte er an sämtliche Mitarbeitenden Kündigungen – auch an sich selbst.

Diese schwierige Entscheidung habe sich im Nachhinein als die richtige erwiesen, bilanziert Velasquez. Sie verschaffte den Angestellten Zeit, sich neu zu orientieren, und ermöglichte es dem CEO, die Löhne weiterhin pünktlich auszuzahlen.

Nächste Woche meldet Velasquez für das Unternehmen Konkurs an. Er sagt: «Danach werden wir sehen.»

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