Mittwoch, Oktober 30

Der Schuhhersteller erzielt auf seinen Schuhen hohe Margen. Das ist kein Skandal, sondern geschicktes Marketing. Dennoch ist die Firma nicht unschuldig am Shitstorm, den sie derzeit durchlebt.

Es gibt in der Schweiz kaum ein Unternehmen, das so viel Wert auf seine Wokeness legt wie der Laufschuhhersteller On. Bei Medienkonferenzen reden Firmenvertreter am liebsten von ihren Visionen für das Wohl des Planeten und seiner Menschen. Diesem Unternehmen, so die implizite Botschaft der mit viel Pathos angereicherten Auftritte, geht es nicht ums Geld. Wichtiger ist die «Förderung der Gleichberechtigung und Würdigung der Diversität – wo immer wir arbeiten, spielen und uns bewegen», wie es im Nachhaltigkeitsbericht von On heisst.

Überdurchschnittliche Margen

Im gleichen Bericht steht ausserdem: «Die Rettung des Planeten ist ein Mannschaftssport. Und das hört nicht bei uns auf. Wir arbeiten leidenschaftlich gerne mit lokalen Gemeinschaften zusammen, stellen unsere Produktionspartner ins Rampenlicht und setzen uns für die Stimmen derjenigen ein, die für die Zukunft unseres Planeten kämpfen.»

Nun, dieses Rampenlicht haben die Produktionspartner – sie befinden sich vor allem im Billiglohnland Vietnam – derzeit auf sicher. Die medialen Scheinwerfer sorgen indes dafür, dass der Schuhhersteller mit öffentlicher Kritik und Häme überschüttet wird.

Was ist der Grund für den jüngsten Shitstorm? Eine Recherche des Konsumentenmagazins «K-Tipp» hat mit Zolldaten die Margen von On-Turnschuhen dargelegt. Dabei zeigt sich, dass der Unterschied zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis bei kaum einem Schuhhersteller so gross ist wie bei On. Das Unternehmen verdiene «unverschämt viel», klagt das Magazin.

Für das Modell «The Roger Advantage» zahlt man im Schweizer Online-Shop beispielsweise 190 Franken. Der Hersteller in Vietnam erhält jedoch nur knapp 18 Franken. Hinzu kommen zwar noch Ausgaben für Fracht, Zölle, Steuern, Entwicklung, Werbung und manches mehr. Dennoch, die niedrigen Einkaufskosten lassen auf ansehnliche Margen schliessen.

Moralische Überhöhung

Als Ökonom fragt man sich, wo hier genau das Problem sein soll. Produkte in fernöstlichen Schwellenländern billig herzustellen, um sie dann in kaufkräftigen Industrieländern teuer zu verkaufen, ist kaum eine Erfindung von On, sondern das Geschäftsmodell zahlloser Firmen. Überraschend ist höchstens, dass On den vietnamesischen Herstellern gemäss «K-Tipp» deutlich weniger zahlt als etwa Adidas oder Puma, obwohl die Verkaufspreise dieser beiden Konkurrenten niedriger sind.

Man mag sich an dieser Praxis stören. Doch niemand wird gezwungen, die teuren und offenbar margenstarken Schuhe zu kaufen. Dass Kunden bereit sind, ein Produkt, dessen Qualität in der Vergangenheit wiederholt kritisiert worden ist, zu einem Vielfachen der Herstellkosten zu kaufen, spiegelt geschicktes Marketing. Die Unternehmensleitung von On hat ihr Handwerk nicht bei Hilfsorganisationen gelernt, sondern bei Beratungsfirmen wie McKinsey, die für nüchternes Kalkulieren bekannt sind.

Das Imageproblem von On hat einen anderen Grund. Es ist das Auseinanderklaffen zwischen der Firmenpolitik einerseits und der moralischen Überhöhung des eigenen Tuns anderseits. Die zwei Dinge passen bei On nicht zusammen. Es nützt wenig, in Missions-Statements hehre Werte, Men­schenrechte und sozialen Impact zu betonen, wenn die vietnamesische Näherin nichts davon spürt. Und es nützt wenig, sich in Medien als bodenständig zu geben, wenn das Top-Management allein 2021 einen Lohn von 17 Millionen Franken kassierte – pro Person.

Worte und Taten

Solche Löhne und die Aktienverkäufe nach dem Börsengang haben der Firma ein Abzocker-Image eingebracht. Daran ist On nicht unschuldig. Walk the talk, heisst es im Englischen: Lass den Worten Taten folgen. Dieses Gebot ist für die Glaubwürdigkeit und Reputation entscheidend. Daran ändert auch ein populärer Markenbotschafter und Mitinvestor wie Roger Federer wenig. Wer sich moralisch auf ein derart hohes Podest stellt, fällt umso tiefer, wenn die proklamierten Werte als PR-Worthülsen erscheinen. Das muss On derzeit schmerzhaft erfahren.

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