In einem historischen Verdikt stellte das Oberste Gericht am Montag klar: Präsidenten geniessen eine weitreichende Immunität vor Strafverfolgung. Die Folgen zeigen sich bereits jetzt. Die Verkündigung des Strafmasses im Schweigegeldprozess verzögert sich bis September.

Das Urteil der konservativen Richtermehrheit am Supreme Court war erst wenige Stunden alt, als Donald Trumps Anwälte am Montag bereits einen Brief an den New Yorker Richter Juan Merchan verfassten. Das von diesem geleitete Geschworenengericht hatte Trump kürzlich im sogenannten Schweigegeldprozess für schuldig befunden. Am 11. Juli wollte Merchan das Strafmass verkünden. Aber weil das Oberste Gericht nun amerikanischen Präsidenten eine weitreichende Immunität vor Strafverfolgung zusprach, fordern Trumps Anwälte, den Termin aufzuschieben und den Schuldspruch rückgängig zu machen.

Es muss sich zeigen, wie Merchan die neue Sachlage beurteilt. Die Schweigegeldzahlung an die Pornodarstellerin Stormy Daniels erfolgte kurz vor der Präsidentschaftswahl 2016. Allerdings fälschte Trumps Unternehmen die Geschäftsbücher erst nach seinem Einzug ins Weisse Haus, um die Transaktion zu vertuschen. Vermutlich handelt es sich hierbei um inoffizielle Handlungen des Präsidenten, für die ihm keine Immunität gewährt wird. Am Dienstag entschied Merchan jedoch, die Verkündung des Strafmasses bis zum 18. September aufzuschieben. Dies, nachdem sich auch die Bezirksstaatsanwaltschaft in Manhattan bereit zeigte, den Termin zu vertagen.

Hohe Hürden für die Anklage

Einen unmittelbaren Einfluss hat das Urteil des Supreme Court auch auf die übrigen gegen Trump angestrengten Strafverfahren. Obwohl die amerikanische Verfassung kein Wort über eine mögliche Immunität des Präsidenten verliert, sprach sich die konservative Richtermehrheit für einen weitgehenden Schutz des Oberbefehlshabers vor Strafverfolgung aus. Für seine verfassungsmässigen Kernkompetenzen verfüge der Präsident über eine «absolute Immunität», heisst es in dem Urteil. Für alle anderen «offiziellen Handlungen» geniesse der Präsident eine «mutmassliche Immunität». Auch dies ist eine hohe Hürde: Um die angenommene Immunität auszusetzen, muss das Justizministerium beweisen, dass eine Strafverfolgung keine «gefährliche Einmischung in die Autorität und Funktionsweise der Regierung» darstellt.

Am stärksten betroffen von diesem richtungsweisenden Urteil ist die Anklage gegen Trump wegen des Versuchs, das Wahlresultat vor vier Jahren umzustürzen. In einzelnen Punkten schränkten die Richter die Anklage des Sonderermittlers Jack Smith bereits ein. Trump drohte seinem Justizminister Jeffrey Rosen damals etwa mit der Absetzung, sollte er ihm nicht helfen, das Wahlresultat umzudrehen. Gemäss dem stellvertretenden Justizminister Richard Donoghue soll Trump damals zu führenden Justizbeamten gesagt haben: «Sagt einfach, die Wahl ist gefälscht, und überlasst den Rest mir und den republikanischen Kongressabgeordneten.» Gemäss dem Supreme Court fallen diese Gespräche jedoch unter die absolute Immunität des Präsidenten.

Trump versuchte auch seinen Vizepräsidenten Mike Pence unter Druck zu setzen, damit dieser als Vorsitzender der versammelten Kongresskammern am 6. Januar 2020 die Elektorenstimmen für Biden nicht zertifiziert. Bei diesen Diskussionen zwischen Trump und Pence über ihre Zuständigkeiten handle es sich um offizielle Handlungen, hält der Supreme Court fest. Der Präsident geniesse in dieser Sache deshalb eine «mutmassliche Immunität». Es sei Sache der Anklage, diese Mutmassung zu widerlegen.

Schliesslich setzte Trump 2020 auch Politiker ausserhalb seiner Regierung unter Druck. Unter anderem forderte er in einem Telefongespräch den Staatssekretär in Georgia dazu auf, die ihm fehlenden 11 780 Stimmen zu finden. Um dafür die Frage der Immunität zu klären, müsse das zuständige Bundesbezirksgericht in Washington nun aber zunächst klären, ob diese Handlungen des Präsidenten «offiziell» oder «inoffiziell» waren.

Hat Amerika sein Herz verloren?

Angesichts dieser Vorgaben muss sich der Sonderermittler Smith nun überlegen, was von seiner Anklage noch übrig bleibt. Die zuständige Bundesrichterin Tanya Chutkan könnte zumindest erste Anhörungen ansetzen, um zu klären, welche Punkte nicht unter die vom Supreme Court definierte Immunität fallen. Ein möglicher Prozess, wenn es ihn den überhaupt noch geben sollte, scheint damit vor der Wahl im November allerdings ausgeschlossen. Trump wird zudem die Möglichkeit haben, die konkreten Entscheidungen zur Immunitätsfrage erneut anzufechten.

Auf ähnliche Weise wird das Urteil des Supreme Court auch die gegen Trump erhobene Anklage in Georgia ausbremsen. Auch dort geht es um den Versuch, das Wahlresultat 2020 auf illegale Weise umzustürzen. Weniger direkt betroffen ist hingegen die Anklage in der sogenannten Dokumentenaffäre. Trump hatte am Ende seiner Amtszeit grosse Mengen von Geheimakten aus dem Weissen Haus mitgenommen und unterschlagen. Aber der ehemalige Präsident könnte zumindest versuchen, das Urteil des Obersten Gerichts auch in diesem Fall zu benutzen, um das Verfahren weiter zu verzögern.

Das Urteil des Supreme Court wird indes nicht nur die laufenden Verfahren gegen den ehemaligen Präsidenten beeinflussen. Sollte Trump die Wahl im Herbst gewinnen, muss er das Gesetz kaum fürchten, solange er sein Tun als offizielle Handlungen rechtfertigen kann. Auch für die Präsidenten, die nach ihm kommen sollten, gilt dies. Der ehemalige Bundesrichter und Republikaner J. Michael Luttig kritisierte das Urteil der konservativen Richter deshalb scharf. Diese hätten Amerika das Herz und die Seele herausgerissen: «Es kann nicht länger gesagt werden, dass in Amerika niemand über dem Gesetz stehe.»

Der Rechtsprofessor und Kolumnist Harry Litman kritisierte seinerseits in der «Los Angeles Times» die mangelnde Rechtsgrundlage für das Urteil. Die Richter stützten sich allein auf ihr Verständnis einer «effektiven Präsidentschaft». «Die konservative Mehrheit pflanzte im Grunde ihre politikwissenschaftlichen Prinzipien in die Verfassung ein, um mit einem Lastwagen über das Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz zu fahren.»

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