Donnerstag, Dezember 26

Der Prozess gegen den ehemaligen österreichischen Kanzler hat dessen Versprechen, mit der Günstlingswirtschaft zu brechen, endgültig als PR-Strategie entlarvt. Unabhängig davon, ob der Schuldspruch revidiert wird oder nicht: Sebastian Kurz hat seine Glaubwürdigkeit verspielt.

Kehrt er vielleicht doch zurück? Die Spekulationen über ein politisches Comeback von Sebastian Kurz hatten in Österreich in den vergangenen Wochen wieder Konjunktur. Und dies, obwohl der frühere Kanzler das selbst ausgeschlossen hatte und er noch in einem laufenden Verfahren vor Gericht stand. Nun ist der Prozess gegen Kurz zu Ende, und der 37-Jährige ist zu einer bedingten Haftstrafe von acht Monaten verurteilt worden.

Man könnte sagen, Kurz sei mit einem blauen Auge davongekommen. Erstens, weil die Strafe milde ist, und zweitens, weil der Richter ihn nur in einem von drei Anklagepunkten für schuldig befunden hat: wegen Falschaussage vor einem Untersuchungsausschuss zur sogenannten Ibiza-Affäre. Das Urteil ist zudem nicht rechtskräftig. Kurz hat sogleich Berufung eingelegt und hofft auf einen Freispruch in zweiter Instanz.

Die «Lüge» hat sich nicht gelohnt

Der Schuldspruch hat dennoch hohe Symbolkraft. Er macht aus einem Ausnahmepolitiker einen überführten Lügner. Zugleich bescheinigt er einem Kronzeugen, der möglicherweise noch einiges mehr gegen Kurz in der Hand hat, Glaubwürdigkeit. Und schliesslich stärkt er die Rolle des Parlaments: Wer vor einen Untersuchungsausschuss zitiert wird, ist nun eindeutig der Wahrheit verpflichtet. Die Justiz schafft damit einen Präzedenzfall, der sich auf das Klima in künftigen Befragungen auswirken dürfte.

Die Ironie an der Geschichte ist, dass Kurz vermutlich weniger Probleme bekommen hätte, wenn er 2020 vor dem Untersuchungsausschuss gesagt hätte, dass er bei besagter Personalie im staatlichen Beteiligungskonzern Öbag mitgeredet hat. Die enge Verflechtung von Wirtschaft, Politik und Medien wird zwar auch in Österreich kritisiert. Doch überraschen kann sie niemand. Und strafbar sind Klüngeleien in der Regel ebenfalls nicht. Aber Kurz wollte vermutlich um jeden Preis an seinem Image festhalten, wonach er einen anderen Stil als viele seiner Vorgänger pflege: ohne Postenschacher und mit mehr Transparenz.

Die vier Monate Prozess haben diesem Bild aber weiter Abbruch getan. Sie haben den Verdacht erhärtet, dass es sich bei Kurz’ Versprechen vor allem um eine geschickte Kommunikationsstrategie gehandelt hatte. Die Flut an Chatnachrichten, die im Zuge der Ermittlungen um den Ibiza-Skandal zufällig gefunden worden sind und die Basis des Prozesses bildeten, haben ein Sittenbild von Kurz’ Netzwerken und seinem Führungsstil offenbart.

In den Chatverläufen lässt sich Klüngelei, Arroganz, Machttrunkenheit und mangelnder Respekt vor den Institutionen lesen – Dinge, denen Kurz öffentlich abschwor. Der Verdacht, er und sein Team hätten mit gekauften Inseraten und manipulierten Umfragen versucht, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, wird womöglich noch vor Gericht verhandelt werden.

Und damit nicht genug: Kurz versuchte auch vor Gericht den Eindruck zu erhärten, es handle sich bei dem Prozess allein um einen Rachefeldzug der Opposition, die eine politisierte Justiz hinter sich habe. Das ist – bei allem Hang zur Vetternwirtschaft im Land – ein recht gewagter Vorwurf in einem demokratischen Rechtsstaat.

Zeit für den Blick nach vorn

Eine Erkenntnis besteht unabhängig vom weiteren Verlauf des Verfahrens: Kurz, der selbsternannte Erneuerer, hat sich unglaubwürdig gemacht. Eigentlich müsste die Frage nach seiner Rückkehr in die Politik damit eindeutig beantwortet sein. Doch Kurz ist noch jung, und die Wähler haben manchmal ein erstaunlich kurzes Gedächtnis.

Dass die Gerüchte in den letzten Wochen dennoch auftauchten, hat mit dem politischen Kalender zu tun. In Österreich wird in diesem Jahr gewählt. Kurz’ Partei, die ÖVP, stellt zwar auch heute den Kanzler. Doch vom Rücktritt ihres Jungstars hat sie sich nie erholt. In den Umfragen liegt sie deutlich hinter der rechtspopulistischen FPÖ und derzeit auch hinter den Sozialdemokraten. Auf die Rückkehr von Kurz zu hoffen, war zumindest für manche in der Partei durchaus valabel – schliesslich hatte er mit seinem politischen Talent den Konservativen über Jahre hinweg zu ungeahnter Popularität verholfen.

Für die ÖVP ist das Urteil – ob rechtskräftig oder nicht – ein unmissverständlicher Hinweis darauf, dass sie die Ära Kurz hinter sich lassen muss. Ein neuer Heilsbringer ist nicht in Sicht. Aber vielleicht genügt es, wenn sie Stabilität verspricht und als berechenbarer Koalitionspartner bereitsteht, wenn es darum geht, nach dem Sieg der Rechtspopulisten eine Regierung zu bilden.

So stehen die österreichischen Parteien in der Wählergunst

Wahlabsicht der Befragten in Prozent

1

Kurz wird ÖVP-Chef (14. Mai 2017)

2

Parlamentswahl (15. Oktober 2017)

3

Ibiza-Skandal führt zu vorzeitiger Neuwahl (29. September 2019)

4

Rücktritt Kurz (9. Oktober 2021)

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