Freitag, April 18

Die Renditen für US-Schuldpapiere schiessen in die Höhe. Der Stress im Finanzsystem und die Gefahr einer Finanzkrise nehmen zu.

Der Absturz an den Börsen hat sich am Mittwoch ungebremst fortgesetzt. Donald Trumps drakonisches Zollregime ist in Kraft getreten, eine Eskalation mit China ist im Gang. Die Aufmerksamkeit galt bisher dem Crash an den Aktienmärkten, doch die Angst erfasst nun auch den genauso wichtigen Anleihenmarkt.

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Das ist ungewohnt, in Krisenzeiten suchen Anleger gewöhnlich Schutz in sicheren Staatsanleihen, besonders in amerikanischen. Diesen Schutz bieten sie offenbar nicht mehr. Die Rendite 10-jähriger US-Staatsanleihen (Treasuries) erreichte zuletzt 4,4 Prozent, am Mittwoch stieg sie zeitweise auf fast 4,5 Prozent – wenn die Rendite steigt, dann sinkt der Preis einer Anleihe.

Die Schwäche betrifft nicht nur die 10-jährigen Anleihen, sondern alle Laufzeiten. So stiegen die Renditen für Papiere über 5 Jahre zuletzt auf über 4 Prozent, solche mit Laufzeiten über 30 Jahre auf fast 5 Prozent – deren Rendite ist innert weniger Tage um 0,5 Prozentpunkte gestiegen.

Vertrauensverlust gegenüber dem Staat

US-Staatsanleihen gelten als wichtigste und sicherste Anlagen der Welt. Sie werden in grossen Mengen von Staaten, Unternehmen und Privaten gehalten. Sie sind sehr liquide und dienen als Referenzwert für Billionen Dollar an Krediten und anderen Wertpapieren.

Zu Beginn des Börsencrashs funktionierten Anleihen als sicherer Hafen: Die Rendite 10-jähriger US-Staatsanleihen habe noch am vergangenen Freitag einen Tiefstand von 3,86 Prozent erreicht, gibt Jean-Eudes Clot, Finanzstratege bei der Banque Cantonale Vaudoise (BCV), zu bedenken. Diese Woche kam es zu einem steilen Anstieg, jetzt notieren sie viel höher als am Vorabend von Trumps Zollankündigungen.

Damit drohen Treasuries ihren Sonderstatus als sichere Anlagen zu verlieren. «Steigen die US-Anleiherenditen weiter an, wird dies auch die Bewertung der Aktienmärkte belasten und die Indizes weiter nach unten ziehen», sagt Clot. Damit wären alle wichtigen US-Vermögensklassen im Sinkflug: Aktien, Obligationen und auch der Dollar.

In Europa ist die Schutzfunktion von Bonds noch intakt: Clot weist darauf hin, dass sich die europäischen Anleihemärkte derzeit als wesentlich widerstandsfähiger erweisen. Sowohl die Renditen deutscher Bundesanleihen als auch jene der Schweizer Staatsobligationen notieren unter dem Stand des «Liberation Day» am 2. April.

Der Anstieg der US-Renditen ging einher mit einer enttäuschenden Anleihenauktion am Dienstag. Das heisst, die USA haben am Primärmarkt neue Bonds begeben, die aber auf wenig Anklang stiessen. Marktbeobachter sprechen von einem «Käuferstreik». Das ist ein Hinweis, dass das Vertrauen der Anleger auch gegenüber US-Staatsschulden erodiert.

«Am Markt für US-Staatsanleihen geht es letztlich um das Vertrauen in den Staat», sagt Ivan Adamovich, Chef des Multi-Family-Office Private Client Bank. Die in den letzten Tagen gestiegenen Renditen weisen darauf hin, dass das Vertrauen in die US-Regierung unter Trump schwindet.

Dasselbe gelte für den Dollar. In den vergangenen Jahrzehnten stieg die US-Währung in Krisen zumeist gegenüber anderen Währungen, weil die Investoren die USA als sicher wahrnahmen. Die jetzige Krise habe ihr Epizentrum aber in Washington – der Dollar ist im vergangenen Monat zum Euro gefallen.

Gefahr einer Finanzkrise steigt

Ein weiterer Grund für den Bondausverkauf ist, dass vielen Investoren wegen des Crashs an den Aktienmärkten die Mittel ausgehen, um ihren Verpflichtungen gegenüber Kunden nachzukommen. Deshalb verkaufen sie liquide Anlagen zugunsten von Bargeld oder bargeldähnlichen Wertpapieren. Das erklärt auch den jüngsten Rückgang des Preises für Gold, einen eigentlich als sicher geltenden Vermögenswert. Investoren werfen alles auf den Markt, was sie zu Geld machen können.

In finanziellen Stresszeiten spielen auch Hedge-Funds eine problematische Rolle. Diese professionellen Spekulanten sind Akteure, die den gesamten Anleihenmarkt bewegen können, weil sie mit Milliardensummen hantieren. Marktbeobachter weisen darauf hin, dass Hedge-Funds daran seien, ihre Risiken zu reduzieren und Positionen in sogenannten «basis trades» abzubauen.

Bei diesen stark kreditfinanzierten Transaktionen versuchen Investoren Preisdifferenzen zwischen Treasuries und Terminkontrakten auf diese Treasuries auszunutzen. Sollte ein grosser Hedge-Fund in Probleme geraten oder bankrottgehen, könnte das ein systemisches Problem bedeuten. Im Extremfall könnte ein Kollaps das Finanzsystem gefährden, wie während der Asienkrise 1998 mit dem Untergang des Hedge-Fund LTCM.

Eine weitere Gefahr ist, dass sich der Wert der Anleihenbestände von Banken verringert, insbesondere derjenige langfristiger Staatsanleihen. Dies kann zu nicht realisierten Verlusten führen, die sich negativ auf die Bilanzen der Banken und ihre Fähigkeit zur Kreditvergabe auswirken. Das könnte zu strengeren Finanzierungsbedingungen führen, was die Liquidität im System verknappt.

Laut René Hermann, Senior Partner beim Kreditspezialisten Independent Credit View (I-CV), bleibt der Markt für US-Staatsanleihen für Investoren aber alternativlos – alleine wegen seiner Grösse und Liquidität im internationalen Finanzsystem. Mit einer Finanzkrise rechnet Hermann vorerst nicht, dafür stünden die Banken derzeit zu gut da. Käme es allerdings zu einer tiefen Rezession, sei in einer zweiten Runde auch eine Finanzkrise nicht auszuschliessen, wenn Trump sein Programm mit aller Härte durchziehe und die Unternehmen stark steigende Zahlungsausfälle verzeichneten.

Kreditwürdigkeit der USA verschlechtert sich

Gemäss Hermann schauen Investoren derzeit auch kritischer auf die Kreditwürdigkeit der USA. «Der Bondmarkt hat lange geschlafen und fordert nun eine Disziplinierung», sagt er. Die Pläne Trumps hätten das Risiko einer Rezession in den USA und im exportorientierten Europa stark erhöht. Mit den geringeren Wachstumserwartungen rückten nun die hohen Staatsschulden der USA in den Fokus – bleibt Wachstum aus, drohen diese noch stärker zu steigen, und der Schuldendienst wird zu einer noch grösseren Belastung.

Hermann ist sich sicher, dass auch die internationalen Rating-Agenturen Herabstufungen der Bonitätsnoten erwägen. Die Agentur Standard & Poor’s hat den USA bereits im August 2011 die Bestnote «AAA» entzogen und sie auf «AA+» heruntergestuft. Als Begründung gab S&P bereits damals unter anderem die steigenden Staatsschulden an. Fitch Ratings folgte im August 2023 mit einer Herabstufung des Ratings der USA, ebenfalls von «AAA» auf «AA+». Die dritte grosse internationale Rating-Agentur Moody’s bewertet die Vereinigten Staaten noch mit der Bestnote «Aaa», aber mit negativem Ausblick.

«Aus unserer Sicht ist es überfällig, dass Moody’s den beiden anderen grossen Rating-Agenturen folgt und die Bonität der USA herabstuft», sagt Hermann. Die Bonität der USA sei bereits seit längerem abnehmend, zudem dürften die Unvorhersehbarkeit der Politik von Trump und die negativen Auswirkungen auf die Haushaltslage den Rating-Agenturen ein Dorn im Auge sein.

Neuland für das globale Finanzsystem

Gemäss George Saravelos, Ökonom bei der Deutschen Bank, geht Trumps Ziel, die Ungleichgewichte bei den Handelsbilanzen zu verringern, einher mit einer geringeren Nachfrage nach US-Anlagen. Diese Woche nehmen die USA Verhandlungen mit Japan und Südkorea auf. Ein erklärtes Ziel Trumps ist eine Schwächung des US-Dollars gegenüber dem Yen. Japan ist der grösste offizielle Halter von US-Staatsanleihen – ein Gegenstand der Verhandlung könnte sein, Japan dafür zum Verkauf seiner Treasury-Bestände zu bewegen.

In den vergangenen Monaten habe die US-Regierung die Anleger mehrmals negativ überrascht, sagt Adamovich. Die Regierung missachte seit Jahren etablierte ökonomische Theorien, und so sei auch nicht auszuschliessen, dass sie Trumps bereits geäusserten Plan, den Dollar nachhaltig zu schwächen, weiterverfolge. Eine solche Schwächung könnte unter anderem über die Einführung einer Abgabe, welche Halter von US-Staatsanleihen bezahlen müssten, erfolgen.

«Die Einführung einer solchen Abgabe ginge an die Grundfesten des internationalen Finanzsystems», sagt Adamovich. US-Staatsanleihen seien letztlich dessen Anker. Bereits jetzt würden sich einige Investoren fragen, ob sie einem Staat Geld leihen wollen, der dies möglicherweise mit einer Abgabe oder auf eine anderweitige kreative Art bestraft. Spitze sich dies zu, könnten die Finanzmärkte aber der «ultimative Check gegenüber der gewagten Politik der US-Regierung» sein.

Mit solchen Massnahmen beträten die USA Neuland im globalen Finanzsystem. Damit US-Staatsanleihen ihren Status als sicherer Hafen endgültig verlieren, müsste gemäss Clot das Vertrauen ausländischer Anleger in die Vereinigten Staaten jedoch vollständig zerstört werden. Der Anlageexperte glaubt, dass Trump sich dessen bewusst sei. Das dürfte ihn ermutigen, Kompromisse zu finden.

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