Montag, September 30

Stadtpräsidentin Corine Mauch steht wegen Aussagen zur UNRWA im Stadtparlament in der Kritik.

Der Bund will den Beitrag der Schweiz an das umstrittene Uno-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) von 20 auf 10 Millionen Franken reduzieren. Zürichs linke Parteien fordern nun, dass die Stadt in die Bresche springt und der Organisation einen substanziellen Betrag spendet.

Das Ansinnen wurde in der letzten Sitzung des Stadtparlaments vor den Sommerferien kontrovers diskutiert. Die linke Mehrheit überwies ein Postulat dem Stadtrat zur Prüfung. Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP) betonte, eine allfällige Spende würde im Sinne von humanitärer Hilfe erfolgen und sei nicht als Parteinahme im Nahostkonflikt zu verstehen.

Für die Zürcher FDP ist indes klar: Eine solche Spende käme einer Einmischung der Stadt in die Aussenpolitik des Bundes gleich. Fraktionspräsident Michael Schmid nannte den Vorstoss der Linken eine «Machtanmassung».

Inzwischen haben die Freisinnigen Konsequenzen gezogen. Wie Schmid auf Anfrage der NZZ bestätigt, ist die Partei an den Bezirksrat und den Statthalter gelangt. «Wir sind überzeugt, dass das Vorhaben der Linken verfassungswidrig ist», sagt er. Wohl könne der Stadtrat humanitäre Hilfe leisten, sagt Schmid, aber nicht an die UNRWA als Ersatz für die gestrichenen Bundesgelder.

Nicht nur in der Politik wächst Widerstand gegen den Plan der Linken, die UNRWA zu unterstützen. Auch die Gesellschaft Schweiz-Israel sowie Exponenten aus der jüdischen Bevölkerung kritisieren dies scharf – denn die UNRWA ist unter Druck geraten. Im Zentrum stehen Vorwürfe Israels, das Hilfswerk beschäftige Hamas-Mitglieder. Zudem kündigte das Uno-Hilfswerk die Zusammenarbeit mit neun Mitarbeitern. Eine interne Untersuchung der Uno sah klare Indizien dafür, dass diese Angestellten der UNRWA am Hamas-Massaker vom 7. Oktober beteiligt gewesen waren.

Eine andere Untersuchung resultierte im sogenannten Colonna-Bericht. Dieser befasste sich mit den Neutralitätsmechanismen der UNRWA. Grobe Mängel stellte das unabhängige Expertengremium zwar nicht fest. Der Bericht enthält aber auch einen umfassenden Massnahmenkatalog. Dort wird vorgeschrieben, dass die Organisation ihre Mitarbeitenden besser überprüfe.

Eine «unhaltbare und unsensible Verharmlosung»

André Golliez ist Mitglied der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich. «Als besorgter Einwohner der Stadt Zürich» habe er seine Ohnmacht in einem persönlichen Brief an die Stadtpräsidentin zum Ausdruck gebracht. Das Schreiben liegt der NZZ vor. Dass ausgerechnet die UNRWA, deren Kollaboration mit der Hamas einwandfrei bewiesen sei, mit Geldern unterstützt werden solle, bedeute für die Zürcher Juden einen Schlag ins Gesicht.

Die Hamas beabsichtige nicht nur die Vernichtung Israels, sondern die Auslöschung jeglichen jüdischen Lebens, schreibt Golliez. Dieser Plan sei auch in Zürich ernst zu nehmen, wie sich vor wenigen Monaten mit der antisemitischen Messerattacke an der Brandschenkestrasse gezeigt habe. Damals verletzte ein jugendlicher IS-Anhänger einen orthodoxen Juden lebensgefährlich.

Golliez schreibt, als Jude bleibe ihm «nur eine Interpretationsmöglichkeit: Die Situation, die Bedrohung und die Gefühlslage der jüdischen Bevölkerung der Stadt Zürich sind dem Gemeinde- und Stadtrat offensichtlich gleichgültig».

Die exponierte und bedrohliche Situation der Zürcher Juden sei in der Debatte im Stadtparlament indes völlig ausgeblendet worden, ist in dem Brief an die Stadtpräsidentin zu lesen. An Corine Mauch direkt gerichtet schreibt er :«Vielmehr haben Sie selbst in Ihrem Votum Antisemitismus und Islamophobie auf die gleiche Stufe gestellt.»

Nach den Entwicklungen der letzten Monate stelle diese abstrakte Gleichsetzung eine «unhaltbare und unsensible Verharmlosung» der Bedrohung dar, mit der Juden in Zürich konfrontiert seien. «Wie viele Muslime wurden in den letzten Monaten in Zürich aus ‹islamophoben› Gründen niedergestochen?», fragt Golliez. «Welche muslimischen Läden und Einrichtungen wurden mit ‹islamophoben› Parolen versprayt? Und schliesslich: An welchen Demonstrationen wurde in Zürich die Vernichtung aller arabischen und muslimischen Länder gefordert?»

«Schutzbehauptung» oder «dumme Ausrede»

Die Einschätzung von André Golliez teilt Walter Blum, Zentralsekretär der Gesellschaft Schweiz-Israel. Seit klar sei, dass Israels Vorwürfe gegen Mitarbeitende der UNRWA nicht aus der Luft gegriffen seien, könne nicht mehr die Rede davon sein, die Organisation sei von den schwersten Vorwürfen entlastet worden. «Eine Spende an die UNRWA käme einer Parteinahme im Nahostkonflikt gleich», betont Blum.

Das Narrativ der Linken, die UNRWA sei die einzige Organisation, welche über die nötigen Kapazitäten verfüge, um im Gazastreifen Hilfe zu leisten, findet Blum nicht haltbar. «Das ist entweder eine Schutzbehauptung oder eine Ausrede», resümiert er. Stattdessen schlägt er beispielsweise das World Food Programme der Uno vor oder die Aktion «Chefs in Gaza» der Nichtregierungsorganisation World Central Kitchen.

Fakt ist, dass sich die linken Parteien zwar theoretisch offen für die Möglichkeit zeigen, dass die Stadt eine andere Hilfsorganisation mit einer Spende berücksichtigt. Doch gleichzeitig stellen sie sich auf den Standpunkt, dass die UNRWA als einziges Hilfswerk in Gaza in der Lage sei, effektive Hilfe zu leisten. Auf den Kompromissvorschlag, die UNRWA aus dem Vorstoss zu streichen, wollten sie sich partout nicht einlassen.

Eine Mehrheit im Zürcher Gemeinderat scheine nicht willens oder fähig, der Realität in Sachen UNRWA in die Augen zu schauen, sagt Blum. Es betrübe ihn, dass die Stadtpräsidentin die umstrittene Rolle der UNRWA nicht erkennen könne. «Sie scheint da einen blinden Fleck zu haben.»

Warten auf Corine Mauch

André Golliez wartet derweil seit einem Monat auf ein Zeichen der Stadtpräsidentin. Das Präsidialdepartement teilt auf Anfrage der NZZ mit, Mauch werde den Brief nach ihrer Rückkehr aus den Ferien beantworten.

Auf die von Golliez und der Gesellschaft Schweiz-Israel geäusserte Kritik an der Stadtpräsidentin geht ihr Sprecher Lukas Wigger nicht ein. Er hält aber fest, dass die Prüfung des Postulats noch nicht abgeschlossen sei. Sie erfolge «mit grosser Sorgfalt und im Bewusstsein des sensiblen Kontexts».

Die pragmatischste Lösung wäre wohl, wenn die Stadt wie im Januar zwei Hilfswerken Geld spenden würde: einem jüdischen und einem in Gaza. So wären die Beiträge ohne Zweifel humanitäre Hilfe und keine Parteinahme.

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