Der KI-Boom hat die Kurse an den amerikanische Aktienmärkten in schwindelerregende Höhen getrieben. Der Anlagestratege Paul Jackson warnt vor einer Korrektur. Andere Börsen seien attraktiver bewertet.

Sie halten US-Aktien für überaus teuer und bezeichnen KI als Bubble, die irgendwann platzen wird. Wie hängen die beiden Dinge zusammen?

Die amerikanischen Aktienindizes sind im Moment derart teuer, weil eine Reihe von Aktien, bei denen ein Zusammenhang mit KI gesehen wird, in extreme Höhen geklettert sind.

Wie gefährlich ist das?

Die Geschichte lehrt uns, dass Erwartungen meist enttäuscht werden, wenn Aktienmärkte so hoch bewertet sind wie heute in den USA. Es führt über zehn Jahre gesehen im besten Fall zu bescheidenen oder sogar zu negativen Erträgen. Dieses Risiko einzugehen, ist unnötig, da es im Moment wesentlich bessere Alternativen gibt, namentlich in Europa.

Die Investoren haben in den letzten Jahren immer wieder die Erfahrung gemacht, dass die amerikanische Wirtschaft dynamisch wächst, während Europa enttäuscht. Wird sich das nicht wiederholen?

Dieses Jahr ist es anders: Europa überrascht positiv, die Konjunktur in den USA entwickelt sich dagegen verhalten, ja schlecht. Das real verfügbare persönliche Einkommen ist in zwei der letzten drei Monate gesunken. Die Konjunktur in den USA verliert stark an Fahrt.

Könnte Europa für einmal plötzlich als Gewinnerin dastehen?

Genau – und wenn Sie vorher die amerikanische Wirtschaft als dynamisch bezeichneten, stimmt das nur teilweise. Die Wirtschaft wächst in den USA zwar schneller als in der EU, aber auf einer Pro-Kopf-Basis ist es umgekehrt: Da liegt Europa vorne. Das beeindruckende amerikanische Wachstum ist ein Trugbild und hängt vor allem mit dem Bevölkerungswachstum zusammen.

Kann es Investoren nicht einerlei sein, ob das Wachstum durch demografische Trends oder durch eine höhere Produktivität zustande kommt?

Natürlich kann man so argumentieren, allerdings drängen sich dann Märkte mit einer noch wesentlich besseren Bevölkerungsentwicklung auf – etwa Indien, Indonesien oder Märkte in Afrika. Und auch China, mit dem viele Investoren abgeschlossen haben, wächst noch immer wesentlich schneller als die USA, obwohl seine Bevölkerung stagniert. Und obwohl China seine Wirtschaft weniger stimuliert als die USA.

Was folgern Sie daraus?

Wir sollten die Qualität des Wachstums in den USA hinterfragen. Es sieht so gut aus, weil mehrere US-Regierungen hintereinander viel geliehenes Geld in die Wirtschaft gepumpt haben. In der Pandemie zum Beispiel erhielten die Haushalte mehr Geld, als sie ausgeben konnten, und das sorgte für einen Konsumboom, der nun aber an sein Ende gekommen ist.

Kommt Donald Trump zurück, würden die USA wohl noch viel höhere Staatsdefizite anhäufen, und es könnte ein weiterer Boom folgen, oder nicht?

Wer immer der nächste US-Präsident wird, er hat ein Problem. Die staatliche Schuldenlast ist auf 120 Prozent des BIP gestiegen, und weil die Renditen von amerikanischen Staatsanleihen heute viel höher sind, steigen die Kosten für den Schuldendienst beträchtlich: Da die Anleihen im Schnitt eine Laufzeit von 5 Jahren haben, schlägt das erst mit Verzögerung voll durch. Doch schon so geben die USA bereits mehr für den Schuldendienst als für die Verteidigung aus, und dies könnte eine Art Kipppunkt darstellen: Jetzt beginnen die Politiker beim Thema Schulden unruhig zu werden.

Nochmals zurück zum Szenario einer zweiten Präsidentschaft Donald Trumps. Wie sehen Sie dem entgegen?

Die grösste Sorge betrifft seine Einstellung zur Notenbank Fed. Trump denkt, dass er deren Entscheidungen beeinflussen können sollte. Ich habe gehört, er spiele sogar mit dem Gedanken, einen seiner Söhne zum Fed-Präsidenten zu nominieren. So etwas hätte das Potenzial, das Finanzsystem der USA zu destabilisieren.

Sie haben in Ihrer Modellallokation die Gewichtung von Aktien drastisch gesenkt, auf 35 Prozent des Gesamtportfolios. Bei einer neutralen Positionierung liegt diese eigentlich bei 45 Prozent. Wieso so pessimistisch?

Das hängt einzig damit zusammen, dass wir eine so negative Sicht auf US-Aktien haben. In europäischen Märkten, China und den Schwellenländern sehen wir eine positive Entwicklung. Das Problem ist allerdings: Weil US-Aktien einen so hohen Anteil in den Indizes haben – es sind rund 70 Prozent –, kommen wir unter dem Strich für das ganze Aktiensegment zu einer negativen Einschätzung. Ich habe sogar noch etwas geschummelt, sonst wäre in unserem Modell der Aktienanteil noch tiefer ausgefallen.

Sollte man gar keine US-Aktien mehr halten?

Andere Märkte sind viel attraktiver: Wenn man trotzdem amerikanische Aktien kaufen möchte, dann könnte man zum Beispiel auf Indexprodukte setzen, die keine Kapitalgewichtung vornehmen, sondern jeden Titel gleich behandeln. So kann man eine grosse Konzentration an extrem teuer bewerteten Aktien vermeiden.

Sie haben auch das Gewicht von Hochzinsanleihen auf null gesenkt und empfehlen dafür, Rohstoffe und Reits – also Immobilienanlagen – überzugewichten. Zusammen mit Ihrer stark negativen Einschätzung zu den USA macht es den Eindruck, als neigten Sie derzeit zu Extremen.

Ich habe eben einen konsequenten Fokus auf die Bewertungen. Hochzinsanleihen hatten wir Anfang Jahr noch übergewichtet. Ihre Kurse haben sich seither sehr gut entwickelt, und heute wird man als Investor für das zusätzliche Risiko kaum mehr entschädigt. Und was die USA angeht, habe ich ein Problem mit dem blinden Glauben vieler Anleger an kapitalgewichtete Indizes.

Wie meinen Sie das?

Als ich meine Karriere in den 1980er Jahren begann, hatten japanische Aktien im Weltaktienindex ex Nordamerika ein Gewicht von 70 Prozent. Alle glaubten, das sei normal, die japanische Börse werde immer weiter ansteigen. Als 1987 am Black Monday US-Aktien an einem Tag um 22 Prozent fielen, gab Tokio am nächsten Morgen bloss 2 Prozent nach. Wir alle wissen, wie es danach mit den japanischen Aktien ausgegangen ist.

Könnte es sein, dass kaum jemand den hohen US-Aktien-Anteil in den einschlägigen Indizes infrage stellt, weil es sich für professionelle Anleger nicht auszahlt, vom Mainstream abzuweichen? Sie könnten sogar ihren Job verlieren, wenn sie sich anders positionieren als die grosse Masse.

Das spielt bestimmt mit rein, zusätzlich zum menschlichen Hang, die jüngere Vergangenheit einfach in die Zukunft zu extrapolieren. Doch es ist falsch, solche Ungleichgewichte einfach als gegeben zu betrachten. Und es dann als Outperformance zu feiern, wenn der Gesamtmarkt um 12 Prozent fällt und das eigene Portfolio nur um 10 Prozent. Es ist absurd, von einer Outperformance zu sprechen, wenn Kunden viel Geld verlieren. Die Obsession mit Vergleichsindizes kann deshalb gefährlich sein, ich mache mir lieber meine eigenen Gedanken und orientiere mich am fairen Wert von Anlagen.

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