Mittwoch, Oktober 30

Ruhig wird es im internationalen Tennis selbst dann nicht, wenn einmal ausnahmsweise kein Ball übers Netz fliegt. Der aufgeblähte Turnierkalender fordert Opfer und weckt Kritik. Für die Schweiz endete die alte Saison, wie die neue beginnen könnte: mit schlechten Nachrichten.

Aus Schweizer Sicht ging die Tennissaison anders als erhofft zu Ende: An den Next-Gen-Finals in Jidda, dem Turnier der weltbesten Nachwuchsspieler, schritt Dominic Stricker im Halbfinal beim Stand von 3:4, 1:2 gegen Hamad Medjedovic zum Netz und gratulierte dem jüngeren Serben zum Sieg. Der Rücken hatte Stricker signalisiert, dass nun genug sei. Und der 21-jährige Berner hatte so viel Geistesgegenwart, die Signale trotz den erklecklichen 50 000 Dollar, die auf dem Spiel standen, ernst zu nehmen und sich diesen zu beugen.

Auch so nimmt Stricker für seinen Kurztrip nach Saudiarabien inklusive der Antrittsprämie ein Preisgeld von 182 500 Dollar mit in den Weihnachtsurlaub nach Grosshöchstetten. Und das, obwohl er nur einen seiner drei Matches im Wüstenstaat gewonnen hat.

Stricker hat in den vergangenen zwölf Monaten insgesamt 813 644 Dollar an Prämien eingestrichen und wird damit bereits in seiner vierten Saison auf der Profi-Tour zum Preisgeld-Millionär (1,352 Mio.). Das korrespondiert nicht ganz mit den Klagen seines Vaters Stephan, der regelmässig darauf hinweist, wie hart das Leben auf der Tour für seinen Sohn noch immer sei. Er möchte keine potenziellen Sponsoren vertreiben.

Immer neuere, wildere Formate drängen ins Programm – die atemlose Hatz provoziert Proteste

Dem enttäuschenden Saisonfinale zum Trotz darf Stricker mit dem Jahr zufrieden sein. Er erreichte an drei von vier Grand-Slam-Turnieren das Hauptfeld. Am US Open spielte er sich nach einem vielbeachteten Sieg über den griechischen Top-Ten-Spieler Stefanos Tsitsipas bis in die Achtelfinals. In der Weltrangliste verbesserte er sich um 26 Positionen auf Platz 94; er ist der zweitbeste Schweizer hinter dem unverwüstlichen Stan Wawrinka (ATP 50).

Stricker und Wawrinka finden damit direkt Aufnahme ins Hauptfeld des ersten Höhepunkts der nächsten Saison, des Australian Open in Melbourne, das bereits Mitte Januar beginnt. Die Entry-Liste dürfte in der kommenden Woche veröffentlicht werden.

Stricker und Wawrinka verbindet, wie sie ihre Saison abgeschlossen haben: mit einer Verletzung. Der 38-jährige Romand hatte vor dreieinhalb Wochen in Metz sein letztes Spiel ebenfalls aufgeben müssen. Er übertrat sich im Match gegen den Franzosen Luca Van Assche den rechten Knöchel. Auf Instagram sah man Wawrinka danach mit einem grossen Gehgips. Aber entgegen anderslautenden Medienberichten war keine Operation notwendig.

Der «Tribune de Genève» sagte Wawrinka Mitte November, er habe sich einen kleinen Knochen am Knöchel gebrochen, den er vor zwei Jahren zweimal hatte operieren lassen müssen. Die Heilung einer solchen Verletzung dauere üblicherweise ein bis zwei Monate. Zurzeit plant Wawrinka seine Rückkehr auf die Tour für das Kooyong Classic im Januar, ein Exhibition-Turnier, das unmittelbar vor dem Australian Open stattfindet.

Ob verletzt oder nicht: Die sogenannte «off season», die wettkampffreie Zeit über die Feiertage, wird für die Spieler immer kürzer. Noch vor ein paar Jahren waren die ATP-Finals und der Davis-Cup-Final die letzten Termine im Kalender, nun dauern die Next-Gen-Finals bereits bis in den Dezember hinein. Immer neuere, wildere Formate drängen ins Programm. Bereits am 29. Dezember beginnt mit dem United Cup und den Turnieren in Brisbane, Adelaide und Auckland der ganze Zirkus von vorne.

Diese atemlose Hatz provoziert immer häufiger Proteste der Spieler, die sich gegen das rigide Diktat der ATP wehren. An den Next-Gen-Finals der vergangenen Woche fehlten mit Carlos Alcaraz (ATP 2), Holger Rune (ATP 8), Ben Shelton (ATP 17) und Lorenzo Musetti (ATP 27) die besten vier Spieler, die in Jidda in den prall gefüllten Preisgeld-Topf hätten greifen dürfen. Der 19-jährige Franzose Arthur Fils war als Weltnummer 36 der bestklassierte Spieler, der in Saudiarabien antrat. Die anderen zogen es vor, ihrem Körper einen Moment der Ruhe zu gönnen, um fit für die neue Saison zu sein – und das hat die Organisatoren der vier Grand-Slam-Turniere in Melbourne, Paris, Wimbledon und New York nun auf den Plan gerufen.

Sie schmieden Pläne für eine Neuorganisation des Tennis-Zirkus, was den grössten Einschnitt in dieser Sportart bedeuten könnte seit der Gründung der ATP-Tour in ihrer heutigen Form, die auf das Jahr 1990 zurückgeht. Die Innovationen würden den ohnehin schon enormen Einfluss der Major-Turniere noch einmal stärken.

Die Idee ist offenbar, aus den vier Slams und rund zehn weiteren grossen Events eine Art Premium-Tour zu formen. Welche Turniere ausser den Majors in diese Hors-Kategorie aufsteigen würden, ist noch unklar. In der Pole-Position sind aber sicher die Masters-1000-Turniere, von denen es im Moment neun gibt. Und es würde bestimmt mindestens ein neuer Standort aus dem mittleren Osten zu diesem Kreis stossen.

Roger Brennwald, der Turnierdirektor der Swiss Indoors in Basel, ist beunruhigt

Zu den Verlierern einer solchen Neuordnung würden mutmasslich alle Schweizer Turniere gehören, die nicht in der obersten Liga mitmischen; also jene in Genf (ATP 250), Gstaad (ATP 250) und Basel (ATP 500). Spruchreif ist allerdings noch nichts. Am Australian Open wollen die Initianten mit einem konkreten Plan an die Öffentlichkeit treten.

René Stammbach, der Präsident von Swiss Tennis, bis in diesem Herbst Vizepräsident im internationalen Verband ITF, sagt: «Ich kenne die Pläne nicht im Detail, aber man muss sie sicher ernst nehmen.» Roger Brennwald, der Turnierdirektor der Swiss Indoors in Basel, sagt: «Sollte so etwas umgesetzt werden, wäre das für die Tour, wie wir sie heute kennen, nicht ein Sturm, sondern ein Tsunami.» Ruhig wird es im internationalen Tennis also selbst dann nicht, wenn einmal ausnahmsweise kein Ball übers Netz fliegt.

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