Montag, Oktober 7

Vertreter Pekings drängten die schweizerisch-asiatische Handelskammer, den Begriff «Taiwan» von ihrer Internetpräsenz zu entfernen. Was dann geschah, zeigt, in welchem Dilemma sich heutzutage viele westliche Unternehmen befinden.

In China ist die Macht der Kommunistischen Partei allumfassend. Doch ihr Einfluss reicht weiter – im vorliegenden Fall bis nach Zürich, wo sich der Sitz der schweizerisch-asiatischen Handelskammer befindet.

Die Swiss-Asian Chamber of Commerce fristete bis anhin ein Schattendasein. Sie ist für Unternehmen all jener asiatischen Länder da, die in der Schweiz keine eigene Handelskammer haben. Also Staaten wie Pakistan, Thailand, Vietnam, Indonesien – und Taiwan. Abgesandte von Unternehmen aus den besagten Ländern treffen sich an Anlässen der Handelskammer mit Vertretern von Schweizer Firmen und knüpfen Geschäftskontakte. So weit, so unspektakulär.

In diesem April geriet die kleine Vereinigung jedoch plötzlich zwischen die Fronten der Geopolitik. Wie Recherchen der NZZ zeigen, sprachen Funktionäre der chinesischen Botschaft in Bern den Präsidenten der Handelskammer, Urs Lustenberger, am Rande eines Anlasses an. Sie gaben ihm zu verstehen, er solle doch bitte die Ein-China-Politik auf der Website der Handelskammer umsetzen.

Lustenberger interpretierte diese Botschaft als Aufforderung, die Bezeichnung «Taiwan» von der Liste der Mitgliedsländer auf der Website der Handelskammer zu löschen und stattdessen «Chinese Taipei» zu schreiben.

Auf Begrifflichkeiten kommt es an

Die Anfrage der Botschaft kam nicht zufällig, sondern ist Teil einer globalen Kampagne der chinesischen Regierung. Peking versucht seit Jahrzehnten, Organisationen, Unternehmen und Länder in der Taiwan-Frage auf Linie zu bringen. Dazu gehört auch die Kontrolle darüber, wie man über Taiwan spricht.

Aus Sicht von China ist es relativ einfach: Wer Taiwan als «Taiwan» bezeichnet, sagt damit, dass es sich bei der Insel um einen unabhängigen Staat handelt. China betrachtet Taiwan allerdings als untrennbaren Teil der Volksrepublik.

Wer das anders sieht, macht aus Sicht von Peking gemeinsame Sache mit Separatisten, die mit Taiwan ein «zweites China» gegründet haben. Die Volksrepublik fordert von allen Ländern, die mit China diplomatische Beziehungen pflegen wollen, Taiwan nicht als eigenständigen Staat anzuerkennen. Wie die meisten westlichen Staaten hat sich daher auch die Schweiz zur sogenannten Ein-China-Politik bekannt. Die Schweiz nimmt damit zur Kenntnis, dass China Taiwan als zu sich gehörig sieht. Deshalb gibt es hierzulande auch keine taiwanische Botschaft, sondern nur ein Kultur- und Handelsbüro, das keinen diplomatischen Status hat.

Gegenüber der NZZ bestätigt der Präsident der Handelskammer, von einem Vertreter der chinesischen Botschaft angesprochen worden zu sein. Er habe in der Folge den Geschäftsführer der Kammer angewiesen, auf der Website Taiwan unter dem Namen «Chinese Taipei» aufzuführen und die Landesflagge zu entfernen, so Urs Lustenberger.

Hier könnte die Geschichte zu Ende sein. Doch sie nimmt eine andere Wendung. Sie zeigt, in was für einem komplexen geopolitischen Umfeld sich viele Unternehmen – und Handelskammern – heutzutage befinden.

Zwei Lager

Der Geschäftsführer der Handelskammer kam nämlich zu einem anderen Schluss als der Präsident. Nachdem er sich mit anderen Vorstandsmitgliedern abgesprochen hatte, weigerte er sich, Urs Lustenbergers Anweisung umzusetzen, «Taiwan» durch «Chinese Taipei» zu ersetzen und damit der Aufforderung der chinesischen Botschaft nachzugeben.

Stattdessen bildeten sich in der Handelskammer zwei Lager, die sich bis heute im Streit befinden. Ein Lager wollte China auf keinen Fall brüskieren, das andere Lager stellte sich auf die Seite Taiwans, das sich selbst als eigenständigen, demokratischen Staat sieht. Es kam zu Strafanzeigen. Selbst um die Internetadresse stritten sich die beiden Seiten.

«Ich sehe keinen Grund, weshalb wir uns dem Druck Chinas beugen sollten», sagt Nathan Kaiser, ein Vertreter der «Pro-Taiwan-Seite» im Vorstand der Handelskammer. Schliesslich vertrete man Taiwan als Mitgliedsland, dessen Bevölkerung nicht von Peking regiert werden wolle. Zudem sei die Schweiz ein demokratischer Staat. Hierzulande müsse man als privat organisierter Verein nicht auf Druckversuche von Vertretern eines ausländischen Staates reagieren.

Präsident Lustenberger sah es anders. Er wollte dem Wunsch Pekings aus geschäftlichen und diplomatischen Überlegungen Folge leisten. So würden sich Mitglieder der Kammer, die zum Beispiel Geschäfte in Vietnam machten und dann Waren nach China exportierten, in die Einflusssphäre der Volksrepublik begeben. Ausserdem hätten er und andere Mitglieder der Kammer auch direkte geschäftliche Interessen in China.

Zu den Mitgliedern der Handelskammer gehörten zudem auch ein paar wenige chinesische Firmen, die in der Schweiz und Europa Projekte verfolgen. Lustenberger hält es daher für unumgänglich, sich mit allen Regierungen der Region gut zu stellen. Dazu gehöre auch, dass die Handelskammer die Ein-China-Politik befolge.

Wirtschaft agiert opportunistisch

Unbestritten ist: China ist ein wichtiges Land für den Export von Gütern und Dienstleistungen. Laut dem Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG) exportierte die Schweiz im Jahr 2023 Waren im Wert von 40,6 Milliarden Franken nach China. Nach den USA und Deutschland ist China somit der drittgrösste Exportmarkt für die Schweiz.

Wer sich mit der Kommunistischen Partei anlegt, muss es sich also gut überlegen. Ein Blick auf die Websites von Schweizer Konzernen zeigt, dass mit der Taiwan-Thematik unterschiedlich umgegangen wird. Das Industrieunternehmen ABB wählt den Kompromiss «Taiwan (Chinese Taipei)». Die UBS bezeichnet ihre Niederlassung in Taiwan als «Taipei Branch». Auf Anfrage schreibt die Bank, dass man den Begriff «Taiwan» allerdings intern wie auch extern verwende. Und auch der Halbleiterzulieferer VAT führt die Niederlassung in Taiwan unter dem Namen «VAT Taiwan Co, Ltd.» auf.

Ralph Weber ist Professor für Politikwissenschaften an der Universität Basel und beschäftigt sich in seiner Forschung mit dem Einfluss des chinesischen Parteistaats auf soziale, wirtschaftliche und politische Kreise in der Schweiz. Er sagt: «Übt die chinesische Regierung Druck auf Unternehmen aus, agieren diese oft opportunistisch.»

Viele Unternehmen und Wirtschaftsorganisationen handelten in vorauseilendem Gehorsam und zensierten sich selbst, um ihre geschäftlichen Interessen nicht zu gefährden. «Ich bezweifle jedoch, dass der chinesische Staat die Handelskammer sowie deren Mitglieder bei einer Nichtbefolgung abstrafen würde. Aber viele Unternehmen und Organisationen wollen kein Risiko eingehen», so Weber.

Die chinesische Botschaft äussert sich nicht zum konkreten Fall, schreibt aber auf Anfrage: «Wir schätzen das konsequente Festhalten der Schweizer Regierung am Ein-China-Prinzip und hoffen, dass alle Kreise in der Schweiz die Taiwan-Frage richtig verstehen und sich nicht durch falsche Darstellungen und Lügen täuschen lassen.»

Mittlerweile gibt es zwei Linkedin-Profile der Handelskammer und auch zwei Websites. Auf beiden steht nun eine Kompromisslösung: «Taiwan (Chinese Taipei)».

Exit mobile version