Die amerikanische Regierung möchte Migranten auch in weit entfernte und instabile Drittstaaten abschieben – zum Beispiel nach Libyen oder in die Ukraine. Selbst Mexikaner könnte es angeblich treffen.

Die USA haben bereits Migranten aus Drittländern nach Lateinamerika abgeschoben. El Salvador hat für die Bezahlung von 6 Millionen Dollar 238 mutmassliche Mitglieder der venezolanischen Gang Tren de Aragua aufgenommen. Sie sitzen dort nun in einem Hochsicherheitsgefängnis. Panama und Costa Rica akzeptierten Hunderte von abgeschobenen Migranten aus Asien und Afrika. Washington will dieses Konzept jetzt auch auf weiter entfernte Länder ausweiten.

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In den vergangenen Tagen bestätigten Regierungsmitarbeiter gegenüber amerikanischen Medien, dass Ausschaffungsflüge nach Libyen kurz bevorstünden. Verwandte des mexikanischen Staatsbürgers Valentin Yah erzählten der Nachrichtenagentur Reuters, dass Yah in Ausschaffungshaft ein Dokument zur Unterschrift vorgelegt worden sei, mit dem er einer Abschiebung nach Libyen zustimmen sollte. Auch Anwälte von Migranten aus Vietnam, Laos oder den Philippinen fürchteten, dass ihre Mandanten ohne gerichtliche Anhörung in das von einem Bürgerkrieg gespaltene Land in Nordafrika oder auch nach Saudiarabien ausgeflogen werden könnten.

Richter sieht einen «klaren» Verstoss

Die Anwälte ersuchten deshalb den Bundesbezirksrichter Brian Murphy am Mittwoch in Boston, die Ausschaffungen zu blockieren. Murphy hatte bereits im März angeordnet, dass Migranten nicht in Drittländer abgeschoben werden könnten, ohne ihnen die Möglichkeit einer gerichtlichen Anhörung zu geben, sollten sie Verfolgung oder Folter im Zielland fürchten müssen. Nun hielt Murphy in einer klärenden Anordnung fest, dass die gemäss Medienberichten geplanten Ausschaffungsflüge nach Libyen sein früheres Urteil «klar verletzen» würden.

Präsident Donald Trump gab sich am Mittwoch unwissend. Er empfahl Journalisten, sich mit ihren Fragen an das Ministerium für Innere Sicherheit zu wenden. Sein stellvertretender Stabschef und Berater für Migrationspolitik Stephen Miller kritisierte die Anweisung des Richters jedoch scharf. Er warf Murphy vor, sich auf unzulässige Weise in die Zuständigkeiten der Regierung einzumischen. «Das ist ein richterlicher Coup», schrieb Miller auf X.

Es ist allerdings noch unklar, wie konkret die Pläne der amerikanischen Regierung bereits fortgeschritten sind. Aussenminister Marco Rubio bestätigte die Bemühungen vergangene Woche. Die USA würden derzeit andere Länder kontaktieren und ihnen sagen: «Wir wollen euch einige der verabscheuungswürdigsten Menschen schicken. Würdet ihr uns diesen Gefallen tun?» Je weiter weg diese Länder seien, umso besser. «Damit sie (die Migranten) nicht zurück über die Grenze kommen könnten.»

In seinem jüngsten Menschenrechtsbericht bezeichnet das amerikanische Aussenministerium die Haftbedingungen in Libyen selbst als «harsch und lebensgefährlich». Es warnt seine Bürger vor Reisen in das Land und weist auf die Gefahren hin: «Kriminalität, soziale Unruhen, Entführungen und ein bewaffneter Konflikt». Zu möglichen Ausschaffungen nach Libyen wollte sich das Aussenministerium am Mittwoch nicht äussern: «Wir diskutieren die Details unserer diplomatischen Gespräche mit anderen Regierungen nicht.»

Bereits die Aussicht soll verunsichern

Die libysche Regierung in Tripolis stellte jedoch klar, es gebe «keinerlei Abkommen oder Koordination» mit Washington über die Ausschaffung von Migranten. Auch die in Ostlibyen herrschende Miliz des Warlords Khalifa Haftar bezeichnete die Berichte als «komplett falsch».

Gestützt auf interne Regierungsdokumente berichtete der Fernsehsender CBS allerdings am Montag, dass die USA noch etliche weitere Aufnahmeländer im Blick hätten. Zu ihnen gehören Angola, Benin, Äquatorialguinea, Eswatini, die Moldau und Rwanda. Die rwandische Regierung bestätigte Gespräche mit Washington über ein Migrationsabkommen. Das ostafrikanische Binnenland hatte eine ähnliche Vereinbarung mit Grossbritannien geschlossen, die allerdings scheiterte.

Kurz nach dem Amtsantritt im Januar bat die Trump-Regierung auch die Ukraine darum, eine unbestimmte Zahl an Migranten aus Drittländern aufzunehmen. Dies geht aus offiziellen Dokumenten hervor, die von der «Washington Post» eingesehen wurden. Wo diese Gespräche momentan stehen, scheint allerdings ungewiss. Ein ukrainischer Diplomat informierte offenbar die amerikanische Botschaft in Kiew, dass seine Regierung die Bitte beantworten werde, sobald sie sich auf eine Position in der Frage geeinigt habe. Ein ukrainischer Diplomat wies die Amerikaner angeblich auch auf die schwierigen Umstände seines Landes in Kriegszeiten hin. Das Thema soll bisher nicht auf höchster Ebene diskutiert worden sein.

Auch ohne konkrete Abkommen könnte die amerikanische Regierung allerdings eines ihrer Ziele erreichen: Abschreckung. Auch Mexiko ist zum Beispiel bereit, Migranten aus Drittstaaten wieder aufzunehmen, die von den amerikanischen Behörden an der Südgrenze aufgegriffen wurden. Viele von ihnen versuchen daraufhin jedoch einfach ein zweites oder ein drittes Mal illegal auf amerikanischen Boden zu gelangen. Die unschöne Aussicht auf eine mögliche Abschiebung in unsichere Drittstaaten wie Libyen könnten diese Migranten zu einem Umdenken bewegen.

Andrew Selee, der Präsident der Denkfabrik Migration Policy Institute, erklärte gegenüber CBS, dass auch kleinere oder gerichtlich blockierte Migrationsabkommen eine grosse Wirkung haben könnten. Diese würden «eine Botschaft senden, die Personen davon abschreckt, illegal in die USA zu kommen». Die Regierung signalisiere damit, dass sie «Personen jeglicher Nationalität irgendwohin» ausschaffen könnte.

Indem die Trump-Regierung für eine grosse Verunsicherung in Migrantenkreisen sorgt, hat sie aus ihrer Sicht im Grunde bereits einen Erfolg verbucht.

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