Freitag, Februar 21

Viele Landsleute haben für den Rückkehrer bloss Spott und Häme übrig. Ihre Anerkennung erhält Neymar nur, wenn er 2026 mit Brasilien die Fussball-WM gewinnt. Ihm bleiben 16 Monate, um in Bestform zu kommen.

Ein schneller Antritt, ein versprungener Ball, und wenige Sekunden später lag der Fussball im eigenen Netz. Die Sequenz aus der Partie zwischen dem Gastgeber Corinthians und dem FC Santos wurde in den sozialen Netzwerken aus unzähligen Perspektiven wiedergegeben und ausgiebig diskutiert.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Der Urheber des verpatzten Angriffs war Neymar. Die Szene aus der vergangenen Woche zeigt, wie weit der brasilianische Fussballstar von seiner Bestform entfernt ist. Und könnte ein Hinweis sein, dass Neymar mit seiner Rückkehr in die Heimat vielleicht genau die richtige Entscheidung getroffen hat.

Der einstige Superstar muss sich steigern

Die Häme und der Spott, die ihm nach jener Szene entgegenschlugen, gleichen einem Stahlbad; will er diesem entkommen, wird er sich steigern müssen. Der FC Santos verlor das Gastspiel in der Staatsmeisterschaft von São Paulo, genannt «Paulista», 1:2. Immer dann, wenn Neymar etwas misslang, streckten ihm die Fans des Heimteams unter lautem Gejohle ihre Mittelfinger entgegen. Die meisten der 48 000 Zuschauer waren in die Arena Corinthians gekommen, um Neymar im Trikot des Lokalrivalen scheitern zu sehen.

Wie gross der Druck auf den FC Santos ist, dass Neymar knapp 12 Jahre nach seinen Gastspielen in Barcelona, Paris und Saudiarabien wieder das Trikot seines Heimatklubs trägt, wurde kurz danach deutlich. Mitglieder eines der grössten Santos-Fanklubs («Sangue Jovem») versuchten auf das Trainingsgelände «Rei Pelé» zu gelangen. Sie wollten den Trainer Pedro Caixinha zur Rede stellen.

Drei Tage später auf eigenem Rasen im legendären Vila Belmiro johlten die Zuschauerinnen und Zuschauer erneut, Santos spielte gegen Agua Santa. Mal war es ein Lupfer über den Gegenspieler, dann ein kluger Pass. Dass Neymar es mit seinen Kapriolen zuweilen übertrieb, verziehen die Fans ihrem Superstar auf Bewährung. Neymar wurde im Strafraum gefoult, verwandelte den Penalty und steuerte zum 3:1 auch noch einen Assist bei. Wieder nahmen Tausende Smartphones die Szenen auf, Neymar spielte Fussball, der wie gemacht war für die sozialen Netzwerke: In Sequenzen aufgeteilt, können die Häppchen crossmedial verbreitet werden.

Doch in Brasilien fragen sich alle: Kann Neymar, 33, nach seiner langen Verletzungspause noch einmal eine Form erreichen, die ihn zu einem ernsthaften Kandidaten für das Nationalteam macht? Die ersten Februartage haben eine klare Antwort gegeben: Nein. Zurzeit kann der einstige Weltklassespieler weder schnell sprinten noch zu einem Gegenpressing beitragen, wie es der moderne Fussball erfordert. Neymar wirkt behäbig, nicht austrainiert und für seine Verhältnisse viel zu langsam.

So leicht Spielpraxis sammeln kann Neymar nur in Brasilien

Aber der brasilianische Fussball hat seine Besonderheiten. Eine davon ist diese Staatsmeisterschaft. In diesem Wettbewerb treffen die besten Mannschaften aus der ersten, zweiten und dritten Liga aufeinander. Das ermöglicht dem FC Santos, seinem Superstar jene Spielpraxis zu geben, die er anderswo so kaum sammeln könnte. Und gegen Gegner zu glänzen, die in die Kategorie harmlos fallen – wie Agua Santa.
«Ich bin froh, dass ich viele Minuten bekomme und immer mehr mitmache, ich habe das Gefühl, dass ich mich körperlich verbessert habe», sagte Neymar nach der Partie. Es ist die Politik der kleinen Schritte.

Der erste Schritt sieht vor, dass Neymar bis Ende März in Form kommt für die Seria A, die höchste brasilianische Liga. Dort steht zum Auftakt ein Duell bei Vasco da Gama in Rio de Janeiro auf dem Programm. Der Spielplan ist im Vergleich zu den europäischen Fussballligen erbarmungslos: 38 Partien in 36 Wochen – und zwischendurch noch der Cup. Der grösste Unterschied zu anderen Ligen ist der grosse Reisestress, es geht quer über den Kontinent mit Flügen von bis zu vier Stunden und in unterschiedliche Klimazonen. Insgesamt 19-mal wird Neymar dann in der Fremde antreten müssen. Und bereits jetzt, in der kleinen «Paulista», wurde klar, was ihn erwartet: Brasilien verfolgt jeden Schritt seines berühmtesten Zirkuspferdes, dem in den sozialen Netzwerken weltweit über 250 Millionen Follower bei seinen Kunststücken zuschauen.

Anders als in Saudiarabien verzeihen die sachverständigen brasilianischen Fans jedoch keine Fehler. Das Supertalent, das nach seinem strahlenden Auftritt als damals 21-Jähriger beim Confed-Cup 2013 den damaligen Weltmeister Spanien im Final 3:0 nach Hause schickte, steht unter besonderer Beobachtung. Ökonomisch verlief seine Karriere überaus erfolgreich. Sportlich war sie durchwachsen – besonders wenn man sie an den Ansprüchen misst, die seine Landsleute an ihn stellten.

Neymar steht ihnen gegenüber auch in einer Bringschuld. Mit der Nationalmannschaft gewann er bisher keinen bedeutenden Titel. Die Anerkennung, die er sich wünscht, können ihm aber weder die vielen Follower in den sozialen Netzwerken noch die vielen Millionen auf dem Bankkonto bringen. Die gibt es in Brasilien nur in einer einzigen Währung: einem WM-Titel mit der Seleção. Neymar bleiben 16 Monate, um in Bestform zu kommen. Dann beginnt die Weltmeisterschaft 2026 in den USA, Kanada und Mexiko. Und dann muss das Zirkuspferd wieder springen.

Bis dahin will Neymar die Zweifler überzeugen: zunächst in São Paulo, dann in Brasilien und schliesslich auf der ganzen Welt. Die Reise hat begonnen.

Exit mobile version