Dienstag, November 5

Das Stadtzentrum soll für Velofahrer und Fussgänger umgebaut werden. Geplant ist ein «Mehrzweckstreifen», der früher schon für Konfusion sorgte.

Die Urania- und die Sihlstrasse sind Hauptverkehrsachsen. Mehrspurig und mit Tempo 50 führen die grossen Einbahnstrassen durch Zürichs Stadtzentrum.

In Zukunft sollen diese Achsen verschwinden oder massiv verkleinert werden, wie die Tamedia-Zeitungen berichten. Sie stützen sich dabei auf Dokumente des Tiefbauamtes.

Die Idee, dass das Verkehrsregime in der City umgekrempelt werden soll, geistert seit 2008 herum. Nun hat sich die zuständige Stadträtin Simone Brander (SP) neue Pläne dazu ausgedacht.

Auf der Uraniastrasse, auf der die Autos derzeit zwei- bis dreispurig von der Rudolf-Brun-Brücke herkommen, soll es bald enger werden. Künftig würde dort Gegenverkehr auf je einer Spur gelten. Auch will die Stadt das Tempo von 50 auf 30 reduzieren.

Der Platz soll Fussgängern und Velofahrern zugutekommen. Die Stadt will dafür einen sogenannten Mehrzweckstreifen anbringen. Ein zwei Meter breites Farbband in der Mitte der Uraniastrasse soll sicherstellen, dass Passanten die Strasse auf einer Länge von 400 Metern überall überqueren können.

Fussgängerstreifen würden auf der Uraniastrasse nur noch drei bestehen bleiben, jene auf beiden Seiten der Bahnhofstrasse sowie jener beim Jelmoli. Für die Velofahrer ist auf beiden Seiten der Strasse ein 1,6 Meter breiter Streifen vorgesehen.

Auf einem Abschnitt der Sihlstrasse, wo sich der Verkehr derzeit zweispurig Richtung Limmat bewegt, würden Autos künftig gar nicht mehr fahren. Die Stadt plant, einen Bereich komplett zur Fussgängerzone umzugestalten.

Auf der Löwenstrasse soll zudem eine Begegnungszone mit Tempo 20 entstehen. Somit wären im Perimeter nur noch zwei Spuren für Autofahrer offen, pro Richtung eine. Ausserdem würden 20 weisse Parkplätze wegfallen und über 100 neue Veloabstellplätze entstehen. Auch Bäume sollen gepflanzt werden.

Wer hat in Zürich das Sagen, Stadt oder Kanton?

Simone Branders Pläne, das Verkehrsregime in der City umzugestalten, dürften es nicht einfach haben. Gerade was die Spurreduktion angeht, wird der Kanton ein Wörtchen mitreden wollen. Der sogenannte Anti-Stau-Artikel, der in der Kantonsverfassung steht, verbietet einen Kapazitätsabbau auf überkommunalen Strassen. Dieser Artikel wurde 2017 von den Stimmberechtigten im Kanton Zürich angenommen. Er verbietet einen Leistungsabbau auf Staatsstrassen; werde hier abgebaut, müsse dies im umliegenden Strassennetz kompensiert werden.

Schon heute ist zu beobachten: Wenn es auf der Sihlstrasse wegen Baustellen zu einem Spurabbau kommt, staut sich dort der Verkehr. Wenn die Sihlstrasse künftig für Autos gesperrt wäre, müssten diese über die Uraniastrasse fahren. Diese wäre mit dem neuen Regime aber nur noch je einspurig befahrbar.

Der Kanton stellte sich in der Vergangenheit bereits mehrfach gegen ähnliche Pläne der Stadt, etwa als sie an der Bellerivestrasse Spuren abbauen oder bei der Rosengartenstrasse Tempo 30 einführen wollte. In beiden Fällen wehrte sich die Stadt wiederum juristisch gegen den abschlägigen Entscheid. Sie unterlag vor der Rekursabteilung der kantonalen Sicherheitsdirektion unter Regierungsrat Mario Fehr (parteilos), sie zieht die Fälle aber ans Verwaltungsgericht weiter.

Wie also sollen die neusten Pläne überhaupt möglich werden?

Auf Anfrage der NZZ macht das Tiefbauamt keine genaueren Aussagen dazu. Das Projekt befinde sich derzeit noch in einem frühen Stadium. Die öffentliche Auflage sei derzeit in Vorbereitung: «Die Pläne können sich bis dann noch ändern», sagt ein Sprecher.

Auch seien Abklärungen mit den zahlreichen projektbeteiligten Stellen im Gang. Weiter suche man einen Termin für eine Informationsveranstaltung mit Vertretern des Gewerbes und der Quartiervereine, um sie vor der Planauflage über das Projekt zu informieren.

Wann diese sein wird, kann die Stadt zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Sie rechnet mit einer Umsetzung bis 2030.

Brander war selber gegen Mehrzweckstreifen

Auch der geplante Mehrzweckstreifen auf der Uraniastrasse birgt einiges Konfliktpotenzial. Ein ähnliches Verkehrsregime ist seit 2021 auf der Nordstrasse in Wipkingen zu beobachten.

Fussgänger dürfen hier über die Strasse gehen, wo sie wollen. Vortritt haben sie aber keinen. Zebrastreifen zum sicheren Überqueren fehlen. Die Passanten sind angewiesen, anzuhalten, auf eine Lücke im Verkehr zu warten oder Blickkontakt mit den Personenwagenlenkern aufzunehmen. Der Streifen in der Mitte soll als Zwischenstopp genutzt werden.

Immer wieder kommt es auf der Nordstrasse zu kuriosen, aber zum Teil auch brenzligen Situationen, wie ein Augenschein vor Ort damals zeigte. Bei den vielen Verkehrsteilnehmern dominierte Ratlosigkeit.

Die Stadt hat den Mehrzweckstreifen auf der Nordstrasse 2023 trotzdem dauerhaft eingeführt. In einer Umfrage habe die Hälfte der Befragten das Regime als gut oder sehr gut beurteilt, teilte die Stadt damals mit. An der Umfrage nahmen aber nur 30 Personen teil. Sie war denn auch nicht repräsentativ.

Auch die Politik sieht die Mehrzweckstreifen skeptisch. Als Gemeinderätin reichte die heutige Stadträtin Simone Brander selber im Jahr 2022 einen Vorstoss ein, der sich gegen weitere solche Projekte mit «flächigem Queren» ausspricht. Diese würden für Kinder oder Menschen mit Einschränkungen ein Gefahrenpotenzial bergen.

Dominique Zygmont, der Geschäftsführer der City-Vereinigung Zürich, sieht die Pläne kritisch. Ein Mehrzweckstreifen auf der Uraniastrasse ist für ihn die falsche Lösung. Die Frequenzen aller Verkehrsteilnehmer seien dort sehr hoch. Eine neue Mischung bringe an der Stelle keine Sicherheit.

Den Rest der Pläne will Zygmont kommentieren, wenn sie dereinst vorliegen. Vor dem Sommer sei ein Termin mit der Stadt geplant gewesen, der aber nicht zustande gekommen sei: «Wir sind irritiert über den Prozess, dass die Pläne bereits jetzt öffentlich wurden», sagt Zygmont. Man müsse nun zuerst einmal erfahren, was die Stadt überhaupt auflegen werde.

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