Freitag, Oktober 18

Die Wirte machen den Besitzer der Liegenschaft mitverantwortlich.

Es gehörte eine gehörige Portion Mut dazu, sich im Zürcher Traditionslokal Öpfelchammer zu verewigen. Aber wer es schaffte, über den Balken in der Stube zu klettern und in der Luft turnend auch noch ein Glas Wein zu kippen, dem wurde eine seltene Ehre zuteil: Er oder sie durfte sich an Wänden oder Mobiliar des über 200 Jährigen Lokals am Rindermarkt 12 im Niederdorf verewigen.

Nun wird so schnell kein wagemutiger Zecher mehr zu dieser urzürcherischen Weihe gelangen. Wie die Gastgeber Thomas Trautweiler und Christian Gretener in einer Mitteilung schreiben, schliesst das Traditionsrestaurant «per sofort» und «leider für immer».

Die beiden Wirte hatten die Öpfelchammer 2019 übernommen, «fulminant» wie sie es selber formulieren. Man habe es geschafft, wieder in vielen Köpfen präsent zu sein. Trotz «hoher Umsatzmiete» habe man eine ansehnliche Nachfrage generieren können.

Doch die Pandemiejahre, Umbauten während laufendem Betrieb sowie eine «angedeutete Mietzinserhöhung» durch den Liegenschaftenbesitzer hätten dazu geführt, «dass wir den Restaurationsbetrieb nicht kostendeckend weiterführen können».

Zu dieser Erkenntnis sei man in letzten Wochen gekommen. «Die anspruchsvolle Zeit der Pandemie und der daraus resultierende Schuldenberg vernichtete unsere Reserven», schreiben die Unternehmer weiter. «Wir bedauern das Ende der Geschäftstätigkeit ausserordentlich. Es tut uns leid.»

In ihrer Mitteilung geben die Gastronomen dem Besitzer der Liegenschaft eine Mitschuld an ihrem Scheitern. So hätten sie in der Pandemie durchgehend Miete zahlen müssen. Umbauten seien sehr kurzfristig angekündigt worden.

Das Gebäude ist seit über 70 Jahren im Besitz der Familie Himstedt. Bis zum Jahr 2019 hatten Horst-Michael Himstedt und seine Tochter Karin Henner-Himstedt das Lokal geführt und anschliessend an Thomas Trautweiler und Christian Gretener übergeben. Der jetzige Liegenschaftenbesitzer Michael Himstedt, der an der gleichen Adresse eine Anlageberatung und Vermögensverwaltung für «wohlhabende Privatkunden und institutionelle Anleger» führt, wollte sich gegenüber der NZZ vorerst nicht äussern, ob und wann das Restaurant wieder verpachtet werden soll.

Die in den Jahren 2020 und 2021 angehäuften Schulden seien nicht zu tilgen gewesen, schreiben die Gastronomen und deuten einen finanziellen Engpass an. Sie wüssten schon heute, «dass wir nicht allen Verpflichtungen nachkommen können und Enttäuschungen auslösen».

Eine gewisse Mitschuld scheinen sie auch bei den Gästen auszumachen. Nach der Wiedereröffnung habe sich das Geschäft schleppend entwickelt. «Die Öffentlichkeit war lange nicht bereit, freundschaftlich zu Tisch zu sitzen.» Die beiden Gastronomen reagierten nicht auf Anfragen der NZZ.

Ein Lokal mit Legenden

Um das Lokal mit dem prunkvollen Wirtshausschild ranken sich viele Legenden. So soll die «Öli» Gottfried Kellers Stammbeiz gewesen sein. Sein Porträt prangt noch heute an der Hausfassade. Die Legende besagt, dass er nach einem trinkfreudigen Abend in der Öpfelchammer seinen Amtsantritt als Staatsschreiber verschlafen habe.

Es dürfte sich dabei allerdings um eine Mär handeln. Weder erwähnte Keller das Lokal in seinem Schrifttum noch in seinen Briefen. Keller nannte in seinen Werken andere Zürcher Lokale, in denen er verkehrt, darunter die Zunfthäuser «Saffran» und «Zimmerleuten» sowie die Gasthäuser «Gambrinus», «Café Zürcherhof» oder «Pfauen».

Der Name Öpfelchammer stammt vermutlich aus der Zeit, als Klosterfrauen in der Liegenschaft Obst einlagerten. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts wird die im ersten Stock gelegene Gaststube so benannt. In Kellers Jugendjahren – er wächst vis-à-vis auf –bietet hier die Bäckerei des «Pfisters» Kaspar Denzler ihre berühmten Zwiebelwähen im Haus «Zum Judenhut» an.

Die Gastronomen scheiterten auch anderswo

Gretener Gastro hatte auch den Badi-Kiosk sowie das «Iisdörfli Rüschlikon» betrieben. Beides wird nicht weitergeführt. Bereits im Juli hatte die Gemeinde Rüschlikon darüber informiert, dass die beiden Gastronomen das «Iisdörfli» aufgrund der «sehr hohen Betriebskosten» für die Eisflächen nach einer Saison nicht mehr weiterführen wollten.

Für die Gemeinde ist das Ende bitter: Sie hatte eine Anschubfinanzierung von 80 000 Franken geleistet, um das Projekt zu ermöglichen. Zudem stellte sie die Flächen inklusive Infrastruktur im Gegenwert von 72 000 zur Verfügung. Dennoch resultierte am Ende der Saison ein Defizit.

Der Gemeinderat hatte den Gastronomen gar angeboten, das Projekt für zwei weitere Saisons zu den gleichen Bedingungen zu unterstützen, weil es einen Mehrwert für die Dorfgemeinschaft geleistet habe. Dennoch sagte Gretener Gastro ab. Auf die Gemeinde kommen sogar noch Folgekosten zu: Sie beteiligt sich mit 40 000 Franken an der «Abwicklung des Projektabbruchs» – und zeigt sich enttäuscht über das Aus.

In Zürich dürften nicht nur die Einheimischen die Öpfelchammer vermissen. Wegen der langen Tradition und der «Balkenprobe» wurde die Beiz auch gerne von Touristen besucht. Bei Zürich Tourismus bedauert man die Schliessung. «Wir haben unseren Gästen von nah und fern jeweils einen Besuch in der Öpfelchammer empfohlen», sagt Sprecher Michael Müller. «Das Ambiente und die Geschichte ist einmalig, auch die regionale Küche war sehr beliebt.» Nun gehe ein Stück Zürcher Tradition verloren.

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