Mittwoch, Oktober 9

Viele Automobilisten haben ihr Verhalten bei der Fahrt in den Süden geändert. Das hat Auswirkungen auf den wichtigsten Alpenübergang der Schweiz.

Es schien ein katastrophaler Sommer zu werden. Als Ende Juni ein Murgang eine Brücke der Nationalstrasse 13 im Misox zerstörte, machten sich viele Autofahrer Sorgen. Sie sahen sich in den Sommerferien bereits stundenlang im Stau stehen. In normalen Zeiten nimmt die San-Bernardino-Route 14 Prozent des Nord-Süd-Transitverkehrs auf. Nach dem Ende der Sommerferien in den meisten Kantonen und Bundesländern ist es an der Zeit, eine erste Bilanz über den Ferienverkehr zu ziehen.

Generell kann man sagen, dass es nicht so schlimm gekommen ist, wie man es im ersten Moment erwartet hatte. Das liegt in erster Linie daran, dass die Autobahn zwischen Lostallo und Soazza bereits am 5. Juli wieder eröffnet werden konnte. Die Schnelligkeit, mit der die Reparaturarbeiten durchgeführt wurden, sorgte international für Bewunderung. So titelte die deutsche «Bild»-Zeitung: «Autobahn-Wunder in der Schweiz nach Flutkatastrophe». Die Schweiz habe «den Turbo gezündet», die Bauarbeiten seien in Rekordzeit vorangekommen.

Nur in der Nacht staufrei

Diese und andere Medienberichte signalisierten den ferienhungrigen Menschen in halb Europa, dass der Transit durch die Schweiz wieder mehr oder weniger problemlos möglich sei. Entsprechend präsentieren sich die Zahlen. «Die Staulängen entsprachen in etwa den Werten, die wir im Jahr 2023 verzeichnet haben», sagt Michael Krein, Reporter bei der Verkehrsagentur Viasuisse, auf Anfrage der NZZ.

An den drei verkehrsreichsten Wochenenden im Juli stauten sich die Autos vor dem Nordportal des Gotthard-Strassentunnels auf bis zu 15 Kilometern. Im Jahr 2023 war der längste Stau sogar 16 Kilometer lang. Die Experten von Viasuisse haben diese Entwicklung vorausgesehen, da an diesen drei Wochenenden in vielen deutschen Bundesländern und in den Niederlanden die Ferien beginnen.

Ein anderes Phänomen hat Krein jedoch überrascht. Bis anhin beschränkten sich die Staus vor allem auf die Wochenenden und die Zeit kurz davor und danach. «Vom 1. Juli bis Mitte August hatten wir nun tagsüber immer mindestens einen Kilometer Stau in Richtung Süden. Das gab es in dieser Form noch nie», sagt der Verkehrsexperte. Über die Länge der nächtlichen Staus gibt es keine Statistik. Fest steht aber, dass sich die Staus vom Wochenende immer mehr in die Woche verlagern.

Krein hat keine einfache Erklärung dafür. Er vermutet mehrere Ursachen. «Eine könnte sein, dass die Autofahrer die Empfehlung umsetzen, nicht zu den Stosszeiten am Wochenende, sondern unter der Woche zu fahren», vermutet der Verkehrsexperte. Die Entwicklung könnte auch damit zu tun haben, dass das Reiseverhalten allgemein flexibler geworden ist. Man fährt nicht mehr für eine oder zwei Wochen nach Rimini, sondern wechselt die Unterkunft häufiger, was sich auch auf den Verkehr auswirkt.

Abgesehen von dieser neuen Entwicklung war es ein eher normaler Sommer am Gotthard. Die vom Bundesamt für Strassen (Astra) erhobenen Zahlen zur wöchentlichen Verkehrsentwicklung zeigen nur eine leichte Zunahme gegenüber den Vorjahren. Der Spitzenwert wurde in der Woche vom 29. Juli bis 4. August erreicht. Der durchschnittliche Tagesverkehr lag bei rund 29 900 Fahrzeugen in 24 Stunden. Im Vergleich zum vorhergehenden Jahr durchquerten 2 bis 3 Prozent Fahrzeuge mehr den Strassentunnel.

An verkehrsreichen Wochenenden leiden die Dörfer entlang der Gotthardroute, weil viele Autofahrer über die Kantonsstrasse ausweichen wollen. Eine Arbeitsgruppe Staumanagement mit Vertretern von Bund, Kanton und Gemeinden sowie Fachexperten erarbeitete verschiedene Massnahmen, um den totalen Verkehrskollaps zu verhindern.

Gustav Planzer, Stabschef der Kantonspolizei Uri, zieht eine positive Zwischenbilanz. Die Massnahmen der Arbeitsgruppe hätten bis jetzt wirkungsvoll umgesetzt werden können. «Insbesondere die Dosierung der Autobahnausfahrten Erstfeld und Amsteg hat sich erneut bewährt», so Planzer.

Wie bereits 2023 hat sich gezeigt, dass sich das Verkehrsmanagement nach der Öffnung des Gotthardpasses anspruchsvoller gestaltet. Dies wegen der zahlreicheren verkehrsintensiven Tage und des Mischverkehrs. Zum grossen Verkehrsaufkommen auf der A 2 kommt laut Planzer der starke Freizeitverkehr in Uri und insbesondere auf den Urner Passstrassen. «Besondere Herausforderungen ergeben sich an diesen Spitzentagen bei Fahrzeugpannen oder Unfällen. Bei solchen Störungen des Fliessverkehrs kann sich ein geordneter Verkehrsfluss innert Minuten zu einer Friktionslage wandeln», erklärt Planzer.

Der Kanton Uri strebt weitere Verbesserungen für die betroffene Bevölkerung an. So ist die Arbeitsgruppe Staumanagement bestrebt, die Situation in der stark belasteten Gemeinde Wassen zu verbessern. Insbesondere werden weitere Massnahmen, insbesondere auch zur Optimierung der Ausfahrtsverlängerung Göschenen, erarbeitet.

Lösungen werden auch für den Knoten Göschenen gesucht, wo der Verkehr von der A 2 über die Schöllenen Richtung Gotthard-, Oberalppass und Furkapass fahren kann. An Wochenenden mit starkem Rückreiseverkehr kommt es zu langen Staus bis nach Hospental. «Für die Tourismusregion Andermatt/Ursern ist das ein Nachteil», betont Planzer.

Die Arbeitsgruppe werde weitere Ansätze und Ideen ausprobieren, so Planzer. Wenn etwas Wirkung zeige, werde die Massnahme weitergeführt und optimiert. «Ziel ist es, den Ausweichverkehr auf den Kantonsstrassen auch in den Sommermonaten bei offenen Passstrassen auf ein erträgliches Mass zu reduzieren», so Planzer.

Bundesrat lehnt Gotthard-Maut ab

Im Sommer 2023 stand der Gotthard auch im Mittelpunkt einer politischen Diskussion, weil Parlamentarier aus verschiedenen Parteien die Einführung einer Maut für diesen Alpenübergang forderten. Mittlerweile hat der Bundesrat diesem Anliegen eine Absage erteilt.

Eine Benutzungsgebühr an den Alpenübergängen Gotthard (Tunnel und Pass) und San Bernardino hätte zwar einen positiven Einfluss auf die Verkehrssituation, schreibt die Landesregierung in der Antwort auf ein Postulat des Nationalrats Simon Stadler. Eine Maut würde jedoch faktisch dazu führen, dass der Kanton Tessin nur noch über eine gebührenpflichtige, ganzjährige Strassenverbindung mit den restlichen Landesteilen verbunden wäre. Der Bundesrat erachtet dies aus Gründen des Landeszusammenhalts als «nicht opportun».

Ausserdem wäre die Einführung einer Maut eine Abkehr von der Bundesverfassung. In dieser ist nämlich der Grundsatz festgelegt, dass die öffentlichen Strassen gebührenfrei benutzt werden können. Es brauchte also wahrscheinlich eine Verfassungsänderung, die der Bundesrat ablehnt.

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