Donnerstag, August 28

Kühn und voller Rätsel ist das letzte Buch, auf das Albahari-Fans gewartet haben. Es bietet ein bunt schillerndes Kaleidoskop aus enzyklopädischem Wissen und tragikomischer Lebenserfahrung, aus launigen Einfällen und parabelhaften Motiven.

Es ist der letzte und bizarrste Roman des 2023 im Alter von 75 Jahren verstorbenen serbisch-jüdischen Schriftstellers David Albahari: die Geschichte eines kleinen Königs, der über ein klitzekleines Königreich herrscht und in einem Zürcher Hotel sein Ende findet.

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Sein Name bleibt ungenannt, desgleichen Todesdatum und -ursache, das namenlose Königreich erstreckt sich zuletzt über zwei Etagen eines Zürcher Hotels. Was es mit dem König auf sich hat, teilt ein etwas wirrer Erzähler mit, der mal sich selber, mal einen Professor Babović, mal die Erinnerungen des kleinen Königs zitiert.

Dieser traf sich mit Staatschefs wie Tito und Schriftstellern wie Borges und Nabokov, war bei der Gründung der blockfreien Staaten und der Uno dabei, führte seine Genealogie auf die Skythen zurück, liebte Filme, Landkarten und Traumdeutungsbücher, sammelte Briefmarken und reiste leidenschaftlich gern. Doch sichtbar wurde er nur, «wenn er unsichtbar war».

Wildes Erzählen

Ein rätselhafter Mann. Zumal er behauptete, Jesu Kreuzigung ebenso erlebt zu haben wie die Scheiterhaufen der spanischen Inquisition und die Gaskammern der Nazikonzentrationslager. Und der notierte: «Anstatt mit jedem Augenblick heller zu werden, verdunkelt sich unsere grosse weite Welt immer mehr, so dass der Mensch am Ende des Ganzen, genauer am Ende seines Lebens, nicht das Licht, sondern die Finsternis betritt.»

David Albaharis Roman umkreist den König, ohne ihn auszudeuten, und schweift immer wieder in verschiedene Richtungen ab: nach Afrika und Fragen von Rassismus und Kolonialismus, zu politischen Rangeleien in der Blockfreienbewegung, zur Verachtung von Grossmächten für Kleinstaaten, zu studentischen Revolten, zu Regierungskonzepten und Säuberungsprogrammen.

Kurzum, es gibt kaum etwas, das im sprunghaften Wortschwall des Erzählers nicht vorkäme: auch von Ordnung und Unordnung, von neuen Sprachen, vom «Paradoxon des Vergessenen und Ungelernten», von der Palästinafrage und vom Schweizer Bankensystem ist die Rede, dozierend-philosophierend oder poetisch-suggestiv, wenn es um Seide aus China oder um helldunkle Nächte geht: «. . . die Nacht ist jung wie eine Braut, die Kinder schlafen dicht nebeneinander wie die Maiskolben, der König hat seine Nachtkluft an: das Nachthemd aus blauem Satin, die Frotteelatschen und einen breiten Gürtel».

Dergestalt bereit für die Nacht, weiss er aber nicht, ob auch die Nacht für ihn bereit war, «so wie er für viele andere Fragen keine Antwort hatte».

Auch der Leser wundert sich über so manches. Worauf zielt dieses wilde, fabulierfreudige Erzählen, das voller ernster und ironischer Anspielungen steckt? Soll hier Kleinstaaterei auf die Schippe genommen oder gar Politik allgemein ad absurdum geführt werden? Denn «die Historie ist eigentlich das: das Pflügen im leeren Raum, den uns das Nichts hinterlässt». Und was sollen die Figuren der Deutschen Hanni Gretl, des Schwarzen Sulejman und des bärenstarken «Drachen» Dragan, die nach dem Tod des Königs in einem Café aneinandergeraten?

Brennpunkt Balkan

Immer wieder laufen die Fäden beim Thema Balkan zusammen, auch Professor Babović trägt seine Tiraden in Belgrad vor, und der Erzähler kennt sich in der Materie – wie der Autor David Albahari – bestens aus. Also wird man hellhörig bei der Schilderung eines Wintertags 1939 mit pünktlicher Wachablösung vor dem Belgrader Parlament, in die sich die Vorahnung des Kriegs und der Judenverfolgung mischt – Themen, die Albahari in mehreren seiner Bücher auf beeindruckende Weise behandelt hat.

Hier, in «Wenn der König stirbt», greift er vieles punktuell auf und verbindet es kühn mit anderen Themen, als reiche die Zeit nicht aus, sich allem und jedem nochmals ausführlich zu widmen. (Tatsächlich lastete die Krankheit bereits schwer auf ihm.) Entstanden ist so ein bunt schillerndes Kaleidoskop aus enzyklopädischem Wissen und tragikomischer Lebenserfahrung, aus launigen Einfällen und parabelhaften Motiven, nachdenklich und witzig aufbereitet.

Ein kleines Meisterwerk, von Mirjana und Klaus Wittmann meisterhaft übersetzt. Und ja: das Vermächtnis eines grossen Schriftstellers.

David Albahari: Wenn der König stirbt. Roman. Aus dem Serbischen von Mirjana und Klaus Wittmann unter Mitarbeit von Florian Grundei. Schöffling-Verlag, Frankfurt am Main 2025. 157 S., Fr. 38.90.

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