Mittwoch, Februar 12

Der Comicautor Reinhard Kleist schildert in «Low», was der britische Pop-Musiker in der deutschen Metropole erlebte. Mehr als biografische Fakten interessieren den Zeichner die künstlerischen Zusammenhänge.

Auch David Bowie war einmal ein Berliner. Von 1976 bis 1979 lebte er in der westdeutschen Metropole und nahm hier die bahnbrechenden Alben «Low», «Heroes» und «Lodger» auf. 1977 produzierte er ausserdem zwei Werke für Iggy Pop: «The Idiot» und «Lust for Life». Die fünf Alben sind Schlüsselwerke der Pop-Musik.

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David Bowie war fasziniert von deutschen Krautrock-Bands wie Kraftwerk, Neu! und Can. Und in Zusammenarbeit mit dem visionären Produzenten Brian Eno gelang es ihm in Berlin, die Inspirationen in einem eigenen, neuen Pop-Sound zu verwerten, in dem auch die klaustrophobische Atmosphäre der Mauerstadt spürbar war.

Bowies Berliner Jahre umkreist der deutsche Comicautor Reinhard Kleist in «Low: David Bowie’s Berlin Years». Dass er ein meisterhafter Musikerbiograf ist, hat er bereits mit einem früheren Buch über Bowie sowie mit Bänden über Nick Cave und Johnny Cash bewiesen. Der zeichnende Biograf feiert seine Protagonisten nicht einfach ab, er reiht nicht Anekdoten aneinander, sondern dringt mit erzählerischen und visuellen Mitteln in die Tiefe ihres Lebens und ihres Werks.

Croissants und Crevetten

In Rückblenden erzählt Kleist, was Bowie aus Los Angeles nach Berlin trieb: Mit «Young Americans» hatte er zwar einen riesigen Erfolg gelandet und im Film «The Man Who Fell To Earth» als Alien brilliert. Er verlor sich jedoch im Glamour und der Oberflächlichkeit von L. A., und sein Kokain-Konsum hatte ihn an die Grenze von Wahnsinn und Paranoia gebracht.

In Berlin hoffte Bowie, sich einerseits von den Drogen zu befreien und ein vergleichsweise normales, anonymes Leben zu führen. Andrerseits lockte ihn aber die Geschichte an die Spree. Er war fasziniert von der Weimarer Republik, von Autoren wie Bertolt Brecht, von Kunstströmungen wie «Die Brücke». Aber nicht zuletzt auch von der Ästhetik des «Dritten Reichs».

Auch das Geld war ein Argument: Bowie war nahezu pleite, Berlin war billig. Weil auch Iggy Pop tief in einer Krise steckte, nahm er ihn mit in seine WG der besonderen Art. Die Hauptstrasse 155 im Bezirk Schöneberg war ein unscheinbares, mehrstöckiges Mietshaus. Da liessen sich David Bowie und Iggy Pop in einer günstigen 7-Zimmer-Wohnung nieder.

Die beiden inspirierten sich gegenseitig, Kleist macht auch die Spannungen zwischen den Freunden spürbar. Zum Streit kam es offenbar regelmässig, wenn Iggy Pop die Croissants und Crevetten wegfutterte, die Bowie im KaDeWe gekauft hatte.

Die Mauer vor Augen

David Bowie brauchte sich in Berlin nicht hinter einer Kunstfigur zu verbergen, er war hier weder Ziggy Stardust, noch Major Tom oder der Thin White Duke. Vielmehr fand er zu sich selbst. Diese Normalität vermittelt Kleist sehr schön. Er zeigt, wie der Pop-Star, unauffällig gekleidet und mit Schiebermütze gekrönt, durch Berlin streunte oder radelte, Museen und Ausstellungen besuchte, in Klubs und auf Konzerte ging und in den Kneipen seines Kiezes Kaffee trank.

Neben Iggy Pop und Brian Eno tauchen weitere Weggefährten auf. Edgar Froese von Tangerine Dream etwa, mit dem Bowie sich in einem Plattenladen mit den Alben deutscher Bands eindeckt. Als Bowies Gattin Angela ihn aus Berlin weglotsen möchte, will er sich von ihr trennen. Oft besucht er seine Freundin, die Trans-Ikone Romy Haag, in ihrem Cabaret «Chez Romy».

Kleist bemüht sich zwar stets um historische Genauigkeit. Aber es geht ihm primär nicht um Fakten. Vielmehr bietet ihm der Comic Gelegenheit, dem Künstler auf die Schliche zu kommen: Wer war Bowie in Berlin, was trieb ihn an, wie veränderte ihn diese Stadt? Und weshalb konnte er hier, die Mauer ständig vor Augen, seine Musik so radikal erneuern wie nie zuvor?

Kleists sprunghafte Erzählweise, in der er Zeiten und Räume wechselt und Alltagsmomente mit reflektierenden Passagen verknüpft, entpuppt sich als clevere Methode, um Geschehnisse zu verdichten und Zusammenhänge zu schaffen – so entsteht ein vielschichtiges Bowie-Porträt.

Der düstere Charme der geteilten Stadt

Der Comic «Low» ist aber auch eine Ode an Berlin. Als Wahlberliner feiert Kleist den besonderen Charme der damals grauen und ziemlich abgefuckten Stadt. Wiederholt lässt er Bowie wortreich erklären, warum Berlin so grossartig sei. Und mehr als einmal würzt Kleist den Mythos Berlin mit Humor: Auf einem Spaziergang mit Iggy beispielsweise schwärmt Bowie einmal mehr von Berlin – und merkt nicht, dass Iggy in einer Telefonzelle verschwunden ist, um seine Freundin anzurufen. Bowie schlendert und schwadroniert allein weiter, ins Leere.

Auch visuell überzeugt Kleist. Etwa durch die Verwendung unterschiedlicher Farbpaletten für die unterschiedlichen Zeit- und Realitätsschichten. Berlin ist in «Low» nicht grau, sondern wird dank expressiver Rot- und Gelbtöne geradezu leuchtend inszeniert, während Los Angeles in monochrome Brauntöne versinkt.

Die Musik allerdings, sie kommt etwas zu kurz. In seinem ersten Bowie-Band brachte Kleist mehrere Songs auf dem Papier wunderbar zum Klingen. In «Low» hält er sich zurück. Selbst bei «Heroes» begnügt sich Kleist mit der Entstehungsgeschichte, statt auch Musik und Text in Bilder umzusetzen. Erst bei Bowies Abschied aus Berlin hebt «Low» zum Crescendo an – mit einer fulminanten Interpretation von «Ashes to Ashes», dem ersten Hit aus Bowies nächster erfolgreichen Phase.

Reinhard Kleist: Low: David Bowie’s Berlin Years (Carlsen-Verlag, 176 S., Hardcover, farbig, Fr. 35.50).

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