2025 muss der in finanzielle Schräglage geratene Betrieb die Trendwende schaffen. Er sieht sich auf Kurs.
Vom neuen Zürcher Kinderspital kursieren ein knappes halbes Jahr nach der Eröffnung zwei unterschiedliche Bilder. Je nachdem, durch welche Brille man es betrachtet: die rosarote oder die ungefilterte.
Laut offizieller Darstellung läuft fast alles nach Plan. Man freut sich über die «sehr positiven» Rückmeldungen von Patienten und Angehörigen, die sich in den neuen Zimmern «äusserst wohl» fühlten. Vergessen sein sollen die Negativschlagzeilen und die Schmach, dass das Spital wegen des ebenso schmucken wie teuren Neubaus der Stararchitekten Herzog & de Meuron in Finanznot geraten ist.
Hört man sich hingegen beim Personal des Kinderspitals um, zeigt sich ein etwas anderes Bild. Da ist einerseits die Freude über den attraktiven neuen Arbeitsort. Und der Stolz, dass der komplexe Umzug, eine Teamleistung par excellence, ohne nennenswerte Probleme über die Bühne ging. Am 2. November 2024 hat das Spital bei laufendem Betrieb vom alten Standort in Hottingen auf die Lengg gewechselt.
Andererseits hat sich bei manchen eine gewisse Ernüchterung dazugesellt angesichts all der kleinen und grossen Mängel, an denen der Neubau krankt – und die einen ohnehin aufreibenden Arbeitsalltag zusätzlich erschweren. Es ist wie mit einem fabrikneu glänzenden Auto, bei dem schon nach wenigen Kilometern die erste Warnleuchte blinkt.
Einer, der den Ärger täglich dutzendfach abbekommt, ist der Betriebsleiter Timo Hayen, zu dessen Team der technische Dienst gehört. Bei ihm gehen im Schnitt 900 Meldungen pro Monat ein, wie er im Personalmagazin des Spitals erzählt – fast 40 Prozent mehr als am alten Standort. Weil das Gebäude erst mit Verspätung bezogen worden sei, hätten sich seine Leute mit den neuen Anlagen nicht ausreichend vertraut machen können.
Da sind defekte Türen, abfallende Klinken, Risse in den Hartbetonböden, Wasserschäden, verzogenes Parkett. Die Lüftung tut noch nicht, wie sie soll, die neue Telefonanlage machte anfangs Ärger, und die hochmoderne Materialtransportanlage, die dem Personal lange Wege ersparen soll, streikt immer wieder einmal – weshalb Ausrüstung aus dem Zentrallager nicht rechtzeitig auf die Station gelangt.
Das Spital bestätigt die meisten dieser Probleme auf Anfrage. Es halte sich alles im üblichen Rahmen bei solchen Grossbauten. Man prüfe mit den beteiligten Firmen Lösungsansätze. Es handle sich dabei um Garantieleistungen, Zusatzkosten sollten also nicht entstehen. Und das Wichtigste: «Der Betrieb wird dadurch nicht eingeschränkt.»
Offen bleibt, wie der Betrieb unbeeinträchtigt sein kann, wenn die Materialtransportanlage nur eine «Verfügbarkeit von rund 98 Prozent» hat – wenn also zwei von hundert Lieferungen hängen bleiben. Oder wenn wegen der Parkettschäden manche Patientenzimmer gar nie in Betrieb gehen konnten, wie es heisst. Das Spital relativiert, es sei nur ein einziges Zimmer, das wegen eines schiefen Bodens nicht benutzt werden könne.
Entscheidender für den Erfolg des Spitals ist die Bettenauslastung. Und beim Personal kursieren Informationen, wonach man diesbezüglich nicht auf Kurs ist. Zudem mangle es an Pflegepersonal. Das bedeutet angesichts eines um 84 Prozent grösseren Spitals mehr Druck für alle.
Offiziell tönt es anders: Der attraktive Neubau helfe, Fachkräfte zu rekrutieren. Die Auslastung der Betten sei besser als im Vorjahr, der Trend positiv. Allerdings bleibt das Spital auch auf Nachfrage vage und nennt keine Zahlen.
Ein Blick in den soeben veröffentlichten Jahresbericht zeigt: Ärzteschaft und Pflegepersonal haben 2024 zwar zahlenmässig zugelegt, die Steigerung entspricht aber nicht jener der Bettenzahl im Neubau. Und die Zahl der Pflegetage, die sich auf die Auslastung niederschlägt, lag 2024 zwar tatsächlich über dem enttäuschenden Vorjahr. Sie lag aber leicht unter den Werten von 2022 und 2021, trotz zwei Monaten im Neubau. Stagnierende Pflegetage bei mehr Betten bedeuten tendenziell eine geringere Auslastung.
Der Businessplan ist bereits korrigiert worden, weil sich gezeigt hat, dass die effizienteren Abläufe im Neubau erst gegen Ende des Jahres voll greifen dürften. Der Erfolgsdruck auf das Spital ist aber beträchtlich. Denn die Kantonsregierung hat eine klare Erwartung: 2025 muss die Trendwende gelingen.
Trotz Hilfe vom Kanton ein Minus von 14,5 Millionen
2024 war für das Kinderspital nicht nur wegen des Umzugs ein turbulentes Jahr. Im April hatte die Zürcher Gesundheitsdirektion bekanntgegeben, dass sie das Spital mit einem Darlehen von 100 Millionen Franken für den Neubau sowie einem Betriebsbeitrag von 35 Millionen Franken unterstützen werde. Die Rettungsaktion war nötig, weil sich das Kinderspital beim Neubau verkalkuliert hatte.
Ursprünglich war von 550 bis 600 Millionen Franken die Rede, am Ende waren es 761 Millionen. Die private Eleonorenstiftung, die das Spital betreibt, musste fast ihr ganzes Vermögen verbrennen, um die Mehrkosten zu decken.
Der teure Neubau war nicht das einzige Problem, das Spital war auch im Betrieb defizitär. Die Rechnung für 2024 liegt nun vor: Trotz Unterstützung des Kantons von 35 Millionen Franken resultierte ein Minus von 14,5 Millionen. Die Spitalführung begründet dies mit der Teuerung, zu tiefen Tarifen und dem Umzug. Zeitweise mussten zwei Standorte parallel betrieben werden.
Die Verantwortlichen blicken zwar «zuversichtlich in die Zukunft». Aber es sei dringend nötig, dass kindermedizinische Leistungen über die Tarife besser abgegolten würden.
Zumindest für das laufende Jahr hat das Spital nochmals Unterstützung vom Kanton erhalten. Dieser hat Anfang Jahr weitere 25 Millionen Franken gesprochen. Ganz ohne Auflagen passierte dies aber nicht. Die Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli verlangte vom Stiftungsrat ausdrücklich, kostensenkende Massnahmen voranzutreiben. Zudem entsendet die Gesundheitsdirektion zwei Aufpasser in den Stiftungsrat – der Kanton war dort seit 2015 nicht mehr vertreten.
«Wenn wir sehen, dass die Sache aus dem Ruder läuft, werden wir weitere Massnahmen prüfen», sagte Rickli im Januar zur NZZ. Nicht zur Entspannung beigetragen hat auch der Umstand, dass der CEO Georg Schäppi das Spital per Ende April verlässt. Die Stiftung sucht einen Nachfolger, interimistisch übernimmt Stephan Gürtler das Amt.
Ein Vorteil dieser Personalie: Gürtler kommt aus der Baubranche und war am neuen Spital massgeblich beteiligt. Er sollte daher – so die Hoffnung des Spitals – die Mängel effizient beheben können.