Sonntag, September 29

Börsenkorrekturen bringen oft einen Favoritenwechsel mit sich. So scheint es auch nach den Erschütterungen von Anfang August zu sein. Während sich die lange Zeit gesuchten Halbleiterwerte nur zaghaft erholen, sind defensive Basiskonsum- und Gesundheitsaktien gefragt. The Market stellt fünf attraktive Schweizer Titel vor.

Das Beben war kurz und heftig: Anfang August wurden die weltweiten Aktienmärkte von heftigen Turbulenzen erfasst. Indizes wie der Nikkei 225 stürzten innerhalb von zwei Tagen um fast 20% ab, es war der grösste Zweitageseinbruch überhaupt. Doch schon nach weniger als einer Woche war der Spuk zumindest für den von MSCI berechneten Weltaktienindex vorbei. Getrieben von der Aussicht auf eine baldige Zinssenkung durch die US-Notenbank stiess dieser auf ein neues Allzeithöchst vor.

Das klingt nach Business as usual, ist es aber nicht, weil sich unter der Indexoberfläche eine grössere Präferenzverschiebung abspielt. So erholen sich die bis in den Hochsommer gehypten Halbleiterwerte nur zaghaft, während vor allem defensive Valoren aus den Branchen Basiskonsum, Gesundheit und Versorger, aber auch Versicherungs- und Immobilientitel das Zepter übernommen haben.

«In Korrekturen kommt es in der Regel zu einer Wachablösung», kommentiert Thierry Borgeat von der Zürcher Finanzboutique arvy das jüngste Börsengeschehen. «Die Titel, die die Hausse angeführt haben, werden durch ein neues Narrativ verdrängt.» Er glaubt, dass das auch diesmal der Fall sein wird. «Halbleiterwerte dürften das Top erreicht haben», sagt er und begründet seine Vorsicht ausser mit dem Verhalten der Kurse auch mit der sich abzeichnenden Rezession.

Normalisierung der Zinskurve signalisiert Rezession

Als ziemlich zuverlässiges Signal deutet Borgeat die US-Zinskurve, die sich nach ihrer rund zweijährigen Inversion normalisiert hat, dass die Zinsen am kurzen Ende also wieder unter die langen Sätze gefallen sind, weil die Märkte fest mit einer Zinssenkung durch das Fed rechnen. Entgegen der derzeit herrschenden Auffassung sei die nahende monetäre Lockerung aber kein Grund zur Freude. «In vergangenen Zyklen ereigneten sich die grössten Börsenverluste nach der ersten Zinssenkung der US-Notenbank», warnt Borgeat.

So unangenehm eine Korrektur sein mag, so wertvoll sind die Hinweise, die sie für Anleger bereithält. Deshalb beobachtet Borgeat das Verhalten von Aktien während und nach einem Einbruch der marktbreiten Indizes besonders aufmerksam. Titel, die weniger verlieren als der Index und sich nach Ende der Korrektur schnell erholen, zählen in der Regel zu den neuen Leadern.

Was Aktien und Tennisbälle gemein haben

Borgeat bezeichnet solche Aktien als Tennisbälle, weil sie nach dem Rücksetzer schnell wieder aufspringen. Dies im Gegensatz zu den Eiern, die beim Aufprall zerschellen. Ein klassisches Ei sind die Titel des Bieler Uhren- und Schmuckkonzerns Swatch Group, die ihren Abwärtstrend unentwegt fortsetzen und sich dem Tiefst aus dem Coronaausverkauf vom März 2020 nähern.

Angst, auf einem neuen Höchst zu kaufen, hat Borgeat grundsätzlich keine. Er zitiert aus einer Studie des US-Brokers JPMorgan, die zeigt, dass der Kauf zu Höchstkursen entgegen der allgemeinen Erwartung über die längere Frist zu überlegenen Anlageergebnissen führt (vgl. Grafik). Es sei eines der grossen Paradoxa des Aktienmarktes, «dass Aktien, die zu teuer und deren Kurse zu weit fortgeschritten erscheinen, in der Regel weiter steigen, während Titel, die als günstig und zu stark abgestraft angesehen werden, meist weiter sinken». Deshalb zieht er Namen vor, die in der Nähe ihres 52-Wochen- oder noch besser auf Allzeithöchst notieren.

Welches sind also die derzeitigen Tennisbälle? The Market hat die Probe aufs Exempel gemacht und den Swiss Market Index sowie den SMIM der mittelgrossen Schweizer Werte, den Euro Stoxx 50 und den S&P 100 auf Titel abgesucht, die in der Nähe ihres Höchst notieren. Die Liste ist gespickt mit defensiven Namen aus dem Basiskonsum- und dem Gesundheitsbereich.

Börse stellt sich auf Abschwung ein

In der Schweiz und in Europa schneiden auch Versicherer und Immobiliengesellschaften gut ab. Damit folgt der Markt ziemlich genau dem üblichen Muster vor einer Rezession, das besagt, dass in der späten Phase des Konjunkturzyklus defensive Werte, deren Geschäftsgang weniger vom Verlauf der Wirtschaft abhängt, die Führung übernehmen.

Das Portfolio defensiver ausgerichtet hat auch Borgeat. Wegen des erwarteten Abschwungs macht er einen Bogen um Banken, und die derzeit ebenfalls gesuchten Versicherer haben es bei ihm wegen ihres austauschbaren Geschäfts und des langsamen Wachstums, das sich in hohen Dividenden spiegelt, eher schwer. Er zieht Aktien von Unternehmen vor, die einen guten Teil ihres Cashflows in ihr Geschäft reinvestieren und so einen Zinseszinseffekt erzielen.

Nicht in die Stärke kaufen

Weil viele der neu ins Spiel gebrachten Tennisbälle bereits gut abgeschnitten haben, wartet Borgeat mit dem Einstieg zu, bis die Valoren in einer Konsolidierung auf die Aufwärtstrendlinie oder den gleitenden Durchschnitt von 200 Tagen zurückfallen. Bei defensiven Werten lohne es sich zudem, nach einer Erholung des Gesamtmarktes zuzugreifen, weil konjunkturunabhängige Papiere den Indizes in der Aufwärtsbewegung meist hinterherhinken.

Auch The Market rät davon ab, blind auf Aktien zu setzen, die auf Höchst notieren. Die Redaktion stellt fünf attraktive Schweizer Tennisbälle vor, die auf den Einkaufszettel für die nächste Konsolidierung geschrieben werden können.

In Europa zeigen Deutsche Börse, der britische Nahrungsmittelkonzern Unilever, der deutsche Versicherer Allianz oder der französische Pharmakonzern Sanofi Tennisballqualitäten, in den USA machen die Konsumgüterhersteller Procter & Gamble und Colgate-Palmolive, der Krankenversicherer UnitedHealth, der Detailhandelsriese Walmart oder der Tabakkonzern Philip Morris eine gute Figur.

Fünf attraktive Schweizer Tennisbälle

Bei Novartis tragen die Anstrengungen der letzten Jahre langsam Früchte. Mit der Abspaltung ehemals wichtiger Konzernteile wie der Augenheilsparte Alcon 2019 und der Generika- und Biosimilars-Tochter Sandoz im vergangenen Jahr haben die Basler entscheidende Fortschritte bei ihrer Transformation erzielt. Das Ziel: sich von einem schwerfälligen Healthcare-Konglomerat zu einem schlanken und dynamischen Pharmaunternehmen zu wandeln.

Unter CEO Vasant Narasimhan, seit Anfang 2018 im Amt, fokussiert sich Novartis auf vier wachstumsstarke therapeutische Kernbereiche (Herz-Kreislauf-, Nieren- und Stoffwechselerkrankungen; Immunologie; Neurologie; Onkologie). Diese Strategie geht immer besser auf: Seit einigen Quartalen übertrifft Novartis regelmässig die Markterwartungen.

Während die Kosten, die eine solche Transformation mit sich bringt, immer weiter sinken, legen die Verkäufe vieler Schlüsselprodukte wie Cosentyx gegen Schuppenflechte, Kesimpta gegen Multiple Sklerose oder Tasigna gegen Leukämie robust zu. Im zweiten Quartal stieg der freie Cashflow aus fortzuführenden Geschäftsbereichen gegenüber dem Vorjahr um 40% auf 4,6 Mrd. $.

Novartis ist auf gutem Weg, ihre langfristigen Ziele eines jährlichen Umsatzwachstums von 5% zwischen 2023 und 2028 und einer Kern-Betriebsgewinnmarge von mindestens 40% bis 2027 zu erreichen. Das einzige Problem: Die Kursentwicklung der letzten zwölf Monate hat bereits einiges vorweggenommen. Zudem werden 2024 keine bahnbrechenden Produkt-News mehr erwartet, die als kurzfristige Kurstreiber dienen könnten. Der Kursrücksetzer in den letzten Tagen zeigt, dass den Aktien eine Verschnaufpause guttäte.

Die Zürcher Oberländer Industriegesellschaft Belimo fertigt unscheinbare Steuergeräte (Feldgeräte) für die Gebäudetechnik. Die Antriebe, Ventile und Sensoren werden ausserhalb von Schaltschränken montiert. Mit einem Marktanteil von rund 20% ist Belimo in diesem Bereich Weltmarktführer.

Die Feldgeräte werden vor allem in kommerziellen Gebäuden wie Spitälern, Büros, Flughäfen, Einkaufszentren und Fabriken installiert, um die Temperatur und die Luftqualität möglichst genau und effizient zu regulieren. Belimos Geräte machen die Gebäudetechnik mit vergleichsweise geringem finanziellen Aufwand effizienter und umweltfreundlicher. Auch im Wachstumsmarkt der Datenzentren, die energieeffizienter werden müssen, ist Belimo ideal positioniert.

Dem Unternehmen gelingt es, unabhängig von der zyklischen Baukonjunktur die bereits guten Margen stetig zu verbessern. Im ersten Semester 2024 stieg die Ebit-Marge im Vergleich zum Vorjahr um weitere 70 Basispunkte auf 19,6%. Dies bedeutet eine Margenausdehnung von mehr als 3 Prozentpunkten innerhalb von vier Jahren.

Dank der vorzüglichen Rentabilität kann das Unternehmen es sich leisten, selbst in konjunkturell schwächeren Phasen die Kapazitäten anzupassen, wenn es erforderlich ist. Kurzfristig etwas geringere Margen werden in Kauf genommen, um die längerfristigen Chancen nicht zu schmälern. Diese Beständigkeit, eine topsolide Bilanz sowie die aktionärsfreundliche Ausschüttungspolitik werden zu Recht mit einer sehr hohen Bewertung belohnt.

Givaudan prägt unseren Alltag, oft ohne dass wir es merken. Ihre Aromen finden sich etwa in den Süssgetränken von Coca-Cola und Pepsi und in vielen Fertiggerichten, ihre Duftstoffe sind in den Parfums von Yves Saint Laurent und in so mancher Handseife. Der Konzern aus Vernier ist weltweit führender Hersteller in diesem Bereich, um seine Produkte kommt man kaum herum.

Das ist üblicherweise ein lukratives Geschäft: Im ersten Halbjahr 2024 ist der Umsatz zweistellig gewachsen, der grösste Teil davon ging auf ein steigendes Verkaufsvolumen zurück. Zusammen mit einem Leistungssteigerungsprogramm konnte das Unternehmen das Wachstum in eine deutlich höhere Profitabilität ummünzen. Die bereinigte operative Marge auf Stufe Ebitda stieg gegen 25%. Dies, nachdem das vergangene Geschäftsjahr noch von Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Lagerabbau der Kunden geprägt gewesen war.

Über den Zyklus will Givaudan aus eigener Kraft jährlich 4 bis 5% wachsen, die Rentabilität ist hoch, und der Cashflow soll mittelfristig 12% des Umsatzes betragen. Das erlaubte in den vergangenen Jahren eine stetige Erhöhung der Dividende. Mit einer Rendite von 1,6% auf Basis des für 2024 geschätzten Gewinns ist die Ausschüttung nicht mehr das erste Kaufargument, aber vor dem Hintergrund sinkender Zinsen ist das gar nicht mal so schlecht. Die Bewertung der Aktien weist angesichts der Konstanz des Geschäfts stets eine Prämie gegenüber der Konkurrenz aus, nach dem jüngsten Kursanstieg liegt sie im historischen Mittel.

Die Immobiliengesellschaft Swiss Prime Site (SPS) hat einen weiten Weg hinter sich: In den vergangenen fünf Jahren hat sie das Portfolio gestrafft, sie stiess die Tertianum-Altersresidenzen ab, verkaufte den Immobiliendienstleister Wincasa an Implenia und wird das unprofitable Zürcher Warenhaus Jelmoli per Ende Februar 2025 schliessen. Übrig bleiben das Schweizer Immobiliengeschäft und das Fondsgeschäft in der Sparte Swiss Prime Site Solutions (SPSS).

Gerade SPSS soll in Zukunft einen wesentlichen Ertragsbeitrag liefern. Die verwalteten Vermögen sind durch die im Frühjahr abgeschlossene Übernahme von Fundamenta um rund die Hälfte auf 12,7 Mrd. Fr. gestiegen. Bis 2027 soll die Fondssparte über 16 Mrd. Fr. verwalten. Aber auch in der Immobiliensparte hat sich SPS zuletzt gesteigert, die Leerstandsquote ist im ersten Halbjahr von 4 auf 3,6% gefallen. Nachdem der Liegenschaftenwert 2023 aufgrund der höheren Zinsen noch eine Abwertung erfahren hatte, profitierte die Gesellschaft zuletzt von den sinkenden Zinsen. Die grosse Mehrheit des 13,2 Mrd. Fr. (per Ende Juni) schweren Portfolios sind Geschäftsliegenschaften.

Im Büroimmobilienmarkt gilt: Gute Lage ist alles. In periphereren Lagen gestaltet sich der Markt für grosse Immobiliengesellschaften schwierig. Deswegen, und um frische Mittel für den Umbau und die Umnutzung bestehender Liegenschaften zu gewinnen sowie die Verschuldung zu senken, hat SPS im ersten Halbjahr erneut kleinere Gebäude veräussert.

Dank der Transformation der vergangenen Jahre hat die Gesellschaft zum Branchenprimus PSP aufgeschlossen, das macht sie auch aus Anlegersicht attraktiver.

Versicherer wachsen zwar meist nur gemächlich. Was sie jedoch auszeichnet, ist ein Geschäftsmodell, das auf alle Eventualitäten ausgerichtet sein muss. Im Gegensatz zu ihren Kunden, bei denen ein Schadenereignis oft überraschend eintritt, sind Versicherer auf das Unerwartete vorbereitet. Sie wissen, wie hoch sie die Prämien ansetzen müssen, um trotz Schadenzahlungen einen Gewinn zu erzielen, und gerade Zurich profitiert von ihrer weltweiten Diversifikation, die auch regionale Grossereignisse wie Naturkatastrophen kalkulier- und verkraftbar macht.

Die langsame Entwicklung des Versicherungsgeschäfts führt zudem dazu, dass nur wenig neues Eigenkapital aufgebaut werden muss. Mit dem erwirtschafteten Gewinn entschädigen die Versicherer deshalb die Anleger meist mit einer üppigen Dividende. Bei Zurich liegt die Rendite im Schnitt der vergangenen zehn Jahre bei 6% – für 2024 werden 5,2% erwartet. Der Bewertungsaufschlag, den die Zurich-Aktien meist aufweisen, wird durch die im Branchenvergleich hohe Kapitalrendite von gegen 20% gerechtfertigt, was mitunter am Kommissionsgeschäft der US-Tochter Farmers liegt.

Dieser Beitrag ist unter Mitarbeit von Gabriella Hunter, Henning Hölder, Ruedi Keller und Giorgio Müller entstanden.

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