Donnerstag, Oktober 24

Die Arbeiten am Entlastungsstollen für die Sihl befinden sich auf der Zielgeraden. 500 Meter fehlen bis zum Durchstich.

«Delia» ist zwei Jahre alt, 158 Meter lang und wiegt über tausend Tonnen. Derzeit befindet sich «Delia» 1,4 Kilometer tief im Zimmerberg, direkt unter Thalwil. «Delia» ist der Name der Tunnelbohrmaschine, die seit Anfang August von Langnau am Albis her einen Hochwasserentlastungsstollen durch das Molassegestein bohrt.

Und nein, den Namen verdankt sie nicht der Mannschaft, die sie bedient, sondern der deutschen Herstellerfirma, wie Felix Halbheer klarstellt, der Baustellenchef bei den Untertagearbeiten. Auf der Baustelle heisse «Delia» nüchtern «S 1295 B».

Gewappnet für ein 500-jährliches Hochwasser

Es regnet in Strömen, als Halbheer am Dienstagvormittag eine Gruppe Journalisten in den Stollen führt, der dereinst das Herzstück des Hochwasserschutzes für die Stadt Zürich bilden wird. Das Herbstwetter ist schnell vergessen, ebenso wie das Zeitgefühl. 6,6 Meter beträgt der Durchmesser auf der gesamten Länge. Kaum zu glauben, dass dieses riesige Loch im Berg dereinst Wassermassen von der Sihl in den Zürichsee ableiten soll, die sonst in die Stadt Zürich fliessen würden.

Zum Einsatz wird das Bauwerk dann kommen, wenn die Sihl mehr als 270 Kubikmeter pro Sekunde Wasser führt. Also bei mittleren Hochwassern, wie sie im Schnitt alle 10 bis 15 Jahre vorkommen. Bei einem Hochwasser von 600 Kubikmetern pro Sekunde, wie es etwa alle 500 Jahre zu erwarten ist, würde die Hälfte des Wassers durch den Stollen geleitet. Die meiste Zeit wird aber ein riesiger Gummischlauch im Inneren des Wehrs den Eingang des Stollens verschliessen.

Als die Sihl 2005 zu viel Wasser führte, fehlte nicht viel, und der Hauptbahnhof sowie weite Teile der Innenstadt wären unter Wasser gestanden. Damals rauschten 300 Kubikmeter pro Sekunde flussabwärts.

Als Konsequenz haben Stadt und Kanton den Hochwasserschutz entlang der Sihl verstärkt. Denn das Schadenspotenzial allein für Zürich wird auf rund 6,7 Milliarden Franken geschätzt. Die Kosten des Entlastungsstollens belaufen sich derweil auf rund 175 Millionen Franken.

Oberhalb des Entlastungsstollens fängt seit 2017 inzwischen ein Schwemmholzrechen Bäume und Äste auf, die im Fluss treiben, das Flussbett wurde im Bereich des Hauptbahnhofs vergrössert, und gegenwärtig erneuert der Kanton das Platzspitzwehr. Ein weiteres Puzzleteil der Schutzmassnahmen kommt Ende November zur Abstimmung: der Neubau der Rathausbrücke.

«Delia» und ihre mobile Fabrik

Zurück zu «Delia», die weit mehr ist, als bloss ein riesiger Bohrer mit 45 Schneidringen. Sie ist gewissermassen eine Allzweckmaschine für den Tunnelbau. Sie hinterlässt nicht einfach ein Loch im Berg, welches dann mit Spritzbeton ausgekleidet werden muss, sondern einen fertigen Tunnel.

Möglich ist das, weil «Delia» nicht nur aus einem Bohrkopf besteht, sondern auf einem knappen Dutzend sogenannter «Nachläufer» eine mobile Fabrik hinter sich her in den Berg zieht.

Auf diesen meist zweistöckigen Wagen befinden sich unter anderem die Steuerung, Entstaubmaschinen und eine Fluchtkammer für den Notfall, aber auch alles, was es braucht, um die Tunnelbaustelle laufend zu vergrössern. Pro Schicht ist beispielsweise immer ein Arbeiter damit beschäftigt, das Förderband zu erweitern, auf dem das abgebaute Gestein der Decke entlang aus dem Stollen befördert wird.

Von den bis zu 700 Tonnen Gestein, die pro Stunde den Berg verlassen können, ist im Tunnel folglich nichts zu sehen. Abgesehen von etwas Schlamm am Boden, leicht muffiger Luft und Temperaturen, die gefühlt tropische Dimensionen annehmen, je näher man dem Bohrbereich kommt, merkt man kaum, dass hier ein Berg ausgehöhlt wird. «Es ist eine sehr saubere Baustelle», resümiert der Baustellenleiter.

Pro Schicht sind elf Arbeiter im Einsatz. Einige von ihnen fahren gar mit dem Velo vom Eingang bis zur Bohrmaschine.

Ein Tunnel aus Fertigbauteilen

In der unteren Hälfte der Nachläuferwagen werden die vorgefertigten Tunnelteile, sogenannte Tübbinge, auf einem Förderband in Richtung Bohrkopf gebracht. Die letzten Meter trägt ein riesiger Vakuumsaugnapf die Betonelemente.

Ein Tunnelring besteht aus sechs Teilstücken. Mehrmals pro Stunde transportiere ein Lastwagen einen neuen Satz Betonelemente in den Stollen, sagt Halbheer. In zwanzig Minuten arbeitet sich «Delia» knapp zwei Meter weit voran. Dann stoppen die Schneidrollen, damit ein neuer Tunnelring eingebaut werden kann.

Zum Schluss wird über einen Schlauch ein Gemisch aus Mörtel und Beschleuniger zwischen den Fels und den Tunnelring gespritzt.

Ein solcher Zyklus aus Vortrieb und Ringbau dauert keine Stunde. Stolz zählt Halbheer die Rekorde im Zimmerberg auf: 39,6 Meter an einem Tag, 527,4 Meter in einem Monat.

Kompaktes, aber «gutmütiges» Gestein

Das hat auch damit zu tun, dass «Delia» für deutlich massiveres Gestein ausgelegt ist, als es im Zimmerberg zu finden ist. Ihren ersten Einsatz habe die Maschine nämlich im Gotthard gehabt, wo sie sich von Airolo her durch massives Gestein gen Norden gearbeitet habe, sagt Halbheer. «Hier im Zimmerberg haben wir relativ kompaktes, aber sehr gutmütiges Gestein.» Von den möglichen 5500 Tonnen Vorschubkraft sind beim Entlastungsstollen nur gut 4500 Tonnen nötig.

Damit erfüllt der Berg die Prognosen der Sondierungsbohrungen. Überraschungen habe es bisher keine gegeben, sagt Adrian Stucki, Gesamtprojektleiter der Zürcher Baudirektion, und klopft dreimal auf Holz. Bis zum Durchstich muss «Delia» noch etwa 500 Meter Gestein hinter sich bringen. Das Potenzial für Unvorhergesehenes werde somit zwar täglich kleiner, sagt Stucki, aber es sei dennoch da.

Hochwasser-Entlastungsstollens Sihl-Zürichsee

Gemäss Zeitplan sollte «Delias» Arbeit im Zimmerberg noch dieses Jahr abgeschlossen sein. Danach müssen das Einlaufbauwerk in der Sihl und das Auslaufbauwerk im See vor Thalwil fertiggestellt werden. Voraussichtlich in zwei Jahren ist der Entlastungsstollen dann einsatzbereit.

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