Sonntag, Oktober 6

Ein prominenter Anwalt der Wirtschafts- und Politikelite soll mittels Bestechung von hohen Amtsstellen geheime Informationen für seine Klienten erhalten haben.

Chile galt lange als Vorzeigeland unter den Staaten Lateinamerikas. Jahrzehntelang meldete es ein hohes Wirtschaftswachstum von durchschnittlich fünf Prozent und zeichnete sich zudem durch niedrige Kriminalitätsraten und geringe Korruption aus. In den letzten Jahren ist die Wirtschaft jedoch ins Stocken geraten. Chile leidet noch immer unter den Folgen der Corona-Pandemie, und die Kriminalität hat deutlich zugenommen, weil international organisierte Verbrecherbanden zunehmend auf das Land übergreifen.

Nun erschüttert ein Korruptionsskandal auf hoher staatlicher Ebene das Vertrauen der Bürger und beschädigt das Image des Landes bei internationalen Investoren. Einer der einflussreichsten Rechtsanwälte des Landes ist dieser Tage verhaftet und für vorerst sechs Monate in Untersuchungshaft genommen worden. Ihm werden Bestechung, Geldwäsche und Steuerbetrug vorgeworfen.

Geheime Informationen der Behörden gegen Bargeld

Der Fall, der im vergangenen November durch Enthüllungen des chilenischen Investigativ-Portals «Ciper» bekannt wurde, hat das Land erschüttert. Luis Hermosilla, der verhaftete Rechtsanwalt, ist bestens vernetzt mit wichtigen Wirtschaftsführern und hochrangigen Politikern verschiedener Couleur. Er ist ein enger Vertrauter des früheren Innenministers Andrés Chadwick, der unter dem rechten Präsidenten Sebastián Piñera gedient hat, und hat dessen Regierung mehrfach beraten. Ausserdem hat er als Anwalt einen wichtigen Berater des jetzigen linken Präsidenten Gabriel Boric vertreten.

In einer von «Ciper» veröffentlichten 100-minütigen Audioaufnahme vom Juni 2023 spricht Hermosilla mit seinem damaligen Klienten Daniel Sauer – dem Besitzer einer Brokerfirma – und dessen Rechtsberaterin. Gegen die Firma hatte die chilenische Finanzaufsicht zuvor ein Verfahren wegen des Verdachts auf Betrug eingeleitet. Die drei sprechen darüber, wie gegen Bestechungsgeld von der Steuerbehörde und der Finanzaufsicht geheime Informationen zum Verfahren gewonnen werden können.

Hermosilla ist dabei etwa zu hören, wie er sagt: «Wir brauchen eine schwarze Kasse für unsere Ausgaben. Einen wichtigen Teil des Problems löst man mit Geld, das man in einem Briefumschlag übergibt. Und wirklich, wir sind schon spät dran.» Und weiter: «Was müssen wir dann machen? Wir müssen alle Informationen, welche von der Steuerbehörde kommen, analysieren und auf Fehler untersuchen. Wir müssen die Kontrolle über den Informationsfluss haben. Dem Dummkopf, der dort die Kontrolle hat, schulden wir per sofort 10 Millionen Pesos (knapp 10 000 Franken).»

Die als Folge der Enthüllung eingeleitete Untersuchung ist inzwischen so weit fortgeschritten, dass die Behörden glauben, genügend Beweise für strafbares Verhalten zu haben. Neben Hermosilla wurde diese Woche auch die Rechtsberaterin von Sauer verhaftet. Sauer selbst war bereits im April im Rahmen des gegen ihn geführten Betrugsprozesses festgesetzt worden.

Auch nationaler Polizeichef involviert

Hermosilla bestreitet allerdings, etwas Unrechtmässiges getan zu haben. Die Echtheit des von «Ciper» bekanntgemachten Gesprächs wird zwar auch von seiner Verteidigung nicht infrage gestellt. Doch diese macht geltend, dass das in der Audioaufnahme besprochene Vorgehen nicht in die Tat umgesetzt worden sei und dass deshalb keine strafbare Tat vorliege. Ausserdem sei das Gespräch unrechtmässig veröffentlicht worden und sei deshalb als Beweismaterial nicht zulässig. Letzteres wird allerdings von namhaften chilenischen Rechtsexperten bestritten.

Der Fall hat aber bereits weitere Kreise gezogen, nachdem die Untersuchungsbehörden Hermosillas Handy beschlagnahmt hatten. Bereits im März wurde Sergio Muñoz, der Chef des nationalen, für strafrechtliche Ermittlungen zuständigen Polizeikorps von Chile, verhaftet, weil er geheime Informationen an Hermosilla weitergegeben haben soll. Die Behörden stützen sich dabei auf mehr als 500 Whatsapp-Textnachrichten, welche die beiden zwischen August 2020 und Oktober 2023 ausgetauscht haben. Sie sollen fünf Fälle betreffen, bei denen Hermosilla die Verteidigung übernommen hatte. In Chile wird allgemein vermutet, dass mit der Auswertung der Handydaten noch zahlreiche weitere Fälle aufgedeckt werden.

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