Empire of the Sun, Halsey, Scooter: Am Zürich Open Air eröffnet jeder Act eine eigene Welt. Und bringt doch alle zusammen.
Dem Sommer 2025 fehlt ein Sommerhit. Zwar war sich Pop nie ganz eins. Aber trotz allen Unterschieden gab es eine gemeinsame Mitte: Hits, die man kannte, ob man wollte oder nicht. Dafür sorgten das Radio, der Sender MTV und die Charts. Michael Jacksons «Thriller» (1982) oder Madonnas «Like a Prayer» (1989), Nirvanas «Smells Like Teen Spirit» (1991) oder Britney Spears’ «. . . Baby One More Time» (1999) waren universelle Bezugspunkte. Heute fehlt diese Mitte.
Streaming, Algorithmen und soziale Netzwerke haben den Pop in Szenen und Playlists zerlegt. Wo früher ein Sommerhit für Wochen unausweichlich war, existieren heute Dutzende Minihits nebeneinander – jeder gross in seiner Nische, aber kaum einer allgegenwärtig.
Festivals wie das Zürich Open Air machen diese Fragmentierung erlebbar: Sie sind keine einheitliche Erzählung, sondern Live-Playlists, in denen verschiedene Milieus nebeneinanderstehen.
Die Grossen im Süden, die Nische im Norden
Das Festivalgelände liegt nahe dem Flughafen Zürich. Die Masse schiebt sich hin und her: zwischen der Main Stage mit den grossen Namen im Süden und der ZOA-Stage, der kleineren Bühne im Norden mit Klubcharakter, für die Nischen.
Am vergangenen Freitag stand Shawn Mendes auf der Hauptbühne: der Streaming-Pop-Star, dessen Songs Nähe simulieren und zugleich massentauglich sind. Der kanadische Musiker singt so, als sässe er mit seiner Gitarre direkt neben seinen Fans – und trotz der Intimität trägt jede Note das Gewicht von Millionen Klicks.
Den Auftakt der Abenddramaturgie am Samstag lieferten Empire of the Sun, die ewigen Kunstfiguren einer elektronischen Märchenwelt. Eine Band, verkleidet als Comic- oder Science-Fiction-Helden. Sie standen einst für einen grenzenlosen elektronischen Pop: glamourös, artifiziell, ein Hybrid aus Indie, Electro und Glam. Hits wie «Walking on a Dream» (2009) und «We Are the People» (2008) funktionieren noch immer. Das Projekt lebt heute von seiner Vergangenheit; die Zukunft, die es einmal versprach, bleibt aus.
Dann spielte Halsey – und mit ihr eine ganz andere Pop-Poetik. Sie braucht keine Maskerade. Ihre Show setzt auf Stimme, Emotion. Die amerikanische Singer-Songwriterin erzählt von Intimität und Verletzlichkeit, von Sexualität und Selbstzweifeln. Halsey zeigt die ganze Ambivalenz eines Pop-Subjekts, das sich gleichzeitig ausliefert und inszeniert. Später, um 00:30 Uhr, schiebt sich Anyma mit technoider Präzision in die Nacht. Der italienische Produzent Matteo Milleri baut Sets wie digitale Kathedralen: lange, gezogene Beats, begleitet von Visuals und einer Lasershow, die ganze Landschaften entstehen lassen. Es ist weniger Konzert als eine Installation.
Zwischen diesen Hauptacts steht Scooter auf der ZOA-Stage. Ein tornadoartiger Rave, bei dem der 61-jährige H. P. Baxxter den Besuchern «Hyper, Hyper», «I am the Horse Man» und «Fuck 2020» ins Gesicht brüllt. Was manche als grob und stumpf erwarten, wirkt aus dem Moment heraus überwältigend. Scooter lässt Katharsis durch Krach entstehen und provoziert kollektives Gegröle.
Kaleidoskope, keine Erzählung
All diese Festival-Angebote existieren nebeneinander, ohne sich zu berühren. Das wirkt auf den ersten Blick beliebig. Doch genau darin liegt eine Anziehungskraft: Die Veranstaltung in Zürich erzählt nicht die Geschichte eines Sommers. Open Airs sind Kaleidoskope, keine geschlossenen Erzählungen. Sie bieten die Möglichkeit, sich durch verschiedene musikalische Welten zu bewegen, ohne sich festlegen zu müssen. Jeder Act öffnet eine eigene Welt.
Während sich der Pop durch Streamingdienste immer weiter zerfranst, vereint ein Live-Festival wie das Zürich Open Air verschiedene Strömungen an einem Ort. Die gemeinsame Mitte taucht für einen Moment wieder auf – nicht als Song, sondern als Situation.
Das Zürich Open Air findet an zwei Wochenenden statt – vom 22. bis 23. August sowie vom 29. bis 30. August 2025 auf dem Gelände in Rümlang.