Freitag, Oktober 4

Das neue Diözesanmuseum in Freising verbindet Himmel und Erde. In guter Kirchentradition gibt es Aufträge an zeitgenössische Kunstschaffende.

Das Paradies hat keine Ecken und Kanten. Apfelbäume gibt es dort ebenso wenig wie Reptilien. Betreten wird es mit weissen Plastiküberziehschuhen. Und niemand ist nackt. Doch markiert die Schwelle in die Kapelle von James Turrell im Diözesanmuseum Freising nicht weniger als den Übergang vom Irdischen ins Transzendente.

Täglich von 14 bis 17 Uhr steht den Besuchern die spirituelle Erfahrung in Turrells «Chapel» offen. Darin verliert man sich in einer Farberfahrung, die von Purpurrot übergeht in Indigoblau und Smaragdgrün. Gläubige ebenso wie Atheisten stehen Schlange, um für kurze Zeit Teil der phantastischen Installation des amerikanischen Lichtkünstlers zu werden.

2014 besuchte der heute 81-jährige Turrell die hübsche bayrische Stadt, die näher am Münchner Flughafen liegt als die Landeshauptstadt selber. Damals war das 1870 von Matthias Berger klassizistisch erbaute Knabenseminar auf dem Domberg noch eine Baustelle. Der Ort für James Turrells Eingriff jedoch war schnell gefunden: die ehemalige Kapelle. Bereits seit 1974 wurden hinter den vergitterten Fenstern des einstigen Seminars keine Priesteramtskandidaten mehr ausgebildet, sondern kirchliche Kunst ausgestellt.

Als das Museum aus brandschutztechnischen Gründen geschlossen werden musste, lobte die Erzdiözese München und Freising einen Architektenwettbewerb aus, den die Brüder Peter und Christian Brückner aus Würzburg gewannen. Im Oktober 2022 wurde das Diözesanmuseum Freising wiedereröffnet.

Das weiss strahlende Haus kommt heute ohne fossile Energieträger aus, und seine Erschliessung ist barrierefrei. Vor allem aber öffnet es sich gegen aussen, baulich ebenso wie symbolisch. Es ist nicht mehr nur ein Ort des Sammelns, Bewahrens, Forschens und Vermittelns, sondern schreibt die gute Tradition der Kirche weiter, Künstler zu beauftragen.

Ob das die Anzahl von 32 874 Kirchenaustritten, die die Erzdiözese 2023 verzeichnen musste, verringern kann, wird sich zeigen. Ziel und Aufgabe des Museums ist das allerdings nicht. Aber wo, wenn nicht an einem solchen Ort können und müssen Menschen berührt und inspiriert werden, sich mit existenziellen Fragestellungen auseinanderzusetzen: etwa jenen nach Raum und Zeit. Da sind sich die Architekten und der Museumsleiter Christoph Kürzeder sicher.

Maria und Erzengel

Mit insgesamt 40 000 Exponaten aus allen Bereichen kirchlicher Kunst und Kultur aus zwei Jahrtausenden gehört das Haus zu den grössten religionsgeschichtlichen Museen der Welt. Seine exquisite Sammlung stellt es nicht chronologisch, sondern thematisch aus, in gestalterisch nun auch entsprechenden Räumen.

Der beeindruckende Lichthof ist das Zentrum und führt geradewegs zu Turrells Lichtkapelle, die wiederum eine Sichtachse aufbaut zum Freisinger Lukasbild: Die bedeutendste byzantinische Ikone der Sammlung zeigt die Jungfrau Maria und wurde der Überlieferung nach vom heiligen Lukas selber gemalt.

Ohne Schwierigkeiten sei die Abstimmung mit dem Denkmalamt für James Turrells Eingriff nicht gewesen, erinnert sich der Architekt Peter Brückner. Schliesslich mussten Pfeiler der alten Kapelle rückgebaut werden. Im Lichthof selber war es dann «nur» die Statik, die die Architekten bei der Platzierung der Bronzeskulptur der Bildhauerin Berlinde de Bruyckere herausforderte.

Übermannshoch ist ihr Arcangelo. Ein Schwert trägt der Erzengel der 1964 geborenen Belgierin nicht. Er fliegt nicht, kämpft nicht, heilt nicht. Seine schmale, gebeugte Gestalt, deren nackte, zarte Füsse die mächtige Granitsäule kaum zu berühren scheinen, verhüllt sich stattdessen mit einem langen, ausgefransten Mantel aus grau patiniertem Blei. Ungerührt passiert ihn niemand.

Sakraler Kunstkraftraum

Himmelblau und kuschelig weich hingegen hängt der Schutzmantel Marias an einem Haken in der «Chapel of Mary’s Mantle» von Kiki Smith. In Flipflops, erzählt Brückner, kam die 1953 in Nürnberg geborene Künstlerin, die in New York lebt und arbeitet, auf die Baustelle. Ihr war klar, dass sie keine Arbeit in den Museumsräumen schaffen wollte, sondern draussen.

Das war 2019. Den Ort für ihre Kapelle fand sie an der Nordwestecke, mit Blick auf die Stadt. Mit dem Entwurf eines vier auf vier Meter grossen, weissen Kubus, damals noch mit 12 Glaselementen, war sie allerdings nicht zufrieden. Ob nicht die Architekten einen Vorschlag machen könnten? Diese meinten, ob sie sich denn rezykliertes Material vorstellen könne, aus Achtung vor der Schöpfung?

Plastikflaschen schloss Kiki Smith aus. Holz kam für sie ebenso wenig infrage. Doch als die Architekten vorschlugen, die Kapelle komplett aus alten, aufeinandergeschichteten Biberschwanzziegeln zu mauern, Boden, Wände, Dach, war die Künstlerin überzeugt. Wobei, so Peter Brückner, das keine Entscheidung war, sondern Fügung.

Und so fügte es sich auch, dass bei der Pfarrkirche im knapp 140 Kilometer entfernten Ruhpolding die dunkel gebrannten Biberschwänze auf dem Dach ersetzt werden mussten. 16 000 Stück wurden nach Freising geliefert. Die Lage jedes einzelnen Ziegels wurde im Büro gezeichnet.

Details wurden entwickelt für die beiden halbrunden Nischen zum Sitzen sowie für die Wandaussparung für das bronzene Sternengeflecht samt Kerzenschale. Präzise geplant wurden auch das elliptische Fenster mit dem auf Glas gemalten Mond, die elliptischen Eingangsbogen, das Gewölbe und das Kreuzgiebeldach. Visualisierungen wurden ausgetauscht zwischen der Oberpfalz und New York und Videokonferenzen geführt.

Eine innen liegende Entwässerung wurde geplant und eine Aufhängung, die den Heiligen Geist aus Bronze sicher schweben lässt. Vor einem Jahr wurde die Kapelle geweiht. Seither hat das Diözesanmuseum neben dem entmaterialisierten Lichtraum von Turrell einen sakralen Kunst- und Kraftraum, der zur unmittelbaren Berührung einlädt.

Es war wohl wirklich eine glückliche Fügung, dass Brückner & Brückner Architekten sich mit Gehäusen für die Seele und Orten der Stille auskennen: Sie transformierten bereits an die dreissig Klöster und Kirchen. Sie schufen eine Wegkapelle in einer der grössten und ältesten Kulturlandschaften Europas, den Waldnaabauen in der Oberpfalz im nordöstlichen Bayern. Und sie bauten einen interkonfessionellen Versammlungsort auf dem US-Militärgelände in Grafenwöhr. Die Zeit und die Menschen brauchen solche Räume.

Exit mobile version