Die Schweiz und die EU entscheiden 2025 über den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen. Eine Zulassung ist vernünftig – und längst überfällig.
Wie viele Probleme wären gelöst, gäbe es eine Technologie, die unsere Nahrungsversorgung sicherer machte. Wenn in einer Zeit, in der sich Umweltbedingungen rasant verändern, durch diese Technologie Pflanzen denkbar wären, die Dürren oder Überflutungen überstehen und weniger Agrargifte oder Dünger brauchen, um zu gedeihen.
Zunächst die gute Nachricht: Diese Technologie gibt es bereits. Und in diesem Jahr werden sowohl die EU als auch die Schweiz entscheiden, ob sie ausserhalb der Forschung zugelassen wird: die grüne Gentechnik.
Wie überfällig es ist, durch gentechnische Verfahren gezüchtete Nutzpflanzen endlich zuzulassen, zeigt ein Anwendungsbeispiel: Anders als Menschen besitzen Pflanzen kein Immunsystem. Sie sind entweder durch ihre Gene resistent gegen ein Virus – oder nicht. Während der Corona-Pandemie hat die Menschheit erfahren, wie schnell Viren sich verändern. Eine einzige Resistenz gegen ein Virus in eine Weizensorte überzuführen, dauert mit konventionellen Zuchtmethoden mindestens zwölf Jahre. Durch moderne Methoden grüner Gentechnik lässt sich diese Zeit auf zwei Jahre verkürzen.
Pflanzenviren verändern sich zwar langsamer als das Coronavirus, aber schnell genug, um unserer Nahrungsversorgung zuzusetzen. Viren vernichten schon heute etwa die Hälfte der weltweit möglichen Ernten. Und diese Tendenz wird sich in den nächsten Jahren verschlimmern. Unter anderem, weil milde Winter und Wetterereignisse wie Überschwemmungen vielen Viren helfen, sich schneller zu verbreiten.
Schon einmal hat ein Virus in Deutschland eine Getreidesorte beinahe ausgerottet – Wissenschafter und Züchter haben damals knapp rechtzeitig eine Resistenz gegen das Gelbgersten-Mosaikvirus gefunden. Mindestens zwölf Jahre für eine einzige Resistenz; gut möglich, dass in Zukunft ein Virus mutiert, bei dem das zu lange ist.
Genomeditierung wirkt als Präzisionswerkzeug
Neue Methoden grüner Gentechnik setzen auf Genomeditierung, etwa durch die Genschere Crispr/Cas9. Stellt man sich die DNA einer Pflanze als Buch vor, in dem all ihre Eigenschaften vermerkt sind – also wie hoch sie wächst, wie gut sie Dürren oder Fluten übersteht und auch, wie sie sich gegen ein Virus wehrt –, dann ist die Genschere ein Korrekturwerkzeug, das Wörter streichen kann und sie bei Bedarf durch andere Formulierungen ersetzt oder um neue Begriffe ergänzt. Während klassische Pflanzenzucht die Kapitel und Sätze des Buchs so oft durcheinanderwirft, bis zumindest die meisten Buchstaben zufällig so stehen, wie man möchte, verändert Genomeditierung gezielt nur das, was man ändern will.
Andere Länder, unter anderem die USA und China, setzen längst auf grüne Gentechnik. Und das ist die schlechte Nachricht: Es ist gut möglich, dass diese Länder in Zukunft bestimmen, was wir essen. Weil es in einer Welt, in der sich Umweltbedingungen immer schneller verändern, eine Pflanzenzucht braucht, die auf Veränderungen rasch reagieren kann. Und weil viele Politiker in der EU und der Schweiz in der Debatte um grüne Gentechnik kein Interesse an Fakten zeigen. Stattdessen geht es vor allem um Ideologie.
Ein Beispiel ist die Position der Bundestagsfraktion der deutschen Grünen. Die Fraktion mahnt, gentechnisch veränderte Pflanzen könnten «Ökosysteme durcheinanderwirbeln», durch eine Lockerung der Zulassungsregeln für grüne Gentechnik seien «Umwelt- und Gesundheitsschutz in Gefahr». Die gleiche Position vertreten die Grünen in der Schweiz und behaupten, es gebe bis jetzt «wenig Risikoforschung».
Beide Behauptungen sind falsch. Seit mehr als zehn Jahren kommen Studien zu Lebensmittel- und Umweltsicherheit immer wieder zum gleichen Ergebnis: Pflanzenzucht mit modernen Methoden grüner Gentechnik ist sicher. Die Nationale Akademie der Wissenschaften in Deutschland, die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften, die National Academy of Sciences in den USA, die Welternährungsorganisation – eigentlich alle seriösen Wissenschaftsinstitutionen sehen grüne Gentechnik positiv und gegenüber klassischer Zucht zuweilen in genau den Punkten im Vorteil, bei denen Gentechnik-Gegner von Gefahren phantasieren.
Die Wählerklientel scheint wichtiger als vernünftige Politik
Besonders paradox wirkt die Argumentation des grünen Landwirtschaftsministers von Deutschland, Cem Özdemir. Er lehnt, treu der Linie seiner Partei, eine Lockerung grüner Gentech-Regularien grundsätzlich ab. Und er begründet seine Haltung damit, dass durch Genomeditierung gezüchtete Gewächse nicht unterscheidbar sind von konventionell gezüchteten Pflanzen.
Es stimmt, was Özdemir sagt: Sieht man sich die Eigenschaften der Pflanze an, ist das einzige Merkmal, welches einen gentechnisch gezüchteten Apfel von einem Artgenossen aus dem Bio-Segment unterscheidet, ein Bio-Aufkleber. Wie aber sollen gentechnisch veränderte Gewächse dann Ökosysteme gefährden und die Gesundheit angreifen, während Bioprodukte gerade von den Grünen oft als Schritt in eine bessere Welt angepriesen werden?
Dem Minister sind die Fakten bekannt. Seinen fachpolitischen Kollegen in der Schweiz ist Gleiches zu unterstellen. Warum dann diese Antihaltung bei grüner Gentechnik? Vielleicht ist es den Grünen wichtiger, ihrer Wählerklientel zu gefallen, als aufrichtig zu sein und ihre Politik nach Vernunft zu gestalten.
Die Gegner grüner Gentechnik schüren Angst
Es gibt weitere Institutionen, die in ihrer Position zu grüner Gentechnik religiöser Ideologie näherstehen als Vernunft und Logik. Dazu gehören etwa Brot für die Welt, der Bund Naturschutz, Vertreter der Bio-Industrie und allen voran Greenpeace. Sie spinnen an einer Erzählung, indem sie Aussagen verbreiten wie jene, dass die möglichen Gefahren von gentechnisch veränderten Pflanzen nicht abschliessend geklärt seien.
Diese Rhetorik ist perfide. Sie schürt Angst: Mehr als drei Viertel der Deutschen sehen grüne Gentechnik kritisch, mehr als 90 Prozent fordern weitere Untersuchungen über Negativfolgen. Auch drei von vier Schweizern sind gegen gentechnisch veränderte Pflanzen.
Und die Worte sind so gewählt, dass seriöse Wissenschaft nicht widersprechen kann. Keinesfalls, weil das Gerede von «möglichen Gefahren» plausibel wäre. Sondern weil es mit empirischer Forschung nur möglich ist, Vorhandenes nachzuweisen. Die Nichtexistenz von Möglichkeiten zu belegen, entzieht sich ihrer Natur.
Wenn jemand nun behaupten würde, ein unsichtbares Einhorn tanze auf seiner Schulter und singe das Lied «Atemlos durch die Nacht» von Helene Fischer auf einer nicht wahrnehmbaren Tonfrequenz, dann kann empirische Wissenschaft nur sagen: Nach allem, was wir wissen, ist da kein Einhorn.
Würde nun ernsthaft jemand argumentieren, ob dort ein Einhorn tanze, sei nicht abschliessend geklärt? Greenpeace und Co. müssen jetzt mit Ja antworten. Einige ihrer Argumente gegen grüne Gentechnik folgen genau dieser Logik.
Genomeditierung hilft auch regionalen Pflanzenzüchtern
Ähnlich aufrichtig ist die Erzählung, Gentechnik helfe nur Grosskonzernen. Das Gegenteil ist wahr: Nur Milliardenunternehmen können sich aufwendige Zulassungsverfahren leisten. Studien zeigen, dass regionale Sortenzüchter ihren Anteil am Saatgutmarkt ausbauen, wenn die Zulassungsregeln für grüne Gentechnik gelockert werden. Die meisten Forscher sind sich einig: Die extreme Regulierung neuer gentechnischer Methoden verstärkt die Konzentration der Marktmacht auf wenige Grosskonzerne. In der EU und der Schweiz, deren Gesetze für grüne Gentechnik zu den strengsten der Welt zählen, kontrollieren nur fünf Konzerne 95 Prozent des Saatguts für Gemüse.
Nun verweisen Kritiker oft auf Länder wie die USA, wo Konzerne gegen einzelne Farmer klagen. Mit grüner Gentechnik ist es wie mit jedem Werkzeug: Wichtig ist, wie man es einsetzt. Ja, wer mithilfe grüner Gentechnik Pflanzen züchtet, die Resistenz gegen spezielle Herbizide besitzen, und diese Gifte gleich mit verkauft, macht ein gutes Geschäft – zuweilen zulasten der Umwelt und von Bauern. Wer Sorten aber so züchtet, dass sie regionale Standortvorteile haben, kann selbst dort Flächen bewirtschaften, wo Elite-Sorten von Konzernen versagen. Und wie grüne Gentechnik genutzt wird, lässt sich steuern: indem man die Eigenschaften einer Pflanze reguliert statt die Methoden der Zucht.
In der Schweiz sollte das Gentech-Moratorium eigentlich zum 31. Dezember enden. Allerdings votierte der Nationalrat mit 153 zu 42 Stimmen für eine Verlängerung bis 2030. Nun wird der Ständerat sich mit der Diskussion um Genomeditierung bei der Pflanzenzucht befassen. Das EU-Parlament hat einen Änderungsvorschlag zum Gentechnikrecht beschlossen, dort müssen die Landwirtschaftsminister abstimmen.
2025 ist das Jahr der Wahl zwischen Vernunft und Ideologie. Leider gleicht die Debatte bis jetzt weniger einem konstruktiven Streit als einem vernunftlosen Gerangel. Das liegt auch an den Erzählungen derer, die von der Angst vor grüner Gentechnik profitieren: Geld und Macht politisch wirkender Institutionen hängen davon ab, wie viele Leute sie mit ihren Botschaften überzeugen. Und mit Angst erreicht man Menschen leichter als mit Logik und Vernunft.
Angst vor Neuem zu verbreiten, weil es dem eigenen Einfluss dient, ist bestenfalls niveaulos. 179 Nobelpreisträger verschiedener Disziplinen gehen weiter. Sie nennen die Kampagnen gegen grüne Gentechnik in einem offenen Brief «Verbrechen gegen die Menschlichkeit».