Mittwoch, Januar 15

Das Dollfuss-Museum war eine Pilgerstätte der rechten Szene – nun wurde es überstürzt geräumt, die Aufarbeitung der Geschichte ist gescheitert. Wie schwer Österreich sich mit der Einordnung der kurzen Phase des Austrofaschismus tut, hat sich in den letzten Jahren noch einmal gezeigt.

Das Gebäude stammt aus dem 18. Jahrhundert, die Gedenktafel darauf ist nicht ganz so alt. Auf dem Schild steht: «Geburtshaus des grossen Bundeskanzlers und Erneuerers Österreichs Dr. Engelbert Dollfuss». Das mit dem Geburtshaus stimmt, und dass Dollfuss Kanzler war, ist auch richtig. Ihn allerdings als Erneuerer Österreichs zu bezeichnen, ist mehr als nur beschönigend.

Nachdem sich das Wiener Parlament im März 1933 nach einer Geschäftsordnungspanne selbst ausgeschaltet hatte, beseitigte Dollfuss die Demokratie und errichtete unter eine austrofaschistische Diktatur. Der Verehrer Mussolinis liess die gegnerischen Parteien verbieten und deren Aktivisten grausam verfolgen.

Am 12. Februar 1934 kam es in Österreich zu einem Bürgerkrieg, bei dem Polizei und Bundesheer nach Befehl des Kanzlers auf widerständige Arbeiter schossen. Die traurige Bilanz: Hunderte Tote. Exakt neunzig Jahre danach begeht Österreich ein Jubiläum, das nicht zum Jubeln ist. Und auch der Geist von Engelbert Dollfuss ist plötzlich wieder da: Denkmalsturz auf österreichisch.

Pilgerstätte der rechten Szene in Textingtal

Bis zum Jahr 2028 hätte das Museum in Dollfuss’ Geburtshaus aufgelöst werden sollen. Die Pilgerstätte der rechten Szene im niederösterreichischen Dorf Texingtal wäre nach dem Konzept eines eigens eingesetzten wissenschaftlichen Beirats langsam leergeräumt worden. Zu den gezeigten Devotionalien und persönlichen Gegenständen waren Kommentare und historische Einordnungen geplant. Jetzt haben die bisherigen Museumsleihgeber, unter ihnen vor allem Mitglieder der Familie Dollfuss, dieses Vorhaben vereitelt.

Die Museumsstücke sind in einer Nacht-und-Nebel-Aktion direkt ins Depot des Landesmuseums Niederösterreich gebracht worden. Aus der «begleitenden, partizipativen und kritischen Reflexion», wie sie sich die Historiker gewünscht haben, kann jetzt nichts werden. Anderswo beklagt man, dass prekäre Denkmale einfach vom Sockel gestossen werden, Österreich wollte es anders machen. Wie schwer man sich mit der Einordnung der kurzen Phase der austrofaschistischen Diktatur tut, hat sich in den letzten Jahren noch einmal gezeigt.

Totenkult eines Diktators

Bis in die christlichsoziale Volkspartei hinein wurde Dollfuss als Märtyrerkanzler verehrt. Seine Ermordung 1934 beim Juliputsch der Nationalsozialisten war die Grundlage einer kultischen Verehrung. Die ÖVP feierte den katholischen austrofaschistischen Kanzler ganz offensiv als einen der Ihren. Bis 2017 hing sein Porträt in den Parlamentsräumen der Partei, dann kam Bewegung in die Sache. Als im Jahr 2021 Gerhard Karner, der ÖVP-Bürgermeister von Texingtal, zum österreichischen Innenminister avancierte, begann die endgültige Aufarbeitung der Causa.

Der Mythos um Engelbert Dollfuss hat mit seiner Rolle in Österreichs Selbstwahrnehmung zu tun. Die lange aufrechterhaltene Argumentation, ein Opfer Hitlers gewesen zu sein und nicht Mittäter, hatte mit Dollfuss einen perspektivischen Fluchtpunkt. Zu den Heldensagen um den Kurzzeit-Kanzler gehörte auch, dass er ein früher Toter im Widerstand gegen den Nationalsozialismus gewesen sei. In Wahrheit unterschied sich seine Diktatur nur graduell von den Ideen Hitlers und Mussolinis. Vor allem Mussolini war es, der Dollfuss beim Aufbau seiner Karriere zur Seite stand.

Das schlichte Geburtshaus des Ex-Kanzlers, das 1998 zu einem Museum mit fragwürdiger historischer Pädagogik geworden war, geht bis 2028 wieder ganz an die Nachkommen. Die Museumsstücke sind jetzt schon weg. Von zeitgenössischen, Dollfuss gewidmeten Dankgedichten über die zertifizierte Erde von seinem Wiener Grab bis hin zur Aktentasche des Engelbert Dollfuss. Seine Akte selbst scheint noch lange nicht geschlossen.

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