Sonntag, Februar 23

Seit den «Zweiflers» ist Altaras ein gefragter Mann. Der Berliner bringt den benötigten Exzess in die verschlafene deutsche Filmwelt. Dass er beim Treffen selber fast wegkippt, macht nichts.

Hotel Ritz Carlton am Potsdamer Platz: Der junge Schauspieler Aaron Altaras wird den internationalen Pressevertretern an der Berlinale als neues Gesicht des deutschen Films vorgestellt.

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«Faces», so nennt die Promotionsagentur German Films ihre jährlich wechselnden Aushängeschilder. Aaron Altaras hat ein gutmütiges, gleichzeitig auch schön rotziges, nach Rockstar aussehendes «face». Fernsehzuschauer schwärmen es an in der ARD-Serie «Die Zweiflers».

«Vielleicht das Beste, was jemals im deutschen Fernsehen zu sehen war», schrieb die «Welt», deren Rezensentin ihr Herz an «den jüdischen Gen-Z-Cutie» Altaras verloren hat. «Meisterstück», meinte die «FAZ». Der Sechsteiler über eine jüdische Delikatessenimperiums-Familie in Frankfurt wurde in Cannes als beste Serie ausgezeichnet und räumte auch beim Deutschen Fernsehpreis ab.

Er ist fix und fertig

Seither ist Altaras gefragt als Schauspieler und Interviewpartner. Ausserdem ist der junge Berliner passionierter DJ. Zum Pressetermin kommt er praktisch direkt von einer Party. Es ist Montagmittag. Seit Donnerstag sei er unterwegs, sagt er. Altaras ist erledigt. Fix und fertig.

Mehr Fresse als «face», so würde er selber seinen Zustand vielleicht beschreiben. Aber genau deshalb verspricht die Begegnung etwas: Dass er sich als nicht so präsentabel erweist, wie sich das die Promotionsagentur sicherlich vorgestellt hat – gerade dies macht den Endzwanziger interessant. Es unterscheidet ihn vom gewöhnlichen Gegenwartsdarsteller, der bemüht ist um ein verkaufsförderndes Auftreten.

Heutzutage haben die Stars oft mehr Medienschulungen hinter sich als Schauspielunterricht. Sie gleichen Presserobotern, die unverfängliche, einstudierte Sätzchen aufsagen. Aaron Altaras erinnert wenn, dann an einen Roboter mit Kurzschluss, so überdreht ist er. Zur Begrüssung reicht er zweimal die Hand. Für das Interview mit der NZZ wird er dann vorsorglich an einen Tisch gesetzt, damit er nicht umkippt.

Er trägt T-Shirt, versprenkelte Tattoos zeigen sich an den trainierten Armen. Dazu viel Schmuck, dicke Silberkette mit Herz-Anhänger um den Hals. Hart, aber mit Herz: Das ist der Vibe, die Attitüde, die von diesem Altaras ausgeht. Ein deutscher Timothée Chalamet; ein Hauch auch vom frühen Robert Downey Jr. Jedenfalls darf sich Kinodeutschland freuen: endlich wieder ein Rebell.

Worüber kann man mit ihm reden? Kinotalk klappt zum Aufwärmen sehr gut. Altaras ist ein Filmfan, zweimal die Woche geht er sich etwas anschauen. Den Jahrgang 2024 fand er ausgezeichnet. «Brutalist», «September 5», vor allem auch «Anora»: Auf den Film von Sean Baker über die Stripperin, die mit dem Oligarchensöhnchen durchbrennt, lässt er nichts kommen.

Mit dem Einwand, das sei eine Männerphantasie, kann er nichts anfangen. Genauso wenig wie bei «Babygirl», wo sich Nicole Kidman als CEO von einem Praktikanten sexuell erniedrigen lässt: «Mag sein, dass das eine Männerphantasie ist, aber es ist auch eine Frauenphantasie», sagt Altaras. «So funktioniert Sex manchmal. Beide phantasieren und objektifizieren.»

«Auschwitz oder Klezmer»

Altaras gefällt es, wenn Filme uneindeutig sind. «Filme müssen nicht richtigliegen», so drückt er sich aus. «Kunst hat das Recht, falsch zu sein. Sonst wäre sie nicht Kunst, sondern Wissenschaft.» Für sich sucht Altaras Stoffe, die die nötigen Nuancen haben. Das wird auch klar, wenn das Gespräch, durch das man mit dem aufgedrehten Altaras nur so rauscht, auf die «Zweiflers» kommt.

Stimmt es eigentlich, dass er bei der Serie zunächst gar nicht mitmachen wollte, weil er die Darstellung von Juden im deutschen Film nicht mehr ertragen konnte? «Ja, es geht sonst immer entweder um tote Juden oder um neurotische Juden», sagt Altaras. «Auschwitz oder Klezmer.» Beides habe er «nicht mehr reproduzieren» wollen. Deshalb habe er abgewinkt, als ihm die Rolle angeboten worden sei.

Aber dann las er das Drehbuch und erkannte, dass der Stoff des Serienschöpfers David Hadda die Möglichkeit bietet, «ein Spektrum an Judentum zu zeigen». Ihm gefällt, dass es bei den «Zweiflers» alles gibt, «reiche und arme Juden, gute und schlechte, einer betrügt seine Frau, der andere nimmt Koks».

Schwer durchschaubar ist der Patriarch Symcha Zweifler (Mike Burstyn), der sein Feinkostimperium im Frankfurter Bahnhofsviertel verkaufen möchte. Aber die Kiezkanaille Siggi (Martin Wuttke) setzt Symcha unter Druck, will am Geschäft beteiligt werden. Sonst werde er ein dunkles Firmengeheimnis ausplaudern.

Darum dreht sich die Geschichte vorderhand. Hinzu kommt die Sache mit der Vorhaut: Der Musikproduzent Samuel, den Altaras verkörpert, und die aus der Karibik stammende Szeneköchin Saba (Saffron Coomber) erwarten ein Kind. Stellt sich die Frage: Beschneidung, ja oder nein? Saba fremdelt mit der jüdischen Tradition ihres Partners.

Aaron, Sohn der Schauspielerin Adriana Altaras, wurde in eine Familie hineingeboren, in der man Hanukka feiert, aber nicht viel mehr. Zwar hat er eine jüdische Schule besucht, aber nur, «weil alle Freunde dahingingen, und nicht, weil ich die Thora lesen wollte».

Er studierte «critical race theory»

Zur Gretchenfrage Beschneidung, für die er seit der Rolle regelmässig als Experte aufgeboten wird, äussert er sich tapfer. «Kompliziertes Thema», sagt er. Selber ist er beschnitten, gleichzeitig sei es natürlich ein nicht mehr zeitgemässer Ritus. Grundsätzlich findet er es schwierig, wenn Deutsche den Juden, aber auch den Muslimen vorschreiben wollten, wie sie zu leben haben.

Altaras hat ein ausgeprägtes Minderheitenbewusstsein. Bevor er sich für das Schauspiel entschieden hat, studierte er Philosophie, Schwerpunkt «critical race theory», den Neomarxisten Louis Althusser mag er. Im assoziativen Interview-Pingpong landet man auch bei Judith Butler, die er nicht verlorengeben will, obwohl sie sich als Hamas-Versteherin geoutet hat. Israelkritik sei «sehr valid», findet Altaras, aber Butler übertreibe es natürlich.

Wie er seine identitätspolitischen Gedanken und politischen Präferenzen äussert (grün), wirkt er leider nicht mehr so rebellisch. Dann ist der junge Mann, der schon so lange wach ist, eher einfach woke. Aber bevor er noch zum Anständigen mutiert, unterbricht sich Altaras mitten im Satz selber und springt auf. Das war’s für heute, er kann nicht mehr. «War da was dabei?»

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