Samstag, Oktober 5

Der frühere afghanische Abgeordnete Ajmal Rahmani hat Millionen in deutsche Immobilien investiert. Doch dann wurde er von den USA wegen Korruptionsvorwürfen mit Sanktionen belegt. Woher hat er sein Vermögen? Eine Spurensuche.

Mit einem breiten Lächeln war Haji Ajmal Rahmani im April 2023 zu sehen, wie er an der Seite von Winfried Kretschmann ein Band durchschnitt. Baden-Württembergs Ministerpräsident war extra ins schwäbische Ehningen gekommen, um mit dem afghanischen Investor dessen neustes Immobilienprojekt zu eröffnen. Mit dem Wohn- und Technologiepark Quantum Gardens auf dem Gelände des früheren IBM-Hauptsitzes bei Stuttgart winkte der ganz grosse Erfolg. Mit Anfang 40 schien Rahmani als Investor am Ziel in Deutschland.

Ein Jahr später sieht die Situation aber völlig anders aus. Die Gemeinde hat das Bauprojekt gestoppt, laut Medienberichten hat IBM seine Mitarbeiter aus den Büros abgezogen, die es von Rahmanis Ozean Group auf dem Gelände seines früheren Hauptsitzes gemietet hat. Auch andere Beteiligte haben ihre Geschäftsbeziehungen abgebrochen. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat zudem Ermittlungen gegen Unbekannt eingeleitet wegen des Verdachts der Geldwäsche.

Was war passiert? Im Dezember 2023 hatten die USA Sanktionen gegen Ajmal Rahmani und seinen Vater Mir Rahman verhängt. Der Vorwurf: Korruption, Betrug und Preismanipulation bei der Lieferung von Treibstoff für die afghanischen und die Nato-Streitkräfte in Afghanistan. Nun stellt sich die Frage: Haben die Rahmanis Millionen Dollar aus illegalen Geschäften in Afghanistan in Immobilienprojekte in Deutschland investiert, darunter Quantum Gardens in Ehningen?

Die Rahmanis bestreiten alle Vorwürfe. Im Januar haben sie vor einem Gericht in Washington Klage eingereicht gegen Finanzministerin Janet Yellen wegen der Verhängung der Sanktionen. Im Verfahren «Rahmani vs. Yellen» gab es Ende April einen Zwischenentscheid, in dem die Sanktionen für grundsätzlich zulässig erklärt wurden. Das endgültige Urteil steht aber noch aus. Der Prozess wird in den USA aufmerksam verfolgt, da er einen Präzedenzfall im Sanktionsrecht schaffen könnte.

Die Rahmanis beklagen, dass das Finanzministerium sie nie angehört und auch keine Beweise vorgelegt habe. Sie sind nicht rechtskräftig verurteilt, es gilt daher die Unschuldsvermutung. Der Schaden ist aber bereits angerichtet – für die Gemeinde Ehningen, die involvierten Firmen wie IBM und auch die Rahmanis. Heute beteuern die beteiligten Akteure, sie hätten nicht wissen können von den Korruptionsvorwürfen gegen Ajmal Rahmani in Afghanistan. Doch stimmt das auch?

Die Korruption hat den afghanischen Staat zersetzt

Die Recherche zu den Rahmanis führt in die Abgründe der afghanischen Politik und zeigt, wie eng während der afghanischen Republik zwischen 2001 und 2021 Geschäft und Politik verbunden waren. Die USA und andere westliche Staaten pumpten in dieser Zeit Milliarden Dollar in die Entwicklung des Landes und den Aufbau eines demokratischen Staates. Ein Grossteil der Hilfen verschwand aber in den Taschen korrupter Politiker und betrügerischer Geschäftsleute.

Die USA trugen daran eine erhebliche Mitschuld. Denn das Beschaffungssystem der Armee schuf erst die Möglichkeiten für Betrug, Bestechung und Preismanipulation. Es fehlte an Kontrollen und auch an Konsequenz bei der Ahndung von Verstössen. Oft arbeitete die Armee auch dann noch mit Geschäftsleuten zusammen, als längst klar war, dass diese in die eigene Tasche wirtschafteten. Heute ist klar, dass die Korruption ein zentraler Grund für den Kollaps des Staats 2021 war.

Für diese Recherche hat die NZZ mit afghanischen Anti-Korruptions-Experten, Forschern und Journalisten gesprochen, die zum Teil den Fall der Rahmanis seit Jahren verfolgen. Wegen der Brisanz des Themas will keiner namentlich zitiert werden. Alle sind sich aber einig, dass die Vorwürfe gegen die Rahmanis wegen Korruption und Stimmenkaufs in Afghanistan seit Jahren bekannt waren. Sie wurden in der afghanischen Presse diskutiert und wiederholt im Parlament zur Sprache gebracht.

Die Rahmanis arbeiteten eng mit den Amerikanern

Die Rahmanis gehörten zu den Afghanen, die nach der Intervention der Amerikaner 2001 rasch ein Vermögen anhäuften. Der Vater Mir Rahman hatte seit den achtziger Jahren als Offizier in der afghanischen Armee Karriere gemacht. Er hatte 1982 in Moskau studiert und dann an der Seite der Sowjets gegen die Mujahedin gekämpft. Nach dem Abzug der Roten Armee und dem Sturz des kommunistischen Regimes in Kabul 1991 wechselte er auf die Seite der siegreichen Mujahedin.

Als die Taliban 1996 die Macht ergriffen, schloss sich der ethnische Tadschike dem Widerstand gegen die Islamisten an. Nach deren Sturz 2001 kehrte er in die Armee zurück. Wie der Afghanistan-Kenner Timor Sharan in seinem Buch «Inside Afghanistan» schreibt, war Mir Rahman als Kommandant der 40. Armeedivision für die Luftwaffenbasis Bagram bei Kabul zuständig, bis er 2004 aus dem Armeedienst schied. Auch sein Bruder General Baba Jan hatte einen hohen Posten in der Armee.

Rahmans Sohn Ajmal verdingte sich noch als Teenager als Dolmetscher bei den amerikanischen Truppen. Laut Sharan dienten die Dolmetscher dank ihrer Nähe zu den Amerikanern oft als Vermittler im Kontakt mit lokalen Geschäftsleuten. Viele nutzten ihre Position, um selbst an lukrative Aufträge des Militärs zu kommen. Ab 2005 bauten Ajmal und sein Vater ein Netzwerk von Firmen auf, mit denen sie Armeebasen mit Benzin und Diesel aus Raffinerien in Zentralasien belieferten.

Wie Ajmal Rahmani auf seiner Website schreibt, arbeitete er in dieser Zeit auch eng mit der Supreme Foodservice GmbH zur Belieferung von Nato-Basen mit Lebensmitteln zusammen. Das Schweizer Unternehmen mit Sitz in Glarus wurde 2014 von den USA angeklagt, über Jahre gezielt überhöhte Preise berechnet zu haben. In einer aussergerichtlichen Einigung erklärte sich die Firma schliesslich bereit, die Summe von 434 Millionen Dollar als Strafe und Entschädigung zu zahlen.

Auch die Rahmanis sollen laut dem amerikanischen Sanktionsbeschluss über die Jahre den amerikanischen Staat um Millionen Dollar betrogen haben. Sie hätten die Preise für US-finanzierte Treibstofflieferungen in die Höhe getrieben und Konkurrenten aus dem Markt gedrängt, erklärte das Finanzministerium. Zudem hätten sie Zollbeamte geschmiert, um Treibstoff zollfrei importieren zu können, und andere Beamte bestochen, damit diese ein Auge zudrückten, als sie ihre Lieferverträge nicht erfüllten.

Die Rahmanis weisen die Vorwürfe vehement zurück. Auf eine Anfrage dazu an Ajmal Rahmanis Ozean Group antwortet eine Anwaltskanzlei, die Vorwürfe stützen sich allein «auf öffentliche Aufzeichnungen und einige unbelegte Aussagen vom Hörensagen». Diese seien nicht eidesstattlich versichert oder durch Beweise belegt. Das ganze Verfahren zur Verhängung der Sanktionen sei maximal intransparent gewesen, die Rahmanis und ihre Firmen seien nicht einmal angehört worden. Dies gelte auch für den Vorwurf des Stimmenkaufs.

Ein Parlamentssitz war eine gute Absicherung der Geschäfte

Nachdem sie ein Vermögen gemacht hatten, bewarben sich Ajmal und sein Vater Mir Rahman bei der Parlamentswahl von Oktober 2018 um einen Sitz im Unterhaus. Mir Rahman sass bereits ab 2010 in der Wolesi Jirga. Anders als bei früheren Wahlen, die von den mächtigen alten Kriegsherren dominiert gewesen waren, traten 2018 viele junge Geschäftsleute an, die nach 2001 zu Wohlstand gelangt waren. Durch einen Sitz im Parlament wollten sie politischen Einfluss gewinnen, um ihre Geschäftspraktiken abzusichern.

Der Unternehmer Habibullah Esmati, der einen Vergnügungspark in Kabul betrieb und sich auch um einen Sitz bewarb, erklärte damals die Logik so: «Wenn du als Geschäftsmann einen Auftrag erhältst, musst du die Taschen von vielen Leuten füllen», sagte Esmati gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Wenn er aber ins Parlament gewählt werde, schütze ihn das Mandat vor der Zahlung von Schutzgeld. Für seine Firmen und Investitionen sei dies eine Art Versicherung.

Die Parlamentswahl war höchst umstritten und geprägt von Vorwürfen des Stimmenkaufs. Vor den Wahlen habe Ajmal Rahmani Geld und Geschenke an Wähler verteilt, erklärte der US-Sonderbeauftragte für den Wiederaufbau Afghanistans (Sigar), auf dessen Recherchen der Sanktionsbeschluss beruht. Auch habe er 1,6 Millionen Dollar an Mitglieder der Wahlkommission gezahlt, damit sie seinen Stimmanteil erhöhten. Ajmal Rahmani bestreitet dies und teilte über seinen Anwalt mit, er habe es gar nicht nötig gehabt, Stimmen zu kaufen.

Bündel von Bargeld sollen im Parlament verteilt worden sein

Auch die Wahl des Parlamentspräsidenten, die Ajmals Vater Mir Rahman im vierten Wahlgang schliesslich für sich entschied, war geprägt von Vorwürfen des Stimmenkaufs. Es sei nichts weniger als eine Auktion gewesen, schreibt Timor Sharan in seinem Buch. 20 000 bis 50 000 Dollar habe eine Stimme gekostet, dazu seien gepanzerte Autos als Geschenke an die Abgeordneten verteilt worden. Am Ende sei der Parlamentsvorsitz für 20 bis 30 Millionen Dollar weggegangen.

Die Gegner der Rahmanis warfen ihnen damals vor, in den Gängen des Parlaments grosse Bündel Bargeld verteilt zu haben. Der Streit um den Vorsitz führte wiederholt zu Handgreiflichkeiten im Plenarsaal und wurde von den Medien genau verfolgt. Auch in den folgenden Jahren gab es Vorwürfe, die Rahmanis hätten ihre Position als Abgeordnete missbraucht. Um ihre Interessen im Treibstoffgeschäft zu sichern, sollen sie sogar den Haushalt 2021 blockiert haben.

Die Rahmanis versichern dagegen, sie seien als Abgeordnete gar nicht mehr in Afghanistan geschäftlich tätig gewesen. Vor Gericht in den USA betonte Mir Rahman, seine Wahl sei in keiner Weise umstritten gewesen und niemals Gegenstand einer Untersuchung. Tatsächlich gab es nie eine Untersuchung zu den Rahmanis in Afghanistan – auch nicht zu den Vorwürfen der Korruption. Allerdings hatten die afghanischen Behörden auch gar keine Jurisdiktion in dem Fall, da das amerikanische Militär die Aufträge zur Lieferung von Treibstoff vergab.

In Zypern kauften sich die Rahmanis neue Pässe

Zum Zeitpunkt ihrer Wahl ins Parlament hatten die Rahmanis bereits ins Ausland expandiert. Nicht nur hatten sie einen Teil ihres Vermögens ausser Landes gebracht, sie hatten sich auch eine zweite Staatsbürgerschaft gekauft. Wie Recherchen von al-Jazeera im August 2020 enthüllten, hatte Ajmal bereits 2014 die Staatsbürgerschaft Zyperns erhalten. Im Dezember 2017 erwarb auch sein Vater Mir Rahman zypriotische Pässe für sich, seine Frau und die drei Töchter.

Möglich wurde dies durch ein umstrittenes Programm zum Kauf sogenannter goldener Pässe: Wer 2,5 Millionen Dollar in dem EU-Land investierte, konnte die zypriotische Nationalität erhalten. Nach massiver Kritik aus Brüssel musste Nikosia 2019 die Gesetze anpassen. Zu diesem Zeitpunkt hatten aber bereits Tausende Geschäftsleute und Politiker davon profitiert – unter ihnen die Rahmanis. Mit ihren zypriotischen Pässen konnten sie sich fortan frei im Schengenraum bewegen.

Einen Teil ihres Vermögens investierten sie in Dubai

Ausser in Zypern investierten die Rahmanis ihr Geld auch in Dubai. Das Emirat am Persischen Golf wird von Politikern und Geschäftsleuten aus aller Welt als sicherer Anlageort geschätzt. Laut Recherchen eines internationalen Journalistenkonsortiums von Mitte Mai kauften die Rahmanis ab 2013 in der Handelsmetropole Immobilien für über 15 Millionen Dollar. Darunter seien Villen und Wohnungen in zwei Apartmenttürmen, die noch immer hohe Mieteinnahmen generierten.

Laut einer Recherche des «Wall Street Journal» hat sich ein Grossteil der afghanischen Elite vor 2021 Zweitpässe und Immobilien im Ausland zugelegt, in vielen Fällen in Dubai. Als die Taliban im August 2021 wieder die Macht übernahmen, setzten sich die Geschäftsleute und Politiker mit ihren Familien ins sichere Ausland ab. Auch Mir Rahman verliess Kabul kurz vor dem Fall der Stadt in einem gecharterten Flugzeug. Seither soll er in Dubai, der Türkei und Deutschland leben.

Ajmal Rahmani hatte bereits 2016 begonnen, in deutsche Immobilien zu investieren. Laut Medienberichten hält seine Ozean Group heute in Ehningen, Frankfurt und München Immobilien im Wert von 200 Millionen Euro. Seinen Geschäftspartnern in Deutschland präsentierte sich Ajmal Rahmani als Vorkämpfer für Frauenrechte und als Partner des Westens im Kampf gegen den Terrorismus. Auf seiner Website zeigt er sich im Anzug an der Seite von Nato-Kommandanten und des amerikanischen Botschafters in Kabul und bezeichnet sich als «leading global citizen».

Die Zukunft der Bauprojekte in Deutschland ist ungewiss

Nach der Verhängung der Sanktionen klagte Ajmal Rahmani, ihm seien Verträge gekündigt, Projekte suspendiert und Bankkonten geschlossen worden. Zwar haben US-Sanktionen in Deutschland keine Gültigkeit, doch stellen sie ein Problem für alle Personen und Firmen dar, die in den USA geschäftlich tätig sind – den amerikanischen IT-Konzern IBM etwa, von dem Rahmani das Gelände für Quantum Gardens gekauft hat. Auf Nachfrage wollte sich IBM nicht äussern. Die Gemeinde Ehningen teilte dagegen mit, das Bauprojekt liege vorerst auf Eis.

Solange die Sanktionen bestünden, werde es mit Rahmani und seinen Firmen keine weitere Zusammenarbeit geben, erklärte eine Sprecherin. Selbstverständlich habe sich die Gemeinde über ihn und seine Firmen und Projekte vorab kundig gemacht. Bis zum Erlass der Sanktionen habe es aber keinen Anlass gegeben, ihn anders zu behandeln als andere Investoren. Auch hätte es für die Gemeinde gar keine Rechtsgrundlage gegeben, das Bauprojekt zu verhindern.

Es bleibt die Frage, wie sich IBM und andere Firmen auf Geschäfte mit Rahmani einlassen konnten. Zwar ist keiner der Vorwürfe der Korruption und des Stimmenkaufs zweifelsfrei bewiesen – doch die Vorwürfe sind da. Und sie sind seit Jahren bekannt. Gerade in den Jahren nach 2019 waren sie in der afghanischen Presse und im Parlament oft ein Thema.

Warum kamen die Sanktionen erst jetzt?

Es bleibt freilich auch die Frage, warum die USA Sanktionen gegen die Rahmanis erlassen haben, nachdem sie so lange eng mit ihnen zusammengearbeitet hatten. Die Rahmanis sind die ersten und bislang einzigen Politiker aus der Zeit der afghanischen Republik, die mit Sanktionen belegt worden sind. Auch viele andere afghanische Politiker haben nach 2001 auf fragwürdige Weise ein Vermögen gemacht. Warum gerade die Rahmanis und warum gerade jetzt?

Auf Nachfrage wollten sich die amerikanischen Behörden nicht dazu äussern. Auch der Staatsanwaltschaft Stuttgart wollten sie offenbar keinen Einblick in ihre Dokumente gewähren. Anfang Juni teilte diese mit, die mittels Rechtshilfe aus den USA eingeholten Auskünfte hätten den Verdacht der Geldwäsche nicht erhärtet. Daher habe sie die Ermittlungen wegen Geldwäsche im Zusammenhang mit Rahmanis Immobilienprojekten mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt.

Anti-Korruptions-Experten, die den Fall Rahmani schon länger verfolgen, bedauern den Entscheid aus Stuttgart und das unkooperative Verhalten der Amerikaner. Allerdings sehen sie auch ein Problem bei der deutschen Gesetzgebung zu Geldwäsche, die schon lange als viel zu lasch kritisiert wird. Für Afghanistan kommt das Vorgehen gegen Mir Rahman und Ajmal Rahmani ohnehin um Jahre zu spät. Viel zu lange hat der Westen die Augen davor verschlossen, wie sehr die Korruption den afghanischen Staat zerfressen hat – mit fatalen Folgen.

Die ausführliche Stellungnahme von Herrn Ajmal Rahmani und der Ozean Group GmbH zu den Vorwürfen können Sie hier nachlesen.

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