Freitag, Januar 10

Nach zwei Jahren Vakanz an der Staatsspitze hat das Parlament in Beirut den Armeechef Joseph Aoun zum Staatsoberhaupt gewählt – ein wichtiger Schritt, um Hilfsgelder aus dem Ausland zu erhalten. Auf den General warten immense Herausforderungen.

Es ist eine kleine Sensation für Libanon – nach zwei Jahren hat das politisch und wirtschaftlich darbende Land wieder einen Präsidenten. Am Donnerstagnachmittag wählten mehr als zwei Drittel der Abgeordneten im Parlament den Armeechef Joseph Aoun zu ihrem künftigen Staatsoberhaupt. Der 61-jährige General soll den kleinen Staat am Mittelmeer aus der tiefsten Krise seiner jüngeren Geschichte führen.

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Die Wahl Aouns war möglich geworden, weil nicht allein christliche und sunnitische Parlamentarier für den maronitischen Christ stimmten, sondern auch Abgeordnete der schiitischen Amal-Bewegung und des ebenfalls schiitischen Hizbullah. Insgesamt 99 von 128 Abgeordneten sprachen sich für Aoun aus, der in der Öffentlichkeit bisher eher zurückhaltend aufgetreten war. Als Armeechef dürfte er laut der libanesischen Verfassung eigentlich nicht gewählt werden, die Zweidrittelmehrheit wird aber als Zustimmung zu einer Verfassungsänderung interpretiert.

Schon bevor die Amtszeit des letzten libanesischen Präsidenten Michel Aoun – der nicht mit Joseph Aoun verwandt ist – im Oktober 2022 endete, war der Zedernstaat politisch paralysiert. Seither waren die libanesischen Parlamentarier ein Dutzend Mal zusammengekommen, um einen Präsidenten zu wählen – ohne Erfolg. Keiner der zahlreichen Kandidaten erhielt die erforderliche Anzahl der Stimmen, weil sich die politischen Blöcke im Parlament gegenseitig im Wege standen.

Auch der Hizbullah hofft auf Geld aus dem Ausland

Für die jahrelange politische Blockade in Libanon war nicht zuletzt der Hizbullah verantwortlich. Doch am Mittwoch, keine 24 Stunden vor der Abstimmung, zog deren favorisierter Anwärter auf das Präsidentenamt, Sleiman Frangieh, seine Kandidatur zurück und sprach sich für die Wahl Aouns aus. Zuvor hatten bereits die USA, Frankreich und Saudiarabien durchblicken lassen, dass sie sich Aoun als Präsidenten wünschten. Die drei Länder gelten als potenzielle Geldgeber für den bankrotten Staat. Nach dem monatelangen Krieg zwischen Israel und der Hizbullah-Miliz ist Libanon mehr denn je auf finanzielle Hilfe aus dem Ausland angewiesen.

Diese Erkenntnis hat offenbar auch den Hizbullah dazu veranlasst, für Aoun zu stimmen. Denn der Krieg gegen Israel hat die militärische Schlagkraft der Miliz und den Einfluss der Partei auf die libanesische Politik entschieden geschwächt. Konnte der Hizbullah früher seine Anhänger und Kämpfer in Libanon mit Geld und Waffen aus Iran versorgen, erhält er mittlerweile kaum noch finanzielle und materielle Hilfe aus der ebenfalls geschwächten Islamischen Republik. Auch der Sturz des Asad-Regimes, das mit der Miliz verbündet war, hat die Position des Hizbullah weiter geschwächt.

Dass auch schiitische Abgeordnete für Aoun gestimmt haben, kann deshalb auch als Zeichen dafür verstanden werden, dass der Hizbullah nichts mehr zu verteilen hat und fürchtet, in Libanon weiter an Zuspruch zu verlieren. Angesichts der immensen Schäden, die im Krieg mit Israel vor allen in den schiitischen Gebieten im Süden Libanons entstanden sind, hofft der Hizbullah nun offenbar genauso wie andere Bevölkerungsgruppen auf westliche Aufbauhilfe. Denn die Not der Menschen in Libanon, zu denen auch mehr als eine Million Flüchtlinge aus Syrien zählen, wächst weiter.

Die Erwartungen an Joseph Aoun sind dementsprechend gross. Wichtige Entscheidungen wurden mehr als zwei Jahre lang vertagt. Dazu gehört die Ernennung eines Zentralbankchefs, vor allem aber die Bildung einer neuen Regierung. Ministerpräsident Najib Mikati ist seit 2022 lediglich geschäftsführend im Amt. Libanon befindet sich bereits seit mehr als fünf Jahren in einer schweren Wirtschafts- und Finanzkrise, die ohne Hilfe internationaler Partner und des Internationalen Währungsfonds kaum zu bewältigen sein wird.

Auf Aoun warten immense Herausforderungen

Darüber hinaus wird Aoun dafür verantwortlich sein, das Ende November vereinbarte Waffenstillstandsabkommen zwischen Israel und dem Hizbullah umzusetzen. Die Vereinbarung sieht vor, dass die beiden Konfliktparteien innerhalb von 60 Tagen aus Südlibanon abziehen müssen. Dafür soll die libanesische Armee die Kontrolle in dem Gebiet übernehmen.

Bislang ist allerdings unklar, ob sie dazu in der Lage ist. Vor dem Krieg mit Israel war der Hizbullah militärisch deutlich stärker als die Armee. Auch wenn die Miliz an Schlagkraft einbüsst hat, dürften die unterfinanzierten libanesischen Streitkräfte Schwierigkeiten haben, sich im Fall der Fälle gegen den Hizbullah durchzusetzen.

Die Wahl eines Präsidenten gilt dennoch als wichtiger erster Schritt, um Libanon langfristig zu stabilisieren. Das französische Aussenministerium sprach von einem «historischen und wichtigen Moment für die Zukunft Libanons». Der US-Sondergesandte für den Nahen Osten, Amos Hochstein, nannte die Wahl von Aoun als «Schritt in Richtung Frieden und Stabilität in Libanon». Dennoch darf die Einigung auf ein Staatsoberhaupt nicht darüber hinwegtäuschen, dass das politische System in Libanon den Mächtigen im Land nach wie vor ermöglicht, Entscheidungen zugunsten einer kleinen Elite zu treffen, die sich auf Kosten der Bevölkerung bereichert.

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