Samstag, Oktober 5

Unser Autor sinniert in seinem Beitrag aus der Rubrik «Hauptsache, gesund» über die Vielfalt und den Nutzen der Blüten hiesiger Bergwiesen.

Wer in den Sommerferien eine Bergwanderung unternimmt, trifft auf eine erstaunliche Vielfalt von Wandertypen. Da gibt es die Plauderi, die alle Tiere verscheuchen. Und schon wird man von einem Gipfelstürmer überholt, der seinen Blick starr auf den Weg vor seinen Füssen richtet.

Ich wiederum habe auf zahllosen Naturexkursionen mit meiner Frau gelernt, bei jeder Blume haltzumachen, deren Blüte zu bewundern, ihren Namen zu diskutieren und schliesslich niederzuknien, um sie von allen Seiten abzuknipsen.

So sind wir auch diesen Sommer am Lukmanier wieder einmal nur sehr langsam vorangekommen. Denn hier gibt es – zwischen eintönigen Kuhweiden – viele Bergwiesen mit überwältigender Blütenvielfalt. Für uns sind sie eine Augenweide, für die Biodiversität ein Segen und für die Züchtungen der Pflanzenheilkunde ein unbezahlbares genetisches Reservoir.

Aspirin entwickelte sich aus der Pflanzenheilkunde

Ein Viertel aller Blumen und Kräuter, die in Berggebieten wachsen, haben eine gesundheitsfördernde Wirkung, habe ich jüngst auf einem Wanderblog gelesen. Die Phytotherapie zählt zu den ältesten Heilmethoden der Menschheit.

Im Prinzip basiert darauf auch die wissenschaftliche Medizin. Die Wirkstoffe vieler Medikamente wurden im 19. Jahrhundert erstmals aus Pflanzen isoliert. Die Salicylsäure etwa, der Vorgänger des Aspirin-Wirkstoffs Acetylsalicylsäure, findet sich im Mädesüss, aber auch in der Rinde von Weiden wie der Quendelweide, die am Lukmanier gedeiht – dort, wo sich der junge Brenno elegant durch die alpinen Hochebenen schlängelt.

Thymian und Salbei gegen die drohende Antibiotikaresistenz

Von der wissenschaftlichen Medizin unterscheidet sich die Pflanzenheilkunde vor allem dadurch, dass ihre Tinkturen und Rezepte sogenannte Vielstoffgemische sind.

Extrakte aus den Blättern der Salbei-Pflanze zum Beispiel enthalten Hunderte Wirkstoffe: Gerbstoffe, ätherische Öle und Flavonoide. Sie entfalten ihre Wirkung gegen Atemwegserkrankungen und Beschwerden des Magen-Darm-Traktes durch das Zusammenspiel der Inhaltsstoffe.

Nun haben Wissenschafter entdeckt, dass die Pflanzenmedizin auch einen Beitrag gegen die Antibiotikakrise leisten kann. Antibiotika werden bei Atemwegsinfektionen oder unkomplizierten Harnwegsinfektionen oft zu schnell und zu häufig verschrieben. Das begünstigt die Resistenzbildung der bakteriellen Krankheitserreger.

Eine Studie mit rund 120 000 Probanden hat gezeigt, dass mit der Erstanwendung von pflanzlichen Heilmitteln der Antibiotika-Einsatz bei solchen Krankheiten signifikant reduziert werden kann. Besonders wirksam sind Tabletten mit Wirkstoffen aus Thymian und Schlüsselblumen oder Extrakte aus der Salbei.

Der Rohstoff für die Arnikasalbe droht zu verschwinden

Über 150 einheimische Pflanzenarten sind im Inventar der Medizinal- und Aromapflanzen verzeichnet. Die meisten davon wachsen in Bergregionen, zum Beispiel die Bergdotterblume, besser bekannt als Arnika. Tinkturen der Arnica montana wirken entzündungshemmend, abschwellend und schmerzlindernd und werden gegen Sportverletzungen und Rheumakrankheiten eingesetzt.

Das Problem ist, dass Arnikas bisher hauptsächlich an ihren natürlichen Standorten geerntet werden. Ihr Vorkommen ist deshalb stetig zurückgegangen. Um die Versorgung zu sichern, hat die landwirtschaftliche Forschungsanstalt Agroscope zusammen mit Phytotherapeutika-Herstellern ein Projekt lanciert, um eine kommerziell anbaubare Arnikasorte zu züchten – basierend unter anderem auf Mutterpflanzen, die von wunderbaren Bergwiesen stammen.

In der wöchentlichen Rubrik «Hauptsache, gesund» werfen die Autorinnen und Autoren einen persönlichen Blick auf Themen aus Medizin, Gesundheit, Ernährung und Fitness. Bereits erschienene Texte finden sich hier.

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