Dienstag, Oktober 1

Die Energiewende verlangt immer mehr erneuerbar produzierten Strom – und eine Kapazitätserweiterung der Übertragungsnetze. Gerade der Ausbau dieser Infrastruktur eröffnet auch an der Börse Chancen.

Um die Erderwärmung innerhalb der Zielmarke einer Erwärmung um 1,5 Grad zu halten, muss massiv in das Angebot erneuerbarer Energien investiert werden. Die Internationale Energieagentur (IEA) schätzt in ihrem jüngsten World Energy Report, den sie im Juni publiziert hat, dass das jährlich neu investierte Volumen sich bis 2030 verdoppeln muss.

Konkret geht es dabei um erneuerbare Energiequellen, den Ausbau der Stromnetze sowie der Speicherkapazitäten in Batterien. Global und in einem Netto-Null-Szenario müssten die Ausgaben dafür von derzeit rund 1150 Mrd. $ auf jährlich mehr als 2000 Mrd. $ steigen.

Diese Perspektive müsste eigentlich die Aktien der Unternehmen befeuern, die Lösungen für Solar- und Windenergie sowie für den Clean-Tech- Bereich insgesamt anbieten. Der Blick auf den S&P Global Clean Energy Index, der solche Werte vereint, zeigt indes ein ernüchterndes Bild.

Seit dem Höchststand von Anfang 2021 hat der S&P Global Clean Energy Index mehr als die Hälfte seines Wertes eingebüsst. Diesen Frühsommer war zwar kurz eine leichte Erholungstendenz ersichtlich. Die Avance ist aber bereits wieder verpufft. Seit Anfang Jahr resultiert derzeit ein Minus von 13%.

Überkapazitäten belasten Clean Tech

Der Grund liegt primär in Überkapazitäten: China hat im Rennen um die globale Vormachtstellung bei Clean Tech durch massive Subventionen einen so grossen Angebotsüberhang geschaffen, dass die Preise global kollabiert sind. Beispielsweise bei Solarpanelen ist die chinesische Fertigungskapazität mehr als doppelt so hoch wie die globale Nachfrage. Dieser Angebotsüberhang erdrückt die Konkurrenz, so dass viele Anbieter ums Überleben kämpfen – nicht zuletzt die hiesige Meyer Burger.

Dessen ungeachtet: Die Nachfrage nach Strom steigt. Die Abnehmer ersetzen Ölheizungen durch Wärmepumpen und laden in der Nacht das Elektroauto auf, statt am Wochenende zur Tankstelle zu fahren.

Dazu kommt, dass künstliche Intelligenz den Strombedarf gegenüber der konventionellen Datenverarbeitung vervielfacht. Dies sowohl für den explodierenden Rechenbedarf, als auch für die Kühlung der Datenzentren. Auch das dürfte eine nachhaltige Stromproduktion vorantreiben, denn die meisten grossen Tech-Konzerne haben sich dazu verpflichtet, auf Ökostrom zu setzen.

Netzausbau muss mitziehen

Der Blick auf die erste Grafik zeigt aber auch: Die Abkehr von fossilen Brennstoffen hin zur Elektrifizierung verlangt nicht nur einen massiven Angebotsausbau im Bereich erneuerbare Energie. Für jeden Dollar, der in den Ausbau der Produktionskapazität investiert wird, braucht es auch noch zusätzlich rund 0.70 $ an Investitionen in das Stromnetz. Unter anderem um die meist dezentral errichteten Neuanlagen ans Übertragungsnetz anzuschliessen sowie die Feinverteilung für die Endabnehmer zu gewährleisten.

Der offensichtliche Profiteur davon ist Kupfer, das für den Ausbau der Stromnetze in enormer und zunehmender Menge benötigt wird.

Aus Investitionsperspektive zählen damit die Minengesellschaften, die das leitfähige Halbmetall fördern, zu den Profiteuren der Energiewende – ebenso ihre Aktionäre.

Der Global X Copper Miners ETF beispielsweise, der auf die grössten Kupferförderer setzt, hat seit Jahresbeginn fast 30% an Wert zugelegt.

Was sowohl den Aktien der meisten Clean-Tech-Anbietern als auch derjenigen der Rohstoffproduzenten gemeinsam ist, ist ihre grosse Schwankungsanfälligkeit: Herrscht gute Börsenstimmung, preschen die Titel vor. Entstehen subventionsbedingte Marktungleichgewichte oder verändert sich – beispielsweise mit einem Präsidentenwechsel in den USA – das Investitionsregime für erneuerbare Energien, drohen Kursrückschläge.

Minengesellschaften sind zudem oft breit diversifiziert. Die durch die Energiewende ausgelöste zusätzliche Nachfrage nach Industriemetallen hilft ihren Aktien derzeit. Doch ein drohender Konjunkturrückgang würde sie ebenso auf breiter Front belasten.

Fokus auf die Stromnetze

Die für die Energiewende notwendigen Investitionen in die Stromnetze rücken weitere Profiteure der Elektrifizierung in den Fokus: die Versorger und die Ausrüster der Netzbetreiber. Bei diesen Aktien dominiert das Thema Infrastrukturinvestitionen.

Investitionen in die Infrastruktur zeichnen sich durch ihren langfristigen Anlagehorizont aus. Die Wahrscheinlichkeit ist gering, dass Stromleitungen obsolet oder durch andere Technologien abgelöst werden. Zudem bietet sich ein gewisser Inflationsschutz, weil die Tarife oft an die Teuerung gekoppelt sind. Zusammengenommen ermöglicht das den Netzanbietern stabile und vorhersehbare Cashflows.

Was Netzbetreiber ausserdem auszeichnet, ist ihr monopolähnliches Geschäftsumfeld. Das schützt sie einerseits vor Konkurrenz, anderseits sind sie staatlicher Regulierung ausgesetzt, weil sie den Stromkunden nur administrierte Preise belasten dürfen.

Klimaziele geben Pfad vor

Derzeit ist die Nähe zum Staat positiv: Basierend auf dem European Green Deal sowie mit REPowerEU und Fit-For-55 versucht die EU, sowohl klimafreundlicher als auch unabhängiger von fossilen Energieimporten zu werden.

Bis 2030 soll sich der Anteil von erneuerbar produziertem Strom von derzeit gut 20% auf mehr als 40% verdoppeln. Die IEA erwartet ausserdem, dass bis 2050 der Stromanteil am europäischen Energiemix von derzeit knapp 25% auf 50% steigen wird. Zusammengenommen verspricht das ein enormes Wachstum.

Mit diesem Ausbau muss auch das Verteilnetz mithalten. Erschwerend kommt hinzu, dass gemäss der Bank of America gegen 30% des europäischen Stromnetzes mehr als 40 Jahre alt ist. Das eröffnet einen grossen Modernisierungsbedarf.

Einen zusätzlichen Netzausbau braucht es, weil sich erneuerbare Energiequellen meist an anderen Orten befinden als die derzeit bestehenden und vielfach auch nicht dort, wo der Strom verbraucht wird: Britische Windkraft kommt aus der Nordsee, italienische Solarparks stehen im Süden des Landes, während das industrielle Zentrum im Norden liegt. Ähnlich sieht die Lage in Spanien aus.

Das erfordert nicht nur neue Anschlüsse zur Einspeisung des Stroms in die bestehenden Netze, sondern verlangt auch einen Ausbau der länger werdenden Übertragungswege zu den Abnehmern.

Warteschlangen für Netzanschluss

Die Analysten von Citi sehen für Europa inklusive Grossbritannien eine Warteschlange für den Netzanschluss von Wind- und Solarparks in Höhe von mehr als 500 Gigawatt.

Um das Manko an Netzkapazität zu begegnen hat die Europäische Kommission einen Aktionsplan beschlossen, mit dem bis 2030 gegen 600 Mrd. € in den Ausbau und die Erneuerung der europäischen Stromnetze investiert werden sollen. Das impliziert gemäss der Bank of America eine jährliche Steigerung der Investitionen um gut 10%, von derzeit rund 60 Mrd. € auf bis 2030 mindesten 100 Mrd. €. Marktanalysten wie beispielsweise der Thinktank Ember erachten das allerdings bei weitem als zu wenig, um die gesetzten Klimaziele zu erreichen.

Wie investieren?

Die Analysten der Bank of America haben das Thema Stromnetz gleich in mehreren Studien unter die Lupe genommen und die regulierten europäischen Versorger analysiert.

Diese gewährleisten als privatrechtliche und in der vorliegenden Auswahl kotierte Versorger die allgemeine Stromversorgung. Zum Ausgleich für ihre wettbewerbsgeschützte Tätigkeit werden die Renditen, die sie erwirtschaften dürfen, jedoch reguliert.

Gemäss den Analysten werden den Versorgern in Norwegen und Italien mit rund 8% die höchsten Renditen auf dem eingesetzten Kapital zugestanden. In Belgien und den Niederlanden sei das Renditepotenzial hingegen wenig attraktiv.

Mit Blick auf die erzielbaren Eigenkapitalrendite sowie individuellen Eigenkapitalkosten kommen die Analysten zum Schluss, dass norwegische, italienische und finnische Versorger für die Aktionäre Mehrwert schaffen können. Enger sei das Korsett in Deutschland und in Frankreich. Viele europäische Versorger sind jedoch in mehreren Ländern aktiv.

Ein Beispiel ist der deutsche Versorger Eon. Er zählt zu den grössten europäischen Netzbetreibern mit regulierten Aktivitäten in Deutschland, Schweden und Osteuropa. Die Analysten der Bank of America empfehlen die Aktien angesichts des Wachstumspotenzials sowie der hohen Renditeziele zum Kauf. Zu beachten ist aber, dass vorerst vor allem hohe Investitionen auf den Konzern zukommen. Den Nutzen daraus wird er erst in einigen Jahren ziehen.

Ebenfalls zum Kauf empfiehlt die Bank of America den britischen Betreiber National Grid. Er unterhält das englische Stromnetz sowie einen Teil der Versorgung im Nordosten der USA, unter anderem in New York.

Als Kaufargument führen die Analysten eine vorteilhafte Regulierung ins Feld, die über Jahre eine gute Visibilität ermögliche. Im Schnitt erwarten sie ein jährliches Gewinnwachstum von 7%.

Strukturell vorteilhaft ist der Ausbau der Stromnetze zudem für Hersteller von Kapitalgütern wie beispielsweise Siemens Energy – auch sie eine Kaufempfehlung der Bank of America.

Das deutsche Unternehmen ist zusammen mit der japanischen Hitachi Weltmarktführer für Übertragungsnetze und Netzanschlüsse auf hoher See. Dieser Bereich dürfte dieses Jahr für rund einen Drittel der konzernweiten Einnahmen von Siemens Energy stehen; zudem boomt das Geschäft mit Neuaufträgen. Für eine gewisse Unsicherheit – aber auch für Chancen – sorgt die Windenergietochter Siemens Gamesa. Sie war in grössere Turbulenzen geraten, und die Perspektive hellt sich nur allmählich wieder auf.

Wie bereits erwähnt zählt Hitachi ebenfalls zu den Profiteuren des Netzausbaus. Dies vor allem seit 2020, als die Japaner von ABB deren ehemalige Division Power Grids übernommen haben. Der Bereich steht nach gutem Wachstum für knapp 20% des heutigen Konzernumsatzes von Hitachi.

Vom Netzausbau sowie deren Modernisierung dürfte der italienische Kabelverleger Prysmian profitieren. Unter anderem führt er Lösungen zur Netzüberwachung im Sortiment.

Messgeräte und intelligente Stromzähler, die zur Steuerung und Stabilisierung der Netze dienen, bietet zudem die Schweizer Landis+Gyr an. Konzernchef Werner Lieberherr sieht das Unternehmen damit im «Sweet Spot der Energiewende». Der Aktienkurs pendelt jedoch seit längerem zwischen Hoffen und Bangen. Seit SEO (Spectrum Entrepreneurial Ownership Fund), ein Investmentfonds von Thomas Schmidheiny beim Unternehmen eingestiegen ist, macht sich aber neue Zuversicht breit.

Wer nicht auf Einzeltitel setzen möchte, kann auch einen entsprechenden ETF wählen: Enthalten sind all diese Aktien – und viele weitere mehr, insbesondere aus den USA – beispielsweise im ETF First Trust Nasdaq Clean Edge Smart Grid Infrastructure Index Fund mit der ISIN IE000J80JTL1 und einer Gesamtkostenquote (TER) von 0,63%. Seit dem Coronatief hat er den Gesamtmarkt deutlich überflügelt.

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