Freitag, Oktober 18

Burkart musste lediglich ein Postulat einreichen, um eine herzhafte Diskussion rund um das vermeintliche Tabuthema Atomenergie auszulösen. Die bürgerliche Mehrheit im Ständerat folgt ihm.

Als im März 2011 am anderen Ende der Welt ein Seebeben einen Tsunami auslöste, der ein Kernkraftwerk schwer beschädigte, rumpelte es auch in der Schweiz. Nur wenige Jahre hatte Doris Leuthard, die damalige Energieministerin, gebraucht, um das Parlament, die Verwaltung sowie die Bevölkerung davon zu überzeugen, nach Fukushima aus der Kernenergie auszusteigen.

Während es damals nicht schnell genug gehen konnte und das Kernkraftwerk in Mühleberg Ende 2019 unter dem Jubel der Atom-Gegner abgeschaltet wurde, sind heute alle heilfroh, dass die Anlagen in Beznau, Gösgen und Leibstadt immer noch am Netz sind. Dass dies auch noch lange und vor allem mit der nötigen Sicherheit so bleibt, darauf insistiert Thierry Burkart.

Rösti wartet noch zu

Am Mittwochvormittag hat der FDP-Präsident im Ständerat deutlich gemacht, dass die Energiestrategie seiner Kantonsgenossin – Burkart kommt wie Leuthard aus dem Atomkanton Aargau – nicht nur auf tönernen Füssen steht. Sie war von Anfang an falsch aufgegleist worden. So steigt der Strombedarf der Schweiz bis 2050 viel mehr als von Leuthard erwartet. Gleichzeitig stockt der Zubau der Erneuerbaren nach wie vor.

Aus dem Solarexpress ist ein Pendelbus geworden. In manchen Gemeinden kommt der Ausbau grossflächiger Solaranlagen in Fahrt, in manchen nicht. Schliesslich wies Burkart darauf hin, dass Leuthards Atomausstiegsstrategie vor allem ein Einstieg in Gaskraftwerke war. Das Reservekraftwerk in Birr (ebenfalls im Aargau) hat den Steuerzahler bereits eine halbe Milliarde Franken gekostet – unabhängig davon, ob das Bundesgericht dessen Bau als illegal kassiert hat oder nicht.

Atomenergie – Burkart musste lediglich ein Postulat einreichen, um eine herzhafte Diskussion rund um das vermeintliche Tabuthema auszulösen. Der Bundesrat soll prüfen und dereinst dann einmal berichten, welche «regulatorischen und finanziellen Rahmenbedingungen» geschaffen werden müssten, um die bestehenden Kernkraftwerke für einen Langzeitbetrieb fit zu machen. Und wie die Betreiber hierfür subventioniert werden können.

Für die Landesregierung ist es sonnenklar, dass sie Burkarts Postulat erfüllen will. «Ich wüsste heute nicht, woher die 6 Terawattstunden kommen sollen, wenn Beznau 2030 nicht weitergeführt werden kann», sagte der Energieminister Albert Rösti. Vom SVP-Magistraten weiss man, dass er die Stilllegung von Mühleberg für einen Fehler hält. Und dass er selbst dem Bau von neuen Kernkraftwerken offen gegenübersteht – wenn auch noch nicht heute und auch nicht morgen, sondern auf die lange Sicht betrachtet.

Zuerst will Rösti mit dem sogenannten Mantelerlass, über den im Juni abgestimmt wird, die Natur- und Landschaftsschützer in die Pflicht nehmen. Das Gesetz ist die Grundlage für den Zubau erneuerbarer Energien. Wenn es vor dem Volk standhält und die Umweltverbände weiterhin jeden Ausbau etwa der Wasserkraft torpedieren sollten, wird die Hürde für die Aufhebung des Verbots für den Bau neuer Kernkraftwerke immer tiefer.

Rösti hat ein sehr feines Sensorium für politisches Timing und Tempo. Deshalb nimmt er auch den Punkt 4 in Burkarts Postulat gerne mit. Dieser verlangt vom Bundesrat, den Neubau von Kernkraftwerken als «ein mögliches Szenario» zu prüfen, falls der Zubau der erneuerbaren Energien bis 2030 zu langsam voranschreitet. Dass der FDP-Präsident und der SVP-Bundesrat hier in die gleiche Richtung marschieren, ist bekannt. Neu ist seit diesem Mittwoch jedoch, dass nun auch die Mitte mitmacht.

Cool, wie finnische Grüne

Mit lediglich einer Enthaltung (der Freiburgerin Isabella Chassot) und einer einzigen Gegenstimme (des Jurassiers Charles Juillard) hat die ständerätliche Mitte-Delegation Punkt 4 zugestimmt. Damit ist der erste, wenn auch kleine Schritt in Richtung Ausstieg aus dem Atomausstieg mehrheitsfähig geworden im Ständerat. Das klare Votum der früheren CVP und Leuthard-Partei wurde nicht nur von drei Rednern – unter ihnen die Aargauer Ständerätin Marianne Binder – untermauert. Das Abstimmungsverhalten der Mitte-Ständeräte ist ein regelrechter Kurswechsel.

Vor ziemlich genau einem Jahr hatte die Mitte-Fraktion eine ähnlich gelagerte Motion der FDP im Nationalrat noch versenkt. So ist es bezeichnend, dass es mit Benedikt Würth ausgerechnet ein (St. Galler) Mitte-Ständerat war, der am Mittwochvormittag, die tobende Linke zu besänftigen versuchte. «Die finnischen Grünen, das wissen Sie vielleicht, haben aus Klimaschutzüberlegungen Ja gesagt zur Kernkraft, sie haben da ein entspannteres Verhältnis.» Im Jahr 13 nach Fukushima wird wieder ganz leger über Atomenergie debattiert – zumindest im bürgerlichen Lager.

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