Freitag, Oktober 4

Nach langer Recherche konnte Bayerns Landesgeheimdienst die Betreiber russischer Fake-Websites ausfindig machen. Er nennt aber auch Medien, die damit nichts zu tun haben.

Der bayrische Verfassungsschutz definiert seine eigenen Aufgaben wie folgt: Er beobachte extremistische Bestrebungen, er wehre Spionageaktivitäten ausländischer Nachrichtendienste ab, und er schütze den Freistaat vor Geheimnisverrat und Sabotage. Doch sein neuster Bericht über Fake-Websites aus Russland, die das Layout deutscher Nachrichtenmedien imitieren, weckt daran jetzt Zweifel.

Neben diesen sogenannten Doppelgänger-Nachrichtenseiten nennt der Landesgeheimdienst auch «Originale», unabhängige deutsche Medien, Blogs und die Website der Parlamentarierin Sevim Dagdelen, die im Bündnis Sahra Wagenknecht aktiv ist. Laut dem Geheimdienst haben diese Websites eines gemeinsam: Sie würden allesamt «Nachrichten passend zum russischen Narrativ verbreiten». Diese Nachrichten nutzten die Betreiber russischer Fake-Websites, «um die Reichweite einzelner Inhalte zu erhöhen».

Das kritisieren Parlamentarier gegenüber der NZZ deutlich. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki hält das Vorgehen der Behörde nicht nur «für unangemessen, sondern für schlicht rechtswidrig». Die Abgeordnete Dagdelen spricht von einem «Angriff auf die Presse- und Meinungsfreiheit».

Die Kritiker argumentieren, dass die Nennung durch den Verfassungsschutz ein schwerwiegender und potenziell rufschädigender Vorgang sei. Eine solche Erwähnung könne dazu führen, dass Interviewpartner absagen und Anzeigenkunden Verträge aufkündigen, weil sie durch die Zusammenarbeit einen Reputationsschaden befürchten. Insbesondere weisen sie darauf hin, dass die russischen Trollfabriken Inhalte dieser Medien ohne deren Kenntnis oder Einverständnis verbreitet haben.

Viele haben von den «Doppelgängern» nichts mitbekommen

Daniel Matissek, der Betreiber des Blogs «Ansage!», teilt der NZZ mit, von einer Weiterverbreitung redaktioneller Inhalte durch «Doppelgänger» sei ihm persönlich «nichts bekannt». Es gebe aber «reale, teilweise in Russland ansässige Propaganda-Websites», die «ungefragt Inhalte übernehmen und sich im Ausland jeder zivil- und strafrechtlichen Verantwortung entziehen».

Auch Philip Grassmann, Chefredaktor des Debattenblatts «Der Freitag», zeigt sich angesichts der Erwähnung seines Mediums im Bericht des bayrischen Landesgeheimdienstes verwundert. «Die Analyse unserer Online-Daten lässt nicht den Schluss zu, dass Online-Artikel von Bots gepusht worden sind», sagt er. «Die Artikel mit Bezug zum Krieg in der Ukraine bewegen sich alle im Rahmen unserer üblichen Klickzahlen.»

Hat das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz die Blogs, Medienhäuser sowie die Bundestagsabgeordnete Dagdelen vorab kontaktiert, um sie auf den mutmasslichen Missbrauch ihrer redaktionellen Inhalte aufmerksam zu machen? Die Betroffenen bestreiten das. Auf Anfrage der NZZ teilt die Behörde mit, sie erteile «grundsätzlich keine Auskunft zu Kontakten mit Dritten».

Jetzt prüfen mehrere Betroffene rechtliche Schritte gegen das Landesamt, sollte es bei der Erwähnung im Bericht bleiben. Dazu gehören die Blogs «Freie Welt», «Nachdenkseiten», «Ansage!» und «Alexander Wallasch», das Rechtsaussen-Medium «Deutschland-Kurier» sowie die rechtskonservative Wochenzeitung «Junge Freiheit».

Dieter Stein, der Chefredaktor der «Jungen Freiheit», nennt derartige behördliche «Verdachtsäusserungen» einen «Eingriff in die grundgesetzlich garantierte Presse- und Meinungsfreiheit». Es gehöre nicht zum Aufgabenfeld des Landesamtes für Verfassungsschutz, «derartige rufschädigenden Bewertungen über unabhängige Medien abzugeben, die weder die Frage des Extremismus noch ausländische Spionage betreffen», sagt er auf Anfrage der NZZ.

Seine Redaktion werde «den Verfassungsschutz schriftlich zum Löschen der Hinweise über die Junge Freiheit auffordern und bei Nichtbefolgung juristische Schritte einleiten», so Stein weiter. Die «Junge Freiheit» klagte bereits im Jahr 2005 gegen ein Landesverfassungsschutzamt. Damals hatte die nordrhein-westfälische Landesbehörde die «Junge Freiheit» als rechtsextremistisch eingestuft. Sie musste anschliessend diese Einstufung zurücknehmen.

Wolfgang Kubicki: Rechtsstaat verteilt keine Gütesiegel

Die «Berliner Zeitung» erwägt dagegen keine rechtlichen Schritte, wie der Chefredaktor Tomasz Kurianowicz mitteilt. Die Redaktion nehme derzeit Kontakt zur Landesbehörde auf und erwarte, dass sie in Zukunft frühzeitig «über derartigen Missbrauch» redaktioneller Inhalte informiere. Unterstellungen über die inhaltliche Ausrichtung des Blatts will er der Analyse nicht entnommen haben.

Die BSW-Abgeordnete Dagdelen sieht das anders. Laut ihr geht es dem bayrischen Verfassungsschutz darum, «jeden, der sich für einen Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine und für Friedensverhandlungen einsetzt, einer Zusammenarbeit mit Russland zu verdächtigen». Sie meint: «Wer die Grundrechte verteidigen will, muss leider inzwischen die Verfassung vor dem Verfassungsschutz schützen.»

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki kritisiert das Vorgehen des bayrischen Verfassungsschutzes mit scharfen Worten. Es sei nicht dessen Aufgabe, «mediale Inhalte daraufhin abzuklopfen, ob sie ins russische Narrativ passen», sagt er der NZZ. Zumal das «russische Narrativ» in der Bundesrepublik ohnehin «unter dem breiten Schirm der Meinungsfreiheit» stehe.

Mit der behördlichen «Einordnung» werde der Eindruck erweckt, «die Inhalte der genannten Websites seien – obgleich nicht verboten – schädlich für die Menschen im Land». Das ginge in einem Rechtsstaat «natürlich nicht», denn «dieser verteilt keine Gütesiegel für gute und schlechte Meinungen. Und daher haben sich auch die Behörden im Rechtsstaat daran zu halten.»

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