Die Stadt rühmt sich als Arbeitgeberin über die Pensionierung hinaus. Aber das Angebot gilt nicht für alle.

59 Jahre alt musste Hugo Portmann werden, um eine solide Arbeit ausserhalb der Gefängnismauern zu finden. Das war 2018. Der Bankräuber, Fremdenlegionär und Serienausbrecher hatte da mehr als die Hälfte seines Lebens hinter Gittern verbracht.

Dann kam er frei. Und wurde Müllmann bei der Stadt Zürich. Stadtrat Filippo Leutenegger (FDP) stellte ihn an. Portmann ist ihm heute noch dankbar. Er sagt: «Wer erhält schon nach 35 Jahren die Chance, ein neues Leben zu beginnen?»

Nun aber soll Portmann in den Ruhestand – wider Willen. Und dies, obwohl die Beschäftigung über die Pensionierung hinaus eigentlich allen Mitarbeitenden der Stadt offensteht.

Portmann sagt: «Ich fühle mich wie ein Züri-Sack, der entsorgt wird.»

Verbittert wirkt er dabei keineswegs. Er ist eher der Typ glücklicher Krieger: kräftige Statur, gutes Schuhwerk, grauer Dreitagebart und ein angriffslustiges Funkeln in den Augen. Er sagt: «Ich bin ein Mensch, der mit geradem Rücken durchs Leben läuft.»

Ein Schneehaufen und ein netter Direktor

Portmann ist das Kämpfen gewohnt. Im Strafvollzug weigerte er sich viele Jahre lang strikt, sich einer Therapie zu unterziehen, trotz Aussicht auf frühzeitige Entlassung. Er fand, er sei nicht krank, und sah sich bestätigt, als ein Gutachten 2017 festhielt, dass «keine behandlungsbedürftige psychische Störung vorliegt, die sich mit seinen Delikten verbinden lässt».

Portmann wird 1959 als uneheliches Kind im Kanton Zürich geboren. Er verbringt seine Kindheit in Heimen. Die später diagnostizierte Legasthenie wird als Rückständigkeit gedeutet. Er erhält nur eine rudimentäre Schulbildung, schlägt sich als Hilfsgärtner und Stapelfahrer durch.

Als er sich zwanzigjährig einen alten Bus anschaffen will, nimmt er einen Kleinkredit auf und lässt das Geld im Tresor seines Arbeitgebers einschliessen. Sein Vormund erfährt dies und erwirkt, dass man Portmann das Geld nicht mehr aushändigt. Portmann rast daraufhin am helllichten Tag mit dem Gabelstapler ins Büro seines Chefs, reisst den Tresor aus der Wand und sprengt ihn mit einer Gasflasche. Danach flieht er nach Frankreich und geht zur Fremdenlegion.

Als er in die Schweiz zurückkehrt, macht er weiter mit seiner kriminellen Karriere. Er raubt in den folgenden Jahren Banken aus und schiesst auf Polizisten. Einmal nimmt er die Familie eines Bankdirektors als Geiseln, eine Tat, die er als seinen grössten Fehler bezeichnet.

Doch lange bleibt er nie in Freiheit. Zwischen 1983 und 2018 sitzt er im Gefängnis, unterbrochen durch spektakuläre Gefängnisausbrüche. Er schippt Schnee zu einer Rampe und springt über die vier Meter hohe Mauer. Oder er überredet einen Gefängnisdirektor, ihn an einem Gebirgslauf teilnehmen zu lassen – und läuft nach dem Zieleinlauf einfach weiter.

Portmann wird jeweils schnell geschnappt. Beim letzten Ausbruch kreisen ihn hundert Polizisten ein. Er wird verwahrt und sitzt von 1999 bis 2017 ununterbrochen im Gefängnis Pöschwies ein.

Portmann sagt heute: «Die Strafen, die ich bekommen habe, habe ich verdient. Aber ich habe auch gegen Ungerechtigkeit gekämpft und gewonnen.»

Um Gerechtigkeit geht es Portmann auch jetzt wieder. Ausgerechnet den vielen einfachen Arbeiterinnen und Arbeitern verwehre die Stadt ein flexibles Rentenalter, entgegen den eigenen vollmundigen Ankündigungen, sagt er.

Tatsächlich klingt es salbungsvoll, als die Stadt 2021 verkündet, sie habe die Pensionierung ihrer Angestellten neu geregelt. Von «generationenübergreifender Zusammenarbeit» ist da die Rede und vom «Beitrag zur Gesundheit von älteren Mitarbeitenden».

Erstens werden Frühpensionierungen und Pensenreduktionen vereinfacht. Zweitens besteht die Möglichkeit, mindestens ein Jahr über die Pensionierung hinaus zu arbeiten.

Hugo Portmann erfährt von dieser Möglichkeit. Seine Pensionierung steht im November dieses Jahres an. Also stellt er im Februar 2024 ein Gesuch.

Sein direkter Vorgesetzter unterstützt den Antrag. Im Gesuch heisst es: «Aufgrund seiner guten körperlichen Verfassung ist er immer noch in der Lage, seine anspruchsvolle Arbeit als Betriebsarbeiter sehr gut zu bewältigen. Seit seiner Einstellung im Oktober 2018 war er noch kein einziges Mal krankheitsbedingt abwesend.»

Portmann wohnt in Zürich Seebach in einer Einzimmerwohnung und schläft auf einer Campingmatte, wie er das seit seiner Zeit in der Fremdenlegion tut. Vor fast jeder Schicht geht er für zwei Stunden ins Fitnesscenter, morgens um halb vier. Einmal pro Woche umrundet er mit seinem alten Militärvelo, Jahrgang 1933, den Zürichsee.

Portmann ist also fit. Und die Arbeit als Müllmann bedeutet ihm «alles», wie er sagt.

Auf dem Wagen werde eine gute Kameradschaft gepflegt, und vor allem bei der älteren Bevölkerung spüre er Dankbarkeit. Der Müllgeruch störe ihn kaum. Ohnehin steht er meist seitlich auf dem Trittbrett und halte nach dem nächsten Container Ausschau.

Die Arbeit bringt Portmann aber auch deutlich mehr ein als seine zukünftige Altersrente. Diese ist nicht allzu üppig. Nach der Pensionierung wird er auf Ergänzungsleistungen angewiesen sein. «Da ist es doch für alle besser, wenn ich noch ein bis zwei Jahre weiterarbeite», sagt er.

Doch bei der Stadt stösst sein Begehren auf taube Ohren. Über die Pensionierung hinaus könne nur arbeiten, wer über Spezialwissen verfüge. Voraussetzung sei zudem, dass eine Stelle schwierig wiederzubesetzen sei.

Zudem hat die Stadt «gegenseitiges Einvernehmen» als Bedingung für eine Weiterbeschäftigung definiert. Einklagen kann Portmann diese nicht.

Der Brief an Simone Brander als bewusste Provokation

Dennoch verlangt er nach einem schriftlichen Entscheid, den er anfechten kann. Eine Lektion, die er bei seinem Kampf um seine Freilassung aus der Verwahrung gelernt hat.

Und als er nicht weiterkommt, provoziert er ganz bewusst, mit einem Eintrag im Netzwerk Linkedin und einem Brief an seine oberste Chefin, Stadträtin Simone Brander (SP). Portmann wird von einem Vorgesetzten zum Gespräch zitiert und «zusammengestaucht», wie er sagt.

Doch er gibt nicht klein bei. Unumwunden sagt er gemäss dem Gesprächsprotokoll, das der NZZ vorliegt, zum Vorgesetzten: «Es ist eine Diskriminierung, dass einfache Arbeiter nicht weiterarbeiten dürfen.» Und: «Ich fühle mich verarscht von ERZ.»

Weshalb gibt die Stadt einem willigen Mitarbeiter keine Möglichkeit zur Weiterbeschäftigung?

Die Stadt schreibt dazu auf Anfrage: «Prinzipiell ist das Angebot für alle Berufsgruppen gültig und unabhängig von der Qualifizierung.» Voraussetzung sei aber «betrieblicher Bedarf» wie die Überbrückung von Personalengpässen oder zur Weitergabe von betrieblichem Know-how.

Laut Angaben der Stadt gibt es bei Müllmännern keinerlei Rekrutierungsprobleme. Und durch die Pensionierung eines Mitarbeiters «erhalten Mütter, Väter, Alleinerziehende, Berufs- und Wiedereinsteiger*innen eine Chance auf einen sicheren und attraktiven Arbeitsplatz».

Portmann bleibt bei seiner Kritik: In Tat und Wahrheit hätten die einfachen Leute kaum Chancen auf Weiterbeschäftigung – die «orangen Schattengeister», wie sie Portmann nennt, die bei Wind und Wetter draussen seien und mit ihrer Reinigungsarbeit Zürich erst lebenswert machten.

Portmann hofft, dass die Stadt ihr Reglement doch noch überprüft. Für sich selbst glaubt er nicht mehr an eine Einigung. Er hat sich bei der Firma Spross beworben, einem privaten Gartenbau- und Recyclingunternehmen.

Vom Leben als einfacher Arbeiter hat er noch nicht genug.

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