Freitag, Oktober 18

Unter den Drei-Sterne-Restaurants in Paris ist jenes mit den drei Buchstaben im Namen eines der neuesten. Das «Kei» beeindruckt mit einer japanisch inspirierten Küche, viel Purismus und einer alles andere als selbstverständlichen Eleganz.

Kei Kobayashi ist einer der Newcomer der französischen Drei-Sterne-Szene – aber wer meint, dass die Neuen besonders laut aufspielen und auf die Pauke hauen müssen, um sich Gehör zu verschaffen, der täuscht sich zumindest in diesem Falle. Das Restaurant agiert mit purem Understatement.

Selbiges beginnt schon aussen. Ich wäre fast vorbeigelaufen, denn auch auf den zweiten Blick erinnert hier, zentral im ersten Pariser Arrondissement, nichts an eine der feinsten Adressen der Stadt. Die Fassade unscheinbar, das Namensschild extrem dezent. Nur weil schon zwei Gäste und ein Mitarbeiter vor der Tür standen, als ich ankam, hielt ich dann doch an und trat ein.

Japanisch-französische Zurückhaltung

Der Patron und Küchenchef Kobayashi wurde in Japan geboren, widmete sich aber schon früh in seinem Leben der französischen Küche, die in Japan grosse Anerkennung geniesst. Umgekehrt ist das übrigens, zumindest teilweise, auch so. Einflüsse des japanischen Purismus finden sich in so manchem Menu der Grande Nation, und eine ganze Menge japanischstämmige Köche haben in Frankreich eigene Restaurants eröffnet – in erster Linie in Paris und Lyon.

Die drei Sterne indes hat bislang nur Kobayashi ergattern können – im Jahr 2020. Er bekam sie für ein Restaurant, das erstaunlich klein wirkt. Der vielköpfige Service muss sich Mühe geben, um nicht zu kollidieren, denn es geht nicht nur hell und elegant, sondern auch vergleichsweise eng zu. Sehr angenehm sass ich trotzdem, der Sommelier war herzlich, der Maître erklärte ausführlich, aber nicht penetrant das, was auf dem Teller zu finden war.

Säure, Frische und Umami-Noten zum Anfangen

Es kamen als Amuse-Bouches Tarte mit Sardellen, ein recht süsses, aber frisches und animierendes Sorbet von rotem Shiso, eine Kombination aus Erdnüssen, Gurke, Sesam und Miso sowie Gougère mit Parmesan. Da ging es vermutlich darum, den Gast mit einer möglichst breiten Auswahl an Geschmacksrichtungen zu konfrontieren – und das funktionierte sehr gut, denn alles wirkte zwar nicht spektakulär, war aber auf den Punkt gewürzt und kombiniert.

Auch die Wahl zwischen den beiden Menus war schnell getroffen: Sie unterscheiden sich nicht in der Länge, nur in den Produkten. Das teurere (450 Euro) umfasst eine zweite Portion Kaviar sowie Wagyu, das günstigere zu 380 Euro muss mit spanischem Rind und einer einzigen Dosis Störeier auskommen. Von Dienstag bis Donnerstag gibt es zusätzlich noch eine Einsteiger-Speisefolge zu 280 Euro; mittags ist es sogar noch etwas günstiger. Man kann zwar noch etwas günstiger essen in der Pariser Drei-Sterne-Szene, muss aber meistens deutlich mehr ausgeben.

Mit Frische geht es weiter, mit Schaum auch

Kei Kobayashi hielt an diesem Abend den einmal eingeschlagenen Stil konsequent durch. Auster mit Kresse, Kresseblüten, Kaviar und einem Sorbet, das Süsse und Säure integrierte, war ein sehr präzise gearbeiteter Gang mit grandiosen Produkten. Das Sorbet fand ich eine Spur zu plakativ, aber das war nun wirklich eher Geschmacks- als Kritiksache.

Ein Hauch von Süsse war auch im nächsten Gang zu finden. Ein Teller mit viel Schaum, unter dem sich Kobayashis Interpretation des Salates verbarg. Rucola, Mayonnaise, Lachswürfel, Crumble von schwarzen Oliven . . . Da war wieder Säure zu spüren, da wurden auch Crunch, Frische und Cremigkeit integriert – ein faszinierendes Ergebnis, das sehr davon profitierte, wenn man alles vermischte und mit dem Löffel in die Tiefe des Tellers vordrang.

Fisch und Krustentier: Perfektion auf dem Teller

Die nächsten zwei Gänge hielten den gesetzten Standard. Bar de Ligne, Pesto, Zitrone und Schwertmuscheln sortierten sich in einem bezüglich Produktqualität wie Kombination grandiosen Gang. Da war wieder Frische zu spüren, welche den ohnehin schon tollen Fisch weiter aufwertete. Schottischer Kaisergranat, über Binchotan-Kohle geräuchert, mit Pilzen der Sorten Enokin und Shiitake kombiniert, mit einer dichten Sauce verbunden, war ebenfalls unschlagbar puristisch und komplex.

Statt Wagyu kam, weil ich den Aufpreis von 70 Euro für selbiges Fleisch und Kaviar vermieden hatte, galizisches Entrecôte. Ein perfekt gereiftes Stück Fleisch mit Salat. Aber was für Fleisch und was für Salat! Die beiden Stücke waren natürlich von ganz anderer Textur, als es Wagyu gewesen wäre, aber ehrlich gesagt: Die feste, ganz leicht in Richtung Schinken tendierende Struktur dieses Fleisches ist für mich dem eher fetten, weichen Wagyu meist ebenbürtig oder sogar überlegen.

Purismus als Dessert und eine Frage zum Abschluss

Als Dessert kam eine filigrane Meringue-Kugel mit Cassisfüllung, unglaublich fein, fruchtig und intensiv. Aber doch ein bisschen allzu eindimensional, um sich ganz an der Spitze der je von mir verkosteten Desserts einzureihen. Die süssen Happen danach waren aber wieder typisch «Kei»: unglaublich fein und elegant, unspektakulär, aber sehr überzeugend.

Zum Schluss blieb bei diesem überzeugenden Drei-Sterne-Erlebnis nur die Frage, warum der Chef nicht die Runde durchs Restaurant machte. Gewiss, das ist mitnichten Standard in der französischen Topgastronomie, aber es macht mir immer Spass, mich zumindest für einen Moment mit dem Ideengeber auszutauschen. Sehr empfehlen kann ich den Besuch im «Kei» trotzdem: mittags, abends, unter der Woche oder am Wochenende.

Auf einen Blick

Adresse

Restaurant Kei, 5, rue du Coq Héron, F-75001 Paris

Preise

Das Abendmenu kostet ab 280 Euro, am Wochenende ab 380 Euro

Bewertung durch den Gastrokritiker*

Küche: 9,5/10, Gastkultur: 9,5/10

* Anmerkung: Die Bewertungen orientieren sich an der denkbaren Höchstnote von 10 Punkten. Die Note für die Küche betrifft ausschliesslich die Qualität der Speisen, jene für Gastkultur umfasst sämtliche übrigen Aspekte eines Restaurantbesuchs.

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