Marko Papic, Chefstratege von BCA Research, warnt, dass steigende Zinsen die Rally an den Börsen abwürgen könnten. Präsident Trump werde sich auf seine Mandate besinnen, und ein Handelskrieg sei kein zwingendes Szenario.
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Die Wahl von Donald Trump zum 47. Präsidenten der USA hat die Finanzmärkte elektrisiert. Der S&P 500 ist auf ein Allzeithoch von 6000 gestiegen, der Dollar notiert auf dem höchsten Stand seit mehr als zwölf Monaten, die Renditen von US-Staatsanleihen sind gestiegen. Der Trump Trade läuft.
Marko Papic ist der Meinung, dass es sich dabei um eine Reflexreaktion handelt, der bald die Luft ausgehen könnte. Der Chefstratege der Research-Boutique BCA hält es für falsch, wenn Investoren dem Drehbuch von 2016 folgen, als Trump erstmals gewählt wurde. Der Präsident könne es sich nicht erlauben, die Inflation abermals anzuheizen.
Im Interview mit The Market sagt Papic, was Investoren von der zweiten Trump-Regierung erwarten können und worauf sie jetzt setzen sollen.
Herr Papic, der Wahlsieg von Donald Trump hat die Finanzmärkte elektrisiert. Der US-Aktienmarkt ist kräftig gestiegen, der Dollar ebenfalls, Staatsanleihen haben Verluste erlitten. Wie geht es jetzt weiter?
Das hängt von der Entwicklung der Bondrenditen ab. Seit der Wahl sind erst wenige Handelstage vergangen, und die Rendite zehnjähriger Treasury Notes bewegt sich derzeit um 4,4%. In der Zeit seit Mitte September sind die Zinsen sehr schnell von 3,6 auf 4,3% gestiegen. Wenn die Bondrenditen weiter steigen, während die Trump-Regierung Gestalt annimmt, wird es für die Börsen ungemütlich.
Ab welchem Zinsniveau wird es gefährlich?
Das ist schwer zu sagen, aber ich denke, wenn die Rendite zehnjähriger Treasuries auf über 4,7 oder 4,8% steigt, kommen wir auf schwieriges Terrain. Mit Blick auf 2025 besteht die Sorge, dass Präsident Trump eine unvernünftige Fiskalpolitik betreiben und die Staatsverschuldung ausweiten wird, dass seine Politik inflationär wirken wird und dass das Fed seinen Zinssenkungszyklus abbrechen muss. Zudem stellt sich die Frage, ob die Wirtschaft diesen Zinsanstieg verkraften kann. Die Hypothekarzinsen sind bereits kräftig gestiegen. Ich mache mir Sorgen um die kleinen und mittelgrossen Unternehmen, da sie im kommenden Jahr ein erhebliches Schuldenvolumen refinanzieren müssen. Die Rally, die wir seit der Wahl in den Small-Cap-Aktien gesehen haben, ist meiner Meinung nach eine Falle.
Was sollen Anleger jetzt tun?
Wenn Sie Ihre Zeit gerne mit kurzfristigen Trades verbringen, dann können Sie diese Rally jagen. Momentum ist König. Aber behalten Sie die Bondrenditen im Auge. Wenn Sie hingegen ein langfristig denkender Investor sind, dann sollten Sie sich überlegen, was als Nächstes kommt. Der US-Aktienmarkt ist hoch bewertet. Er preist alle positiven Aspekte einer Trump-Präsidentschaft ein, aber keinen der negativen.
Die Börsen gehen davon aus, dass Trump für Wachstum und Steuersenkungen stehen wird; alles Dinge, die Aktien mögen.
Ja, und das sind alles Dinge, die Bonds nicht mögen. Und das ist ein Problem, denn wir leben in einer Welt, in der Anleihen und Aktien positiv korreliert sind. Die jüngsten Kursverluste in Bonds und die gleichzeitige Rally am Aktienmarkt weichen von einer klaren Korrelation ab, die in den letzten zwei Jahren zu beobachten war. Warum ist das wichtig? Weil die Welt, in der Bonds und Aktien positiv korreliert sind, in der Regel die Welt ist, in der latent Inflationsdruck herrscht. Wenn die Bondrenditen zu stark steigen, geraten die Aktienkurse ins Rutschen. Das ist die Welt, in der wir uns seit mehr als zwei Jahren befinden, und ich glaube nicht, dass wir in Bezug auf die Inflation bereits über den Berg sind, besonders wenn Trump einige seiner Vorschläge umsetzen würde.
Wird er das?
Ich glaube, der Bondmarkt wird den Präsidenten disziplinieren. Er wird Trump zwingen, seine Vorschläge zu ändern und sie der Realität anzupassen. Vieles von dem, was er im Wahlkampf präsentiert hat, wäre inflationär und würde der Wirtschaft bloss einen unnötigen Zuckerrausch verleihen. Das ist ein fundamentaler Unterschied zu der Zeit, als Trump zum ersten Mal gewählt wurde. Damals waren die Bondrenditen kein Hemmnis. Sie stiegen Ende 2016 und 2017 zwar an, aber sie starteten von einem sehr tiefen Niveau. Als Trump seine erste Amtszeit antrat, war das Wirtschaftswachstum anämisch, Inflation war kein Thema. Die Märkte begrüssten seine wachstumsfördernde Politik, die Wähler wollten sie. Aber ist es heute wirklich sein Auftrag, der Wirtschaft einen weiteren Zuckerrausch zu bescheren? Besteht sein Mandat darin, die Steuern zu senken? Das denke ich nicht.
Was ist denn sein Mandat?
Meiner Meinung nach beruht das Mandat, das er durch den Sieg der Stimmenmehrheit erhalten hat, auf zwei Themen: Erstens, keine illegale Einwanderung mehr, die Grenzen sichern, illegale Immigranten abschieben. Das zweite Mandat ist die Eindämmung der Inflation. Die Inflationsraten gehen derzeit zwar zurück, aber der Anstieg des Preisniveaus in den letzten vier Jahren schmerzt immer noch viele Amerikaner. Das sind seine beiden Mandate. Ironischerweise sind beide kurzfristig nicht gut für das Wachstum. Wenn er Einwanderung und Inflation eindämmen will, werden wir weniger Wachstum sehen. Darüber hinaus will er deregulieren und Arbeitsplätze in der Regierung abbauen, was ebenfalls das Wachstum dämpfen wird. Diese Art von Reformen wird in einigen Jahren zu qualitativ besserem Wachstum führen, aber kurzfristig wirken sie wie bittere Medizin.
Und Sie sagen, steigende Bondrenditen werden Trump zwingen, von seinen inflationären Vorschlägen abzurücken und sich auf diese beiden Mandate zu besinnen?
Ja. Der Bondmarkt wird Trump dazu veranlassen, sich einer angebotsorientierten Reformpolitik zuzuwenden. Ich denke, seine Wirtschaftsberater, etwa Scott Bessent, Howard Lutnick oder Elon Musk, befürworten das. Insgeheim brennen diese Leute wohl darauf, Amerika von seiner verschwenderischen Fiskalpolitik zu befreien.
Nehmen wir an, dieses Szenario tritt ein und Trump wird sich auf fiskalische Zurückhaltung konzentrieren: Warum sollte das den Finanzmärkten nicht gefallen? Schliesslich ist es ziemlich klar, dass die derzeitige Fiskalpolitik nicht nachhaltig ist.
Lassen Sie uns zunächst die Reihenfolge der Ereignisse festlegen. Bevor Trump umschwenkt, müssen zuerst die Zinsen am Bondmarkt kräftig steigen. Diese Entwicklung kann für die Aktienmärkte unangenehm werden. Aber nehmen wir an, dass er dann tatsächlich zu fiskalischer Zurückhaltung und Deregulierung übergeht: Langfristig wird diese Politik gesund sein. Kurzfristig jedoch, in den nächsten zwei Jahren oder so, würde das Wirtschaftswachstum der USA schwach ausfallen. Indem er sein Mandat erfüllt, müsste Trump die beiden Säulen des Wachstums angehen, die Amerikas Wirtschaft in den vergangenen Jahren so einzigartig stark gemacht hatten: Die unkontrollierte Einwanderung und besonders die Verschwendung von Steuergeldern haben sich immens positiv auf das Wachstum ausgewirkt. Für mich ist klar, dass die USA in den vergangenen vier Jahren vor allem wegen der fiskalpolitischen Freigiebigkeit besser abgeschnitten haben als der Rest der Welt. Wenn Trumps Team von der Aufblähung des Staatsdefizits abrückt, wird das zunächst schmerzhaft sein.
Was bedeutet das Mandat des Präsidenten, die Inflation einzudämmen, für seine Pläne in Bezug auf Importzölle? Diese würden die Inflation für die Konsumenten anheizen. Erwarten Sie, dass er auch hier einen Schwenk vollzieht?
Donald Trump hat im Wahlkampf stets davon gesprochen, dass Unternehmen ihre Produktion in die USA verlagern sollen. Und er hat davon gesprochen, bestimmte Unternehmen ins Visier zu nehmen. Er hat also Zölle für Unternehmen und nicht unbedingt für Länder angekündigt. Und er hat auch gesagt, dass er vielleicht gar keine Zölle erheben müsste, weil die Unternehmen ihr Verhalten anpassen, um Zölle zu vermeiden. Zölle sind für Trump ein Verhandlungsinstrument. Es muss nicht unbedingt zu einem Handelskrieg kommen. Ich rechne jedoch fest damit, dass Präsident Trump seinen Wirtschafts- und Handelsteams zunächst freie Hand geben wird, um Zölle zu erheben. Das ist der Weg, um die Handelspartner dazu zu bringen, Trump ernst zu nehmen und mit Verhandlungen zu beginnen.
Er nutzt die Zölle, um Unternehmen dazu zu bringen, Produktion in die USA zu verlagern?
Ja, er will qualitativ hochwertige Industriejobs in den Swing States, die ihn gewählt haben. Und er will einen faireren Handel. Besonders China hat jahrelang unfaire Handelspraktiken angewandt, das ist dokumentiert. Das Abkommen, das er 2019 mit China ausgehandelt hatte, wurde als ‹Phase eins› bezeichnet, weil darauf eine zweite und dritte Phase hätte folgen sollen. Es gibt viele Dinge, die China tun könnte, um bei der Wiederherstellung des Gleichgewichts im Handel zu helfen. Ich denke, dass zu viele Beobachter eine Wiederholung von Trumps erster Amtszeit und damit neue Handelskriege erwarten. Aber ich sehe nicht wirklich Anzeichen dafür, dass die Wähler das wollen. 2024 ist nicht 2016. Handelspolitik und Globalisierung waren nicht die Themen, die die Wähler bei dieser Wahl interessiert haben. Die Wähler haben Trump nicht gewählt, damit er einen massiven Handelskrieg beginnt – vor allem, weil Zölle bloss das Preisniveau erhöhen würden. Trump weiss das, denn er ist sehr talentiert darin, die Wünsche des Durchschnittswählers zu erkennen. Daher denke ich, dass er Zölle als Druckmittel verwenden wird. Er wird verlangen, dass China mehr amerikanische Waren kauft, und er wird verlangen, dass chinesische Unternehmen ihre Elektrofahrzeuge und Solarpanels in den USA bauen.
Er würde sich also an den 1980er-Jahren orientieren, als Ronald Reagan die japanischen Autohersteller zwang, in Amerika zu produzieren?
Genau. Das sage ich auch meinen Kunden. Normalerweise wird mir dann entgegengehalten, es sei gefährlich, die Chinesen in den USA Fabriken bauen zu lassen. Chinesische Fabriken könnten für Spionagezwecke genutzt werden. Das ist eine sehr naive Sicht auf die Funktionsweise der Welt. Gibt es eine bessere Möglichkeit, ein geopolitisches Damoklesschwert über Pekings Kopf zu halten, als Milliarden von Dollar an Anlageinvestitionen als Geisel auf dem eigenen Boden zu haben? China sucht weltweit verzweifelt nach Konsumnachfrage. Die Botschaft von Trump ist klar: Wenn Chinas Unternehmen etwas von dieser riesigen amerikanischen Konsumnachfrage haben wollen, müssen sie ihre Produktion in die USA verlagern. Und nicht nur das: Wenn chinesische Unternehmen ihre Elektroautos in Amerika verkaufen wollen, müssen sie sie nicht nur im Land produzieren, sondern auch Joint Ventures samt Technologietransfer mit amerikanischen Unternehmen eingehen. So wie Peking die westlichen Hersteller gezwungen hat, dasselbe in China zu tun. Auf diese Weise können China und Amerika zu einem neuen Gleichgewicht finden.
Wird Peking da mitspielen?
Sicher. China würde eine Lösung aus den Achtzigerjahren lieben. Sie bauen eine Reihe von Produktionsstätten in den USA, aber das erlaubt ihnen, ihre eigenen Lieferketten zu retten. Sie verlagern einen Teil der Endproduktion, aber alles andere bleibt in China.
Wir begannen unser Gespräch mit der Feststellung, dass nach den Wahlen die Aktienkurse, der Dollar und die Bondrenditen gestiegen sind. Wird diesen Bewegungen bald die Luft ausgehen?
Ja, ich sehe das als Reflexreaktion, weil die Anleger denken, die Dinge werden gleich ablaufen wie nach Trumps erstem Wahlsieg im November 2016.
Was kommt nach dieser Reflexphase?
Das Wichtigste ist zunächst, die Bondrenditen im Auge zu behalten. Schiessen sie in die Höhe, können sie die beschriebene Abkehr von fiskalpolitischer Verschwendungssucht bewirken. Keine irrsinnigen Defizite mehr. Das wird dazu führen, dass das Wirtschaftswachstum in den nächsten Jahren enttäuscht. Die Bondrenditen werden dann sinken, und der Dollar wird fallen. Was Aktien angeht, so sollten Sie eher ausserhalb der USA investiert sein. Die nächsten zwei Jahre könnten für Aktienmärkte im Rest der Welt besser aussehen als für die USA.
Chinas Wirtschaft kommt derweil nicht in Schwung. Die Regierung enttäuscht die Märkte, indem sie grosse Stützungsmassnahmen ankündigt, aber dann zu wenig umsetzt. Was ist Ihre Meinung?
Die Parteiführung hat an der Sitzung des Politbüros Ende September eine ‹Whatever it takes›-Wende vollzogen. Generalsekretär Xi Jinping will, dass die Wirtschaft stabilisiert wird, koste es, was es wolle. Aber erinnern Sie sich an Mario Draghis ursprüngliche ‹Whatever it takes›-Rede im Juli 2012: Sie wird heute als der entscheidende Moment angesehen, an dem die Eurokrise endete. Aber wurde das damals auch so erkannt? Waren Sie persönlich Ende Juli 2012 davon überzeugt, dass die Krise überwunden ist? Die meisten Beobachter waren es nicht. Es wurde erst im Rückblick klar. Nach Draghis Rede haben die EU-Politiker weiterhin Monat für Monat ihre Gipfeltreffen vermasselt und die Märkte enttäuscht. Das ist das Muster, das wir heute in China sehen. In zwölf Monaten werden wir rückblickend feststellen, dass all diese kleinen Ankündigungen, die immer wieder enttäuschten, sich zu einem bedeutenden Wandel summiert haben. Wir werden sehen, dass die Parteiführung von ihrem Austeritätskurs abgekommen ist. Die Veränderung der Rhetorik in China ist signifikant.
China wird in den kommenden Monaten aggregiert betrachtet also positiv überraschen?
Ja. Das ist die Art und Weise, wie es funktioniert: Zuerst erreicht die Politik die Talsohle, dann die Finanzmärkte, und dann kommt die wirtschaftliche Talsohle. Das ist übrigens sehr wichtig: China kommt vom Austeritätskurs weg, während die USA unter Trump von der fiskalpolitischen Verschwendungssucht abkehren. Das dürfte den Dollar schwächen, und das begünstigt nicht-amerikanische Vermögenswerte. Ich bin mir natürlich bewusst, dass meine Ansichten zu diesem Thema überhaupt nicht dem Konsens entsprechen und dem gegenwärtigen Trend völlig zuwider laufen.
Was ist mit europäischen Aktien? In Bezug auf den Alten Kontinent könnte die Stimmung kaum schlechter sein.
Ja, das ist im Moment die allgemeine Meinung. Europa ist schrecklich. Ich treffe täglich Investoren in aller Welt, und ich kann Ihnen sagen: Niemand ist optimistisch für Europa. Während die USA ‹priced for perfection› sind, wird in Europa nur Malaise gesehen. Ich mag das. Ich möchte in Vermögenswerte investieren, deren Bewertung noch keine perfekte Zukunft einpreist. Nochmals: Wenn Sie ein Trader sind, dann können Sie gerne dem Momentum in den USA folgen. Halten Sie bloss die Bondrenditen im Auge.
Aber als Investor sehen Sie andernorts attraktivere Chancen?
Ja. Wenn Trump von der Verschwendung von Steuergeldern abrückt, wird er die Voraussetzungen für starkes Wachstum im späteren Verlauf des Jahrzehnts schaffen. Aber zunächst wird das Wachstum geschwächt, und das wird der verwöhnte Aktienmarkt nicht mögen. Was Europa betrifft, so sehe ich diverse positive Aspekte. Erstens: Der Aufbau neuer Infrastrukturen zur Neuordnung der Lieferketten sowie zur Elektrifizierung und Dekarbonisierung der Weltwirtschaft wird riesige Kapitalinvestitionen benötigen. Das begünstigt an den Börsen die Sektoren Industrie und Grundstoffe. Europäische Unternehmen sind sehr gut darin, Dinge zu bauen. Zweitens wird Europa in den nächsten zwei Jahren in den Genuss eines Überangebots an Flüssiggas kommen, was die Energiepreise sinken lassen wird. Und drittens erhöht Trump im Weissen Haus die Chancen, dass der Konflikt mit Russland nicht ewig andauert und es zu einer Art Patt in der Ukraine kommt. Auch das wäre nicht schlecht für Europa.
Marko Papic