Donnerstag, Oktober 10

Wer das angebliche Verschwinden von Herzogin Kate als weitere Royal-Posse abtut, verkennt, dass die Episode grössere Probleme der Monarchie offenbart.

Eine Frau wird am Weihnachtsmorgen mit ihrem Mann und ihren Kindern das letzte Mal gesehen. Kurz nach Weihnachten kursieren Videos, die den Einsatz einer Ambulanz beim Wohnsitz der Familie dokumentieren. Drei Wochen später checkt die Frau in eine Klinik ein, um sich einer «geplanten Bauchoperation» zu unterziehen. In drei Monaten werde sie zur Arbeit zurückkehren, heisst es. Dann taucht sie ab. Über zehn Wochen wird sie nicht mehr gesehen.

Bis vor zwei Wochen ein Foto kursiert, das die Frau im Auto mit ihrer Mutter zeigt. Sie trägt eine Sonnenbrille und wirkt aufgedunsen. Gerüchte kommen auf: Steht es womöglich doch schlimmer um ihre Gesundheit?

Wäre es eine gewöhnliche Frau aus einer gewöhnlichen Familie, würden höchstens die Nachbarn im Treppenhaus diesen Fragen nachsinnen. Die verschwundene Mutter aber ist Catherine, Prinzessin von Wales, die künftige Königin von England. Ihr Verschwinden treibt gerade Tausende Menschen um.

Die offizielle Version lautet: Die Prinzessin erholt sich in aller Ruhe von einer Routineoperation. Doch die Zweifel an dieser Version offenbaren mehr als die Sorge um eine Adlige. Sie verdeutlichen, woran es der britischen Monarchie derzeit fehlt: an Glaubwürdigkeit. Die Episode um Kate steht sinnbildlich für den Verlust an Vertrauen in die Krone. Mehr noch: Sie hat diesen noch weiter verstärkt.

Genesung fernab der Öffentlichkeit? Nicht bei den Royals

Wie kann ein Mitglied der Königsfamilie über Monate nicht gesehen und nicht fotografiert werden? Die Royals stehen unter permanenter Beobachtung, jeder Gang vor die (Palast-)Türe wird von Paparazzi dokumentiert. Man mag sich nun an der Erwartungshaltung der Leute stören, die einem Mitglied der Königsfamilie nicht dasselbe Recht auf Privatsphäre zugestehen wollen wie anderen Menschen. Doch gerade wenn es um die Gesundheit und Spitalaufenthalte geht, haben die Royals in der Vergangenheit mit ihrem Verhalten jene Erwartung selbst geschürt.

Es ist beispielsweise üblich, dass königliche Frauen nur Stunden nach der Geburt mit ihrem Neugeborenen für die Presse posieren und Fragen beantworten. Und auch das Lebensende wird von den Medien dokumentiert: Prinz Philip wurde wenige Tage vor seinem Tod von der Presse abgelichtet, wie er – die Augen blutunterlaufen – vom Krankenhaus nach Hause gefahren worden ist. Die Queen empfing noch zwei Tage vor ihrem Ableben die damalige Premierministerin. Und der amtierende König Charles machte fast zeitgleich mit der Ankündigung von Kates Operation seine Krebsdiagnose öffentlich – und hat weiterhin offizielle Termine wahrgenommen.

Es ist deshalb ungewöhnlich, dass Kate diese ausgiebige Privatsphäre bei ihrer Genesung zugestanden wird. Der Palast versicherte lediglich, Kate sei nach der Operation auf dem Weg der Besserung. In den ersten Wochen von Kates Abwesenheit waren nur übereifrige Royal-Beobachter besorgt. Das änderte sich am 10. März.

Es ist der britische Muttertag, an dem der Palast ein Foto der strahlenden Kate mit ihren Kindern veröffentlicht – angeblich aufgenommen von Prinz William. Vom aufgedunsenen Gesicht ist nun keine Spur mehr. Wenige Stunden später stellt sich heraus: Das Bild ist stark manipuliert.

Namhafte Agenturen ziehen das Bild mit einer «Kill Notice» zurück und dem Verweis, das Foto nicht weiter zu verwenden – eine höchst seltene Massnahme. Mehr noch: Die AFP, eine der grössten Nachrichtenagenturen weltweit, stuft den Palast fortan als «nicht vertrauenswürdige Quelle» ein. Es sind Einschätzungen, die sonst autokratischen Regimen wie Nordkorea vorbehalten sind. Ein vernichtendes Urteil für eine Institution, deren Existenz von der Gunst der Bevölkerung abhängt.

«Never complain, never explain» funktioniert nicht mehr

Spätestens jetzt bricht online ein Sturm los. Teile des Internets widmen sich fortan nur noch einer einzigen Frage: Wo ist Kate? Und warum ist das einzige Lebenszeichen von offizieller Seite ein gefälschtes Foto? Findige Internet-Rechercheure mutmassen, ob das Gesicht der Frau aus einem alten Foto reingeschnitten wurde oder ob die Kleider der Familie umgefärbt wurden, um zu vertuschen, dass die Aufnahme aus dem letzten Jahr stammt.

Die Reaktion kommt prompt: Kate entschuldigt sich via X für ihre missratene Fotobearbeitung. Es ist ihre erste Wortmeldung seit dem Verschwinden.

Eine Entschuldigung der Königsfamilie ist selten. Vielmehr aber erstaunt, dass Kate dieses Foto in Eigenregie bearbeitet und veröffentlicht haben soll. Zumal die PR-Teams des Palasts bekannt dafür sind, akribisch zu kontrollieren, welche Statements und Fotos an die Öffentlichkeit gelangen. Auch deshalb wird die Königsfamilie und ihre Institution «The Firm» genannt.

Tatsächlich hat die Monarchie schon ganz andere Skandale gesehen: Da war der ungekrönte König Edward VIII, der 1936 lieber eine geschiedene Frau heiratete, als den Thron zu besteigen, und dem auch noch Verbindungen zu den Nazis nachgesagt wurden. Da war die Scheidung von Charles und Diana sowie seine jahrelange Geliebte Camilla – deren intimes Telefongespräch mit Charles mitgehört wurde, als dieser noch verheiratet war. In jüngerer Vergangenheit gab es Prinz Andrews Verwicklung in den Epstein-Skandal, und Prinz Harry, der dem Palast den Rücken kehrte.

Es wäre jedoch falsch, das #KateGate als weitere Royal-Posse abzutun. Dann nämlich würde verkannt, dass sich Entscheidendes geändert hat. Und dass es längst nicht mehr nur um Kate geht.

Die Monarchie befindet sich in einer fragilen Phase. Das Rückgrat des Königreichs ist nicht mehr: Die Queen hatte Kriege, politische Beben und über ein Dutzend Premierminister überdauert. Es wäre wichtiger denn je, dass das neue Oberhaupt der Monarchie das Vertrauen der Bevölkerung gewinnt und festigt. Doch König Charles konnte nicht annähernd an die Beliebtheit der Queen anknüpfen. Alle Hoffnungen lagen auf der nächsten Generation: Prinz William und Kate.

Stattdessen folgt nun ein kranker König, eine vermisste Prinzessin und viel Nichtkommunikation.

Der Palast verfolgte in Krisenzeiten stets eine klare Strategie: Never complain, never explain – beklag dich nie, erklär dich nie. Bei schwerwiegenden Fällen publizierte der Palast eine Entschuldigung, in Extremfällen entzog er den Missetätern königliche Privilegien – so geschehen bei Prinz Andrew und Prinz Harry. Die Grundhaltung war immer dieselbe: Je weniger man erklärt, je weniger man dementiert, desto eher zieht der Sturm vorbei.

Lange hat das funktioniert. Doch in Zeiten von Social Media ist Nichtkommunikation die womöglich schlechteste Strategie.

«The Firm» schweigt – und heizt die Spekulationen weiter an

Kurz nachdem der Palast Kates Entschuldigung publiziert hat, wird eine angebliche Mätresse Williams ausfindig gemacht. Mehrere Medien porträtieren die Marchioness of Cholmondeley, der plötzlich aus unbekannten Quellen ein Verhältnis mit dem Kronprinzen nachgesagt wird.

User auf Social Media stürzen sich auf die Fährte, um neue Erklärungen für Kates Verschwinden zu erfinden: Hat sich das Kronprinzenpaar getrennt? Konnte William sein Temperament nicht im Zaum halten? Ist die Marchioness gar schwanger vom Prinzen? Oder war Kate schwanger von einem anderen Mann und hat in Wirklichkeit abgetrieben? Ist Kate überhaupt noch am Leben?

Die Gerüchte, die zu früheren Zeiten nicht einmal in Klatschspalten Platz gefunden hätten, werden plötzlich tausendfach in den sozialen Netzwerken verbreitet und weitergesponnen. So wird für wahr oder zumindest wahrscheinlich gehalten, was nie einer seriösen Quelle entsprang. Doch «The Firm» schweigt eisern. Und heizt damit die Spekulationen weiter an.

Bald kursiert ein neues mysteriöses Foto, welches William und Kate angeblich beim gemeinsamen Verlassen des Palastes zeigt. Bloss: Das Gesicht von Kate ist nicht sichtbar. Ausserdem sehe die Mauer hinter der Autoscheibe ganz anders aus als die Mauer, die über dem Auto zu sehen ist, finden X-User. Rasch wird ein altes Foto zum Vergleich herangezogen, das eine verdächtig ähnliche Silhouette von Kate aufweist. Überhaupt hätte Kate irgendwo aussteigen müssen, denn William kam alleine am Zielort an – in einem anderen Auto. Man ist sich schnell einig: Auch dieses Foto wurde manipuliert.

Ob die Annahmen der X-User nun stimmen oder nicht: Sie sind ein Symbol für den fortschreitenden Vertrauensverlust des Palastes. Sie zeugen davon, dass alles, was aus Kreisen der Königsfamilie kommt, sofort angezweifelt wird.

Die Monarchie befindet sich in einer fragilen Lage

Der Druck auf den Palast steigt. Mehrere Medien haben gefordert, die Originalaufnahme des Muttertagsfotos zu veröffentlichen. «The Firm» hat sich geweigert. CNN wiederum hat angekündigt, sämtliche Bilder des Palasts, die sie veröffentlicht haben, zu überprüfen.

Die Welt sieht dabei zu, wie «The Firm» ihre Glaubwürdigkeit zerstört.

Der Palast muss sich der Frage stellen, weshalb er den Spekulationen kein Ende bereitet. Eigentlich würde dies wenig Aufwand erfordern: Mit einer einfachen Videobotschaft, die keinen Zweifel an Echtheit und Aktualität lässt, wäre die Sache erledigt. In der Vergangenheit hat das Paar mehrfach Grussbotschaften zu Anlässen gefilmt.

Doch das vielleicht entscheidende Video kommt nicht vom Palast. Am Wochenende wurden Kate und William beim Besuch eines Hofladens in Windsor gesichtet, wie zunächst Augenzeugen berichten. Am Montag veröffentlicht die «Sun» ein Video, das Kate und William beim Einkauf zeigen soll. Es hätte das Ende des Katz-und-Maus-Spiels sein sollen. Doch einmal mehr passiert das Gegenteil.

Die X-User sind sich einig: Die Frau auf dem Bild sieht nicht aus wie Kate. Der Grössenunterschied scheine geringer als auf früheren Fotos. Und überhaupt: Wie könne Kate – zwei Wochen nach dem Foto mit aufgedunsenem Gesicht – so erschlankt sein? Würde sie nach einer Bauchoperation tatsächlich so grosse Taschen tragen können? Und überhaupt: Ist das Weihnachtsdekoration im Hintergrund?

Die Spekulationen werden nicht abreissen, ehe die Prinzessin wieder persönlich Termine wahrnimmt. Ob Kate oder Kate-Double – die Reaktionen zeigen vor allem eines: Dem Palast traut man nicht mehr.

Exit mobile version