Mittwoch, Oktober 2

Das staatliche Raumfahrtunternehmen Beyond Gravity soll nicht privatisiert werden. Das verlangt ein nationalrätlicher Vorstoss. Das Unternehmen sei sicherheitsrelevant. Der Bund sieht dies anders.

Ein US-Milliardär, der den Kopf aus einer Raketenluke streckt, Satellitenteile, die vom Himmel fallen: Die Firma SpaceX des amerikanischen Unternehmers Elon Musk hat in den letzten Tagen und Wochen für spektakuläre Bilder gesorgt. Der Weltraum, heute ein Ort für alle, nicht nur für staatliche Raumfahrtunternehmen. Kommerzielle Anbieter haben einen Boom ausgelöst. Jährlich wächst die Weltraumwirtschaft um 9 Prozent, gemäss einer Studie der Unternehmensberatung McKinsey und des World Economic Forum. Das ist stärker als die Weltwirtschaft. Die vielen Anbieter und neuen Innovationen senken die Kosten. Satellitenstarts etwa kosten heute 90 Prozent weniger als noch vor zwanzig Jahren.

Auch der Bund hat ein Unternehmen, das in der Raumfahrt tätig ist: die Ruag-International-Tochter Beyond Gravity. In Emmen stellt sie die Spitze der Trägerrakete Ariane 6 her, die sogenannte Nutzlastverkleidung, oder auch Hochtemperaturisolierungen. Beyond Gravity hat den Auftrag von der Europäischen Raumfahrtagentur (ESA) erhalten, deren Gründungsmitglied die Schweiz ist. Im zürcherischen Seebach stellt Beyond Gravity unter anderem Wände für Satelliten her. Diese müssen besonders leicht sein, da die Raketen nur eine beschränkte Last ins All mitnehmen können.

Die Formel 1 und die Raumfahrt

Jory Deniz, Produktionsleiter, arbeitet seit dreizehn Jahren im Werk in Zürich. Zuvor war er für die Formel 1 tätig: «Die Raumfahrt ist ähnlich wie der Motorsport. Jedes Element muss so robust und so leicht wie möglich sein.» Vor ihm liegt eine Satellitenwand mit zwei Blechseiten aus Kohlefasern, dazwischen Aluminium in Form einer Bienenwabe. Zweieinhalb Meter lang ist die Wand, eineinhalb Meter breit und knapp fünfzehn Kilogramm schwer. Jory Deniz sagt, er wisse nicht, welcher Satellit damit ins All transportiert werde, das gebe kein Kunde bekannt. Nur die Masse und das Gewicht kenne er, um die Befestigungselemente und Kühlstäbe am richtigen Ort platzieren zu können. Jedes Element werde vor der Lieferung getestet. Anders als im Motorsport gebe es im Weltall keine Möglichkeit für einen Garagenstopp bei Problemen: «Einen Satelliten holen Sie nicht so schnell wieder auf die Erde.»

Beyond Gravity gehört zu Ruag International, welche der Bund in den vergangenen Jahren Stück für Stück verkauft hat. Übrig geblieben ist das Raumfahrtunternehmen, das bis Ende 2025 privatisiert werden soll. Diesem Entscheid stimmten die Sicherheitspolitischen Kommissionen vor knapp einem Jahr zu. Im Mai die Kehrtwende: Sicherheitspolitiker der nationalrätlichen Kommission unterstützen mit nur einer Gegenstimme einen Vorstoss, der den Bundesrat auffordert, den Kauf zu überdenken – aus Sicherheitsgründen.

Nächste Woche kommt der Antrag in den Nationalrat. Die Waadtländer Mitte-Politikerin Isabelle Chappuis hat das Thema eingebracht: «Der Weltraum und insbesondere der Zugriff auf Satelliten sind von hoher Sicherheitsrelevanz. Schauen Sie nur in die Ukraine!» Tatsächlich ist für die ukrainische Armee die Internetverbindung via Starlink-Satelliten von Elon Musk und dem amerikanischen Verteidigungsministerium quasi eine Lebensversicherung auf dem Gefechtsfeld. Doch Beyond Gravity stellt keine ganzen Satelliten her, sondern ist ein weltweit tätiger Zulieferer. Dessen ist sich Isabelle Chappuis bewusst: «Aber Beyond Gravity bietet nahezu alle Komponenten für Satelliten an. Es ist die Schweizer Firma, die über das grösste Know-how im Weltraumbereich verfügt.» Hierzulande gehören sechzig Firmen zur Raumfahrtindustrie. Beyond Gravity, vorher Ruag Space, ist die grösste in der Schweiz, europaweit liegt sie auf Platz vier.

Der Grüne Fabien Fivaz hat als Einziger gegen den Vorstoss gestimmt. Er kann nicht nachvollziehen, warum Beyond Gravity relevant sein soll für die Sicherheit der Schweiz: «Die Firma stellt nichts Sicherheitsrelevantes her und macht 95 Prozent ihres Umsatzes im Ausland.» Ähnlich argumentiert das Eidgenössische Finanzdepartement, das für den Verkauf zuständig ist: «Für die Wahrung der sicherheitspolitischen Interessen der Schweiz ist der Beibehalt des Bundeseigentums an Beyond Gravity weder massgebend noch zu rechtfertigen.» Das Unternehmen erziele praktisch keinen Umsatz mit der Schweizer Armee. Sollte die Armee dereinst konkretere Pläne im Weltraum verfolgen, stünden auch andere Lieferanten im In- und Ausland zur Verfügung, nicht nur die Ruag-Tochter. Das Verteidigungsdepartement selbst arbeitet derzeit an einem Grundlagendokument zum Weltraum.

Beyond Gravity ist für Verkauf

Beyond Gravity selbst ist für einen Verkauf. Der CEO von Ruag International, André Wall, hat den Auftrag, das Unternehmen zu privatisieren. Dass der geplante Verkauf nun gestoppt werden könnte, mache ihm Sorgen. Es würde ein Präzedenzfall geschaffen, wenn die Politik willkürlich Industrien als sicherheitsrelevant einstufen würde. Ausserdem: «In dieser Branche ist die Geschwindigkeit so hoch, dass es grosse Investitionen braucht, welche mit hohen Risiken verbunden wären. Der Bund kann diese nicht tragen.»

Auch Swissmem, der Verband der Schweizer Tech-Industrie, ist für eine Privatisierung wegen der Innovationsfähigkeit. Der Kommunikationschef Noé Blancpain schreibt, die Verkaufsbedingungen sollten jedoch so strukturiert werden, «dass ein Schweizer Industrie-Investor, der die Firma global und am Standort Schweiz weiterentwickeln will und kann, sehr gute Chancen hat». CEO André Wall hingegen findet, alle potenziellen Käufer sollten dieselben Voraussetzungen haben. Er und seine Mitarbeitenden erhalten eine Prämie nach dem Verkauf, die abhängig ist vom erzielten Verkaufspreis. Über den Kauf entscheiden, wird ein Bundesgremium aus Vertretern des Verteidigungs-, Finanz- und Wirtschaftsdepartements.

Auch die Europäer wollen auf private Anbieter setzen

Die US-Raumfahrtbehörde Nasa bucht heute Flüge bei SpaceX. Auch die ESA will auf kommerzielle Raketen setzen, ein Paradigmenwechsel für die 22 Mitgliedsstaaten. Die Flüge sollen billiger werden, mehr Raketen sollen von Europa aus gestartet werden können. Letztes Jahr gab es allein in den USA über 120 Starts von privaten Unternehmen, in Europa nur drei. Die ESA will den Anschluss in der Raumfahrtindustrie nicht verlieren. Es geht auch um Sicherheit: Mit dem nächsten Flug der Ariane-6 soll ein französischer Aufklärungssatellit in die Umlaufbahn geschossen werden. Die ESA will den Spionagesatelliten nicht in die USA verschiffen und von Elon Musk und seiner Firma SpaceX in den Weltraum transportieren lassen müssen.

Jory Deniz, der Produktionsleiter von Beyond Gravity im Werk in Zürich, hat schon einen Eigentümerwechsel miterlebt. Jener von Ruag Space zu Beyond Gravity habe das Unternehmen weitergebracht. Auch dieses Mal ist er zuversichtlich: «Wer weiss, vielleicht werden irgendwann wirklich Satelliten mit unserem Schriftzug ins All geschickt!»

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