Freitag, September 20

Bei Steuerreformen sind heute kaum Prognosen möglich, weil präzise Zahlen fehlen. Nun will der Bundesrat die Kantone zwingen, ihre Steuerdaten herauszurücken. Doch der Widerstand wächst.

Wie viele Ehepaare sind von der Heiratsstrafe bei der Bundessteuer betroffen? Die scheinbar banale Frage hat zu hässlichen Pannen mit noch hässlicheren Konsequenzen geführt. Kleinlaut musste der Bund die Zahlen, die er vor der Volksabstimmung über die Heiratsstrafe im Jahr 2016 veröffentlicht hatte, nach dem Urnengang korrigieren. Noch kleinlauter hat er einige Jahre später auch die korrigierten Zahlen korrigiert. Die Folgen: Erstmals überhaupt hat das Bundesgericht eine Abstimmung annulliert. Und das Vertrauen in den Staat hat gelitten.

Die Steuerverwaltung musste einige Häme erdulden. Im Unterschied zu den falschen AHV-Zahlen, die in den vergangenen Wochen für Kritik gesorgt haben, handelte es sich bei den Berechnungen zur Heiratsstrafe nicht einmal um Prognosen, die immer unsicher sind, sondern um Angaben zum Ist-Zustand.

Trotzdem ist der Fehler teilweise nachvollziehbar: Dem Bund fehlen die notwendigen Steuerdaten, um präzise Berechnungen anzustellen. Im konkreten Fall weiss er zwar, wie hoch jeweils das gesamte Einkommen eines Ehepaars ist. Die Aufteilung auf die beiden Ehegatten aber kennt er nicht. Und genau diese ist entscheidend: Wird das ganze Einkommen von einem Ehepartner allein erzielt, liegt garantiert keine Heiratsstrafe vor. Ist die Verteilung aber ungefähr fifty-fifty, ist von einer solchen auszugehen.

Ohne Namen oder mit?

Die Heiratsstrafe ist kein Einzelfall. Immer wieder muss der Bund bei Steuerreformen mangels brauchbarer Daten Annahmen treffen, auf deren Basis er dann wacklige Schätzungen erstellt, die politisch angreifbar sind. Dasselbe Problem besteht in der Sozialpolitik: Ob zur wirtschaftlichen Lage der Pensionierten, zum Ausmass der Armut in der Schweiz oder zur Wirkung der Prämienverbilligungen – umfassende und aussagekräftige Statistiken sind Mangelware.

Der Bundesrat möchte den Blindflug beenden. Er will die Kantone verpflichten, in Zukunft die detaillierten Steuerdaten der privaten Haushalte alljährlich an das Bundesamt für Statistik (BfS) zu liefern. Diesen Entscheid hat er im Grundsatz bereits im vergangenen Jahr gefällt. Dass die Kantone keine Freude daran haben und das Projekt zum Absturz bringen möchten, ist schon länger bekannt. Die Waadtländer Regierung hat eigens ein Rechtsgutachten verfassen lassen, das den Widerstand untermauert. Nun erhebt sich auch im Parlament Opposition, die das Projekt zumindest verzögern könnte.

Kommende Woche steht im Ständerat ein Vorstoss von Fabio Regazzi auf dem Programm. Der Mitte-Vertreter verlangt, dass der Bundesrat seine Pläne in einem entscheidenden Punkt abspeckt: Er soll in den Vorgaben an die Kantone festhalten, dass diese ihre Steuerdaten ausschliesslich in anonymisierter Form übermitteln müssen – ohne Personalien, ohne AHV-Nummer. Regazzi argumentiert insbesondere mit dem Sicherheitsrisiko, das entsteht, wenn der Bund eine zentrale Datenbank mit einer Vollerhebung der Steuerdaten sämtlicher Haushalte einrichtet, die sich dann erst noch namentlich zuordnen lassen.

Die Angst vor den Hackern

«Ein Cyberangriff könnte einen massiven Abfluss besonders schützenswerter Daten zur Folge haben», mahnt der Ständerat Regazzi. Aus seiner Sicht würde schon nur die Möglichkeit, ein Hacker würde diesen riesigen Schatz sensibler Daten knacken, das grundlegende Vertrauensverhältnis zwischen Steuerpflichtigen und Steuerbehörden infrage stellen.

In der Tat ist die Liste der Daten, die der Bund sammeln möchte, relativ umfassend: Die Kantone sollen sämtliche Angaben liefern, die für die Einkommens- und Vermögensbesteuerung relevant sind, insbesondere alle individuellen Einkommen und weiteren Einkünfte sowie die Höhe der einzelnen Steuerabzüge pro Person. Daraus wäre zum Beispiel ersichtlich, wie hoch die Krankheitskosten oder Parteispenden sind, die jemand abgezogen hat, aber nicht, wo diese Person in Behandlung ist oder welche Partei sie unterstützt. Hinzu kommen Angaben zu den Steuerzahlungen an Bund, Kanton und Gemeinde sowie allfällige Kirchensteuern und Steuern auf Kapitalleistungen.

Der Bundesrat beharrt darauf, dass alle diese Daten ohne Anonymisierung übermittelt werden müssen. Dies hält er in seiner Stellungnahme zu Regazzis Vorstoss fest: Bei vielen steuer- oder sozialpolitischen Reformen sei eine zuverlässige Folgenabschätzung nur mit nicht anonymisierten Daten möglich. Als Beispiel dient die Vermessung der Armut: Sie ist nur dann aussagekräftig, wenn zusätzlich zu den Steuerdaten allfällige Zahlungen der Sozialhilfe und der Ergänzungsleistungen hinzugezogen werden können – was aber nur geht, wenn sich all die Daten individuell zuordnen lassen.

Die Risiken hält der Bundesrat für überschaubar. Er betont, der Bund sei sich seiner Verantwortung bewusst und nehme diese im Umgang mit anderen schützenswerten Daten schon heute wahr.

Vom Steuer- zum Statistikgeheimnis

Das zweite Argument der Gegner ist juristischer Natur: Aus Sicht der Kantone fehlt eine rechtlich einwandfreie Basis für die geplante Datensammlung. Sie verweisen auf das Steuergeheimnis, das die Privatsphäre schütze und nicht ohne weiteres aufgehoben werden könne. Auch hier winkt der Bundesrat ab: Er verweist insbesondere auf das gesetzlich verankerte Statistikgeheimnis, dem das BfS untersteht. Damit seien der Schutz der Daten, die Vertraulichkeit und die Verwendung zu rein statistischen Zwecken gewährleistet. Auch der Bundesrat hat sich juristisch gerüstet, er kann für seine Sichtweise sogar zwei Gutachten vorweisen.

Ob das genügt, um eine Mehrheit im Parlament zu überzeugen, ist ungewiss. Den Vorstoss von Fabio Regazzi haben weitere Ständeräte aus den Reihen der Mitte, der FDP und der SVP unterzeichnet. Und auch im Nationalrat ist ein kritischer Vorstoss hängig, der das Vorhaben hinterfragt: Olivier Feller von der FDP verlangt, der Bundesrat müsse zuerst eine formelle Gesetzesgrundlage ins Parlament bringen, bevor er anfängt, Steuerdaten zu sammeln.

Damit wäre das Verfahren wesentlich komplizierter und langwieriger. Der Bundesrat geht bis jetzt davon aus, dass er die Datensammlung abschliessend in eigener Kompetenz veranlassen kann, indem er kurzerhand die Statistikverordnung ergänzt. Wann der Nationalrat über Fellers Vorstoss entscheiden wird, steht noch nicht fest.

Sicher ist hingegen, dass es unabhängig vom Verfahren noch eine ganze Weile dauern wird, bis der Bund über aussagekräftige Steuerdaten verfügt. Eine umfassende und einheitliche Erfassung wäre heute aus rein technischen Gründen gar nicht möglich, unter anderem weil sich der Aufbau der Steuererklärungen von Kanton zu Kanton unterscheidet. Der eidgenössische Blindflug dürfte noch ein paar Jahre andauern.

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