Sonntag, September 8

Gefährdet das politische Hin und Her im Bundeshaus den Friedensgipfel? Das Bundeshaus setzt im Umgang mit Russland widersprüchliche Zeichen.

Die Erwartungen waren hoch, die Fallhöhe ebenfalls. Nach dem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski kündigte die Schweizer Bundespräsidentin Viola Amherd einen Friedensgipfel auf helvetischem Boden an. Würden Selenski und der russische Präsident Wladimir Putin dereinst einen gemeinsamen Vertrag unterzeichnen, der Friede von Genf, das Wunder von Bern? Der Gedanke ist zu schön, um es nicht zumindest zu versuchen.

Gut einen Monat später ist von der anfänglichen Euphorie nicht mehr viel zu spüren. Die beiden Kriegsparteien sind in der Zwischenzeit keinen Millimeter von ihren jeweiligen Maximalforderungen abgerückt. Aussenminister Ignazio Cassis konnte aus Peking nicht den ersehnten Durchbruch vermelden. Die Schweiz hofft, dass sich China für einen Friedensprozess gewinnen liesse. Doch die Grossmacht lässt sich weder in eines der beiden Kriegslager noch in eine bestimmte Rolle drängen – schon gar nicht von einem Kleinstaat.

Keine Experimente

Während das Duo Amherd-Cassis versucht, die diplomatischen Kanäle zwischen den beiden Kriegsparteien offen zu halten, ist eine entscheidende Frage jüngst in den Hintergrund getreten. Ist die Schweiz tatsächlich noch ein Ort der Unparteilichkeit und der Bundesrat überhaupt noch geeignet als glaubwürdiger Friedensvermittler? Die Neutralität bleibt vorwiegend eine Frage der Wahrnehmung. Zumindest die russische Botschaft in Bern sieht diese nicht mehr gegeben.

Sie kritisierte die Einseitigkeit des geplanten Friedensgipfels. «Mit Bedauern müssen wir feststellen, dass die Schweizer Bundesbehörden einmal mehr bewiesen haben, dass sie bereit sind, nur die ukrainische Position in Betracht zu ziehen», liess sie damals auf Anfrage von «Blick» ausrichten. «Von echter Neutralität kann nicht die Rede sein.» Aus einer russischen Perspektive mag diese Position nachvollziehbar sein. Die Schweiz stellte sich nach dem russischen Grossangriff nicht nur hinter das Völkerrecht. Der Bundesrat ging seither viel weiter und zeigt sich offen, das Völkerrecht zuungunsten von Russland «weiterzuentwickeln».

Konkret soll die offizielle Schweiz mithelfen, die völkerrechtlichen Grundlagen so anzuwenden oder anzupassen, dass internationale Organisationen wie der Europarat oder die Uno die Vermögen der russischen Zentralbank oder russischer Staatsbetriebe konfiszieren und an die Ukraine überweisen könnten. Die Schweiz wolle sich «mit ihren anerkannten Kompetenzen im Bereich des Völkerrechts» einbringen, um an entsprechenden «Lösungen» mitzutun. Im Mai des vergangenen Jahres stimmte der Bundesrat einem entsprechenden Bouquet gleichlautender Motionen aus dem Nationalrat zu.

Die grosse Kammer hatte sich in der Herbstsession grossmehrheitlich für die Vorstösse ausgesprochen. Nur die SVP war dagegen, ein paar versprengte FDP-Mitglieder sowie Martin Bäumle von den Grünliberalen. Zuvor hatte der Bundesrat beschlossen, einem vom Europarat eingerichteten Schadensregister beizutreten. Dieses soll einerseits als Beweisarchiv für die von den Russen verursachten Schäden dienen. Cassis sieht darin auch ein mögliches Vehikel für einen Reparationsmechanismus zugunsten der Ukraine. Das Ganze verknüpft der FDP-Bundesrat Cassis mit der Ukraine Recovery Conference, die er als Bundespräsident 2022 in Lugano initiiert hatte.

Seine diplomatische Mission mag für die ukrainische Seite vielversprechend klingen. Russland nimmt die Bemühungen der Schweiz alles andere als neutral wahr. Für den Ständerat geht das alles zu weit. Zumindest hatte die zuständige Rechtskommission Anfang Jahr mit 7 zu 5 Stimmen beantragt, die völkerrechtlichen Experimente sein zu lassen und die Motionen abzulehnen.

Die Debatte in der kleinen Kammer ist für die anstehende Frühlingssession angesetzt. Sie könnte spannend werden. So betonte die Kommission unter dem Vorsitz des Zürcher SP-Ständerats Daniel Jositsch, dass staatliches Vermögen im Grundsatz durch die ebenfalls völkerrechtlich garantierte Staatenimmunität geschützt sei. Weiter war die Kommissionsmehrheit der Ansicht, dass sich die Motionen als kontraproduktiv herausstellen würden, indem sie «den Bundesrat in seiner aussenpolitischen Handlungsfreiheit allenfalls einschränken» könnten. Diese Bedenken erweisen sich heute schon als berechtigt.

Breit abgestützte Bedingungen

So war die Schweiz stark involviert im Vorhaben Selenskis, eine sogenannte Friedensformel für die Ukraine auszuarbeiten. An vier Treffen mit den Beratern für nationale Sicherheit aus über achtzig Staaten (unter Ausschluss der Russen) liessen die Ukrainer ihre zehn Bedingungen «für einen dauerhaften Frieden» breit abstützen – jüngst an einem Treffen in Davos. Zu den Maximalforderungen, mit denen Selenski gedenkt, in Friedensverhandlungen einzusteigen, gehören unter anderem der Abzug sämtlicher russischen Truppen, die Rückgabe eroberter Gebiete, Sicherheitsgarantien – und ein international abgestützter Reparationsmechanismus.

Die Russen sollen an Friedensgesprächen teilnehmen, bei denen sie zur Kasse gebeten werden, obwohl sie den Krieg nicht verloren haben – ob Bundespräsidentin Amherd und Aussenminister Cassis dieses diplomatische Wunder gelingt, darf bezweifelt werden. Der Ständerat dürfte den Bundesräten daher einen Gefallen machen, wenn er die völkerrechtlichen Reformbemühungen drosselt und den Vorstoss versenkt.

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